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Smart City

Standpunkte Smarte Landlust statt Metaverse

Diane Ahrens, Professorin für Internationales Management an der Technischen Hochschule Deggendorf
Diane Ahrens, Professorin für Internationales Management an der Technischen Hochschule Deggendorf Foto: Barbara Kohl

Kommunen im ländlichen Raum brauchen kein Metaverse, keinen weiteren digitalen Zwilling und auch nicht noch einen Ideenwettbewerb, schreibt Diane Ahrens von der Technischen Hochschule Deggendorf in ihrem Standpunkt. Stattdessen seien standardisierte Lösungen gefragt, unbürokratische Unterstützung durch Bund und Land und Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit.

von Diane Ahrens

veröffentlicht am 20.04.2023

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Fragt man ChatGPT nach „Smart Region“, so wird oberflächlich, aber relativ zutreffend definiert, dass es eine Region oder ein Gebiet sei, das innovative Technologien und Konzepte nutzt, um die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern, die Umwelt zu schützen und wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Vor Kurzem wurde allerdings noch der Schlusssatz ergänzt, dass Smart Regions ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts „Smart City“ seien. Eine Woche später hatte ChatGPT schon dazu gelernt und referenzierte nicht mehr auf Digitalisierung in Städten. Denn Smart Regions brauchen eigenständige, von Smart Cities unabhängige Aufmerksamkeit, um kein Schattendasein zu fristen.

Laut Thünen-Institut leben rund 57 Prozent der deutschen Bevölkerung in ländlichen Regionen, die mehr als 90 Prozent der Bundesfläche umfassen und zumeist noch alles andere als smart sind. Es fehlt, im Gegensatz zum urbanen Raum, an flächendeckender digitaler Infrastruktur und damit an der Basis für digitale Daseinsvorsorge zur Unterstützung gleichwertiger Lebensverhältnisse.

Fördergeber fokussieren zumeist Smart Cities, die im Gegensatz zu unseren Dörfern über wesentlich umfangreichere personelle und finanzielle Mittel für die digitale Transformation verfügen. Dabei eigne sich doch gerade die digitale Transformation dazu, den ländlichen Raum zum attraktiven Zukunftsraum zu entwickeln und damit der fortschreitenden Urbanisierung mit all ihren negativen Folgen für Stadt und Land den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Smart-Region-Mobilitätskonzepte scheitern an zu geringen Fallzahlen 

Der kritische Leser könnte sich nun fragen, ob denn nicht Smart-City-Konzepte auf den ländlichen Raum übertragen werden könnten und diesem entsprechend zugutekommen. In einigen Fällen trifft dies sicher zu, denken wir zum Beispiel an Verwaltungsdienstleistungen im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Doch Gegenbeispiele existieren zur Genüge.

Nehmen wir die Mobilität: Während in Metropolen auf Knopfdruck das Taxi gerufen wird, die App den Fahrer, das Kennzeichen, den Standort und Ankunftszeitpunkt anzeigt, fahren auf dem Land kaum mehr Taxis. Freie Parkplätze per Navi finden? Auf dem Land kein Thema. Zeigen digitale städtische Displays die Zeit bis zum Eintreffen der nächsten U-Bahn an, so muss sich im Gegensatz dazu der ländliche Fahrgast durch unverständliche Busfahrpläne quälen, um dann festzustellen, dass nur der Rufbus in ein paar Stunden fahren würde, der allerdings zwischen Freitagmittag und Montagmorgen nicht gebucht werden kann, da die Telefonzentrale nicht besetzt ist.

Städtische digitale Mobilitätslösungen sind vor allem dadurch geprägt, Mobilitätnachfrage zu bündeln und kostengünstig zu bedienen (zum Beispiel Ride- und Carsharing). Diese Konzepte scheitern im ländlichen Raum an den wesentlich geringeren Fallzahlen. Kurz: Es gibt zu wenige Menschen, die auf dem Land zur gleichen Zeit von A nach B reisen möchten. Entsprechend defizitär sind ländliche Mobilitätslösungen.

Lediglich autonome Shuttles erscheinen für die alternde ländliche Bevölkerung angesichts ausgedünnter öffentlicher und privater Dienstleistungen, veralteter technischer und sozialer Infrastruktur als ein Zukunftssegen. Ja, wenn da nicht das Problem des unvollständigen Breitband-, insbesondere Glasfaser- und leistungsfähigen Mobilfunkausbaus wäre. Eine Abdeckung unter 100 Prozent bedeutet im Umkehrschluss viele „weiße Flecken“ in ländlichen Regionen.

In anderen Ländern machen externe Service-Teams Kommunen digital   

Warum gestaltet sich die digitale Transformation auf dem Land so mühsam? Oft steht und fällt das digitale Engagement einer Kommune mit dem Bürgermeister oder dem Geschäftsstellenleiter – wenn jener nicht für Digitalisierung brennend vorauseilt und digitale Prozesse vehement einfordert, passiert nicht viel. Doch selbst dieser stößt schnell an kapazitative, finanzielle oder fachliche Grenzen. Sind doch kleine Kommunen nicht mit der erforderlichen Personalstärke ausgestattet, um sich einen Datenanalysten, Social-Media-Verantwortlichen oder gar eine eigene IT-Abteilung leisten zu können.

Selbst im glücklichen Fall, dass ausreichend qualifiziertes Personal vorhanden ist, machen teure Schnittstellen, eine eingeschränkte digitale Infrastruktur oder für kleine Kommunen unbezahlbare Plattform- oder Softwarelösungen das Leben schwer.

Während in anderen Ländern „Digital-Service-Teams“ mit Mitarbeitern aus Tech-Branchen Verwaltungsdienstleitungen in kürzester Zeit erfolgreich in effiziente einheitliche digitale Prozesse transformieren und dabei den zuständigen Ministerien die Federführung entziehen, obliegt hierzulande jeder kleinen Kommune die selbständige Umsetzung. Hier schwört der eine oder die andere der kommunalen Selbstverwaltung ein Stück weit ab und wünscht sich eine Bereitstellung entsprechender Lösungen durch den Staat, Regierungsbezirk oder zumindest Landkreis.

Unterstützung, Verbindlichkeit und „unsanfter Zwang“

Dankenswerterweise existieren mittlerweile genug Feldstudien aus Projekten wie „Digitales Dorf Bayern“ oder „Modellprojekte Smart Cities“, in denen digitale Lösungen im ländlichen Raum nutzerzentriert entwickelt und erprobt wurden. Doch fehlt es der Politik immer noch an Konsequenz, die Erkenntnisse und Lösungen in die Breite zu tragen.

Brauchen wir wirklich noch einen weiteren Ideenwettbewerb, einen dörflichen digitalen Zwilling oder ein ländliches Metaverse? Als Leuchttürme, die zum Nachmachen inspirieren, sicher, aber als Lösung für eine von über 6.500 Gemeinden mit weniger als 3.000 Einwohnern – das sind mehr als 60 Prozent aller deutschen Kommunen – als dringendsten Schritt sicher nicht.

Einzelne Bundesländer punkten mit guten Initiativen wie einer ressortübergreifenden Digital-Agenda, dem Aufbau eines flächendeckenden Lorawan-Netzes sowie von Open-Data- und Open-Government-Portalen. Die Weichen sind gut gestellt, aber insbesondere der strukturschwache ländliche Raum braucht auf ihn abgestellte standardisierte Lösungen, Vor-Ort-Unterstützung und Ertüchtigung bei der Umsetzung, vielleicht auch unsanften Zwang, gepaart mit Konsequenz und Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit, unbürokratische Förderung, aber vor allem das spezielle Augenmerk der Politik.

Diane Ahrens ist Expertin für digitale Transformation und Prozessmanagement/Logistik. Nach einer Industriekarriere bei der Siemens AG wurde die Betriebswirtin 2003 zunächst an die Hochschule Hof sowie 2009 an die Technische Hochschule Deggendorf als Professorin für Internationales Management berufen. Neben ihrer Lehre ist sie wissenschaftliche Leiterin des Technologie Campus Grafenau für angewandte Forschung im Bereich „Digitalisierung und Künstliche Intelligenz“. Ihr 50-köpfiges interdisziplinäres Forschungsteam entwickelt unter anderem drei digitale Dörfer in Bayern als Reallabore.

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