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Standpunkte In Kommunen wird die digitale Verwaltung entschieden

Roland Kreutzer (Partner Mgm Consulting) & Sönke E. Schulz (Geschäftsführer Landkreistag Schleswig-Holstein)
Roland Kreutzer (Partner Mgm Consulting) & Sönke E. Schulz (Geschäftsführer Landkreistag Schleswig-Holstein) Foto: Mgm, SHLKT

Trotz ihrer bedeutenden Rolle im föderalen Deutschland bestimmen Kommunen bei Fragen der Verwaltungsdigitalisierung und der IT-Infrastruktur nur wenig selbst, kritisieren Sönke E. Schulz und Roland Kreutzer vom Nationalen E-Government Kompetenzzentrums (NEGZ) in ihrem Standpunkt. Es brauche nun eine radikale Aufgabenkritik und Reformen entlang der Frage, welche staatliche Ebene welche konkreten Services bereitstellen soll.

von Roland Kreutzer und Sönke E. Schulz

veröffentlicht am 05.01.2023

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Im föderalen System Deutschlands kommt den Kommunen eine besondere Rolle zu. Sie leisten die vergessene letzte Meile der Digitalisierung. Sie haben nicht nur ihre eigenen Aufgaben für Bürger*innen und Unternehmen zu erfüllen, sondern sind gleichzeitig für viele Services – vor allem der Landesebene – Antragsempfänger und Bearbeiter. Dennoch sitzen sie bei der Verwaltungsdigitalisierung und der IT-Infrastruktur nur am Kindertisch. Das muss sich ändern, wenn die kommunalen Aufgaben in Zukunft noch bewältigt werden sollen.

Im vergangenen Jahr und je näher die Umsetzungsfrist für das Onlinezugangsgesetz (OZG) rückte, wurde immer klarer: Die Kommunen im ganzen Land sind bei den milliardenschweren Digitalisierungsbemühungen in großen Teilen vergessen worden – und zwar von Anfang an. Nur wenige Gemeinden in Deutschland dürften die Strukturen und Ressourcen haben, eigenständig Digitalisierungsprojekte zu starten, dafür (OZG-)Mittel zu organisieren, Services auszuentwickeln und selbst als „Einer für Alle“-Leistung (EfA) anzubieten. Also schauen alle strategisch und technisch Verantwortlichen nach oben zu den besser ausgestatteten föderalen Ebenen, in freudiger Erwartung auf durchgereichte Dienste.

Dass von dort noch zu wenig bei den Kommunen einsatzbereit ankommt, in denen über 90 Prozent der Pflichtaufgaben des Staates erbracht werden, ist der eigentliche Skandal am OZG-Ende. Zwar hieß es 2020, als drei Milliarden Euro an Bundesmitteln aus dem Konjunkturprogramm für EfA-Projekte vorgesehen waren, dass die technischen Infrastrukturen in den Kommunen zu beachten sind. Das Wissen darum ist aber nur eine Seite der Medaille, Konzepte zur Veränderung dieser Infrastrukturen inklusive entsprechender Mittel sind jedoch die andere Seite.

EfA ist gut – aber zu komplex für OZG-Zeitplan und kommunale Infrastrukturen

An dieser Stelle zeigt sich, dass das unbestritten gute EfA-Prinzip nicht zu der hohen Geschwindigkeit passt, die das OZG vorgibt. Da sind die bekannten teils vertrackten vertrags- und vergaberechtlichen Fragen. Zusätzlich passen der meist hohe technische Reifegrad und die Komplexität von EfA-Diensten nicht zu den IT-Strukturen in vielen Kommunen, die ihren IT-Betrieb noch in Eigenregie und meist mit wenig Personal selbst stemmen.

In Summe sind an der Basis die Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich. Dadurch verlangt die Implementierung von EfA-Diensten aus der Cloud einen weiteren hohen Zeit- und Ressourceneinsatz. In der OZG-Geburtsstunde wurde versäumt, parallel zur Digitalisierungspflicht von „Verwaltungsleistungen“ und „IT-Komponenten“ auch eine Pflicht für die Modernisierung der IT-Infrastruktur festzuschreiben. Die Folge: Modernste Web- und Datenbankanwendungen sollen nun gewissermaßen auf Servern in den kommunalen Rathauskellern laufen. Das kann nicht funktionieren.

Enttäuschtes Vertrauen: zu wenig OZG-Leistungen und schlechte Stimmung

Spätestens jetzt müssen sich alle Beteiligte ehrlich eingestehen, dass wir die Entwicklung und den technischen sowie rechtlichen Rollout von EfA-kompatiblen Services gehörig unterschätzt haben. Es fehlten und fehlen schlicht Erfahrungswerte eines solchen multi-funktionalen Ansatzes. Die Folge in Schleswig-Holstein: Trotz OZG-Ende können die meisten Kreise, Städte und Gemeinden keinen Vollzug für ihre Hausaufgaben vermelden.

Sie hatten das EfA-Prinzip ernst genommen, haben auf ein abgestimmtes Vorgehen vertraut und dafür auf eigene Lösungen verzichtet. Dafür sehen sie nun am föderalen Horizont zu wenig, was sie vor Ort einsetzen können. Entsprechend groß sind Ärger und Enttäuschung bei Digitalisierungstreiber*innen und IT-ler*innen in den Rathäusern. Wenn nun deren Einsatz und OZG-Begeisterung verloren gehen, könnte ein nachhaltiger Schaden entstehen, der wiederum zur Gefahr für zukünftige Vorhaben und die Binnendigitalisierung wird.

Dabei ist der Norden mit dem IT-Verbund Schleswig-Holstein (ITVSH) als explizitem kommunalen Kompetenzzentrum bereits gut aufgestellt. Die ITVSH-Teams waren unter anderem an der Umsetzung des innovativen, auf einer modernen Cloud-Architektur aufgebauten „Kommunalen OSI-Plugin“ (KOP) und des serviceorientierten „OZG-Shops“ beteiligt.

Letzterer ist ein auf die schleswig-holsteinischen Kommunen abgestimmter EfA-Shop vor allem für Antragsstrecken. Das KOP ermöglicht als webbasierte Anwendung für Kommunen den Einstieg in eine medienbruchfreie Bearbeitung von Anträgen und Anfragen. Es erfüllt bereits jetzt den „OZG-Reifegrad 3“ und dockt an der Online-Service-Infrastruktur (OSI) an, die zentrale Verwaltungsplattform des Landes.

Sowohl KOP als auch der EfA-Shop sind in Betrieb, werden in Ausbaustufen weiterentwickelt und von Beginn an vom Land Schleswig-Holstein maßgeblich durch Mittel und personelle Ressourcen vorangetrieben. Auch das zeigt, wie die Zusammenarbeit verwaltungs- und kompetenzübergreifend funktionieren kann.

Zukunftssicherung durch Aufgabenkritik und Funktionalreform

Damit die Kommunalverwaltungen dann langfristig auf wirklich soliden Beinen stehen können, muss parallel zu weiteren Digitalisierungsarbeiten ein Umdenken einsetzen. Es braucht eine radikale Aufgabenkritik, gefolgt von einer Funktionalreform: Welche Aufgaben muss der Staat übernehmen, und auf welcher Ebene werden diese geleistet? Wir müssen die Mitarbeitenden in den kommunalen Verwaltungen von allen administrativen Standardaufgaben entlasten, ansonsten können Städte, Kreise und Gemeinden in fünf bis zehn Jahren mangels Personals einen großen Teil der Aufgaben schlicht nicht mehr erfüllen.

Die Chancen für diese Entlastung liegen in digitalen und weitgehend automatisierten Services, gepaart mit einer digitalen Funktionalreform. Dann hätten die Mitarbeitenden wieder Raum für die kommunalen Aufgaben und freiwilligen Leistungen direkt an Bürger*innen und Unternehmen. Die Kommunen wären bereit, diese Dinge anders zu gestalten.

Sönke E. Schulz ist seit 2016 geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Schleswig-Holsteinischen Landkreistages und Vorstandsvorsitzender des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums e. V. (NEGZ).

Roland Kreutzer ist als Partner der Mgm Consulting Partners GmbH verantwortlich für den Public Sector sowie Vorstandsmitglied des NEGZ. Seit mehr als 15 Jahren begleitet er Bund, Länder und Kommunen in Digitalisierungsprojekten.

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