Ziel des EU Green Deal ist die systemische Transformation der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft. Was heißt das? Um klimaneutral zu werden, müssen die unserem täglichen Leben zugrunde liegenden Systeme umgestaltet werden, so etwa Energieversorgung, Mobilität, Landwirtschaft und Ernährung, Freizeitverhalten, Bauen und Wohnen, Produktion und Konsum. Allzu oft werden diese jedoch als rein technische Systeme missverstanden, die entsprechend mit neuen technischen und technologischen Lösungen („Solutions“) umgebaut und erneuert werden könnten.
Dabei wird übersehen, dass jedes technische System mit entsprechenden Akteurssystemen sowie Finanzierungssystemen einhergeht. Erst durch eine integrierte Veränderung dieser miteinander verknüpften technischen, sozialen und finanziellen Systeme kann die Transformation gelingen.
Der Green Deal benötigt lokale Green Deals
Gestaltet werden diese Systeme vor allem dort, wo sich Menschen täglich bewegen, versorgen und aufhalten: in den Städten. Es ist daher kein Geheimnis mehr, dass der europäische Green Deal nur erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn er in lokale Green Deals („Local Green Deals“) übersetzt wird.
Die vom internationalen Netzwerk Nachhaltiger Städte ICLEI bereits im Jahr 2020 lancierte und auf der Europäischen Konferenz nachhaltiger Städte und Gemeinden in Mannheim verabschiedete Mannheim Message beschreibt, wie solche Local Green Deals aussehen könnten. Die Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU der Europäischen Kommission (DG GROW) hat im Rahmen ihrer Digitalisierungsinitiative „100 Intelligent Cities Challenge“ die Bedeutung der Local Green Deals aufgegriffen und einen ersten Leitfaden für Städte veröffentlicht.
Die Verbindung von Local Green Deals und Digitalisierung ist dabei alles andere als zufällig. Komplexe Systeme technischer, sozialer oder finanzieller Art sind gekennzeichnet durch inner- und intersystemische Abhängigkeiten, Ziel- und Interessenkonflikte, aber auch Potenziale für Synergien. Diese überhaupt bearbeiten und gezielt in Richtung Klimaneutralität verändern zu können, erfordert die Erhebung und Bearbeitung enormer Mengen an Daten sowie die Möglichkeit, Verknüpfungen zwischen diesen zu erkennen und zu beschreiben.
Statt der in den vergangenen Jahren allenthalben angebotsseitig den Städten feil gebotenen Smart Solutions brauchen Städte echte Partner, mit denen passgenaue Plattformen, Werkzeuge und Datenmodelle gemeinsam entwickelt werden können. Hier ein paar Sensoren und da ein paar Digitaldisplays machen die Stadt weder smarter noch klimaneutral.
Ohne „Deals“ keine Verbindlichkeit
Und deshalb braucht es auch „Deals“. Mithilfe der oben angesprochenen Daten gilt es klar zu benennen, welche Maßnahmen von wem bis wann umzusetzen sind, damit tatsächlich in relevantem Umfang der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert werden kann. Hierfür braucht es nicht Absichtserklärungen einzelner, sondern verbindliche Zusagen mehrerer Akteure – Deals, in die alle Beteiligten einzahlen.
Apropos einzahlen: Die notwendigen systemischen Veränderungen werden vor dem Thema Finanzierung nicht Halt machen. Die Herausforderung wird darin bestehen, die in und mit der Stadt existierenden Finanzströme dorthin zu lenken, wo Investitionen in die Erneuerung der städtischen Systeme erforderlich sind. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass die demokratische Kontrolle und die Orientierung am Gemeinwohl – beides Kernaufträge der verfassten öffentlichen Politik und Verwaltung – während dieses enormen gesellschaftlichen Umbaus nicht auf der Strecke bleiben. Diese Rolle können die Städte allerdings nur dann erfüllen, wenn sie selbst nennenswerte finanzielle Beiträge in die zu verabredenden Deals einbringen können.
Hierfür müssen die Finanzströme, mittels derer öffentliche Mittel von EU- und Bundesebene in Richtung Kommunen gelenkt werden, am Ziel der Klimaneutralität ausgerichtet und zur Finanzierung integrierter Projekte in den Kommunen gebündelt werden. Über langfristige Zuschüsse könnte eine Kommune so ein hinreichend umfangreiches Investitionsprogramm aufsetzen, während die Detailentscheidungen zu einzelnen Prioritäten und Investitionen vor Ort getroffen werden.
Nachhaltigkeit als Gemeinschaftswerk
Technologische Innovation, Multi-Akteurskonstellationen, innovative Finanzierungsmodelle: All das sollte zusammengedacht, dargestellt und dann Veränderung gezielt durch klare Verabredungen zwischen Stadtverwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und nicht zuletzt den rahmensetzenden Akteuren auf Landes- und Bundesebene Veränderung angestoßen werden. Local Green Deals könnten dabei als innovatives Governance-Instrument den entscheidenden Schritt von der Theorie in die Praxis ermöglichen und dem absolut zu befürwortenden Ziel eines Gemeinschaftswerks Nachhaltigkeit eine Form geben.
Stefan Kuhn ist stellvertretender Direktor des ICLEI-Europasekretariates und leitet die ICLEI-Aktivitäten in den Bereichen städtische Regierungsführung (urban governance) und soziale Innovation, nachhaltige Mobilität, Kultur und Nachhaltigkeit, sowie soziale Gerechtigkeit.
Niklas Mischkowski ist Referent für den Bereich Integriertes Management, Governance und Soziale Innovation im ICLEI-Europasekretariat und begleitet Projekte und Aktivitäten zu Local Green Deals.