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Smart City

Standpunkte Von den Daten aus gedacht

Christoph Sommer, Mitgründer der Forschungsgruppe „New Urban Tourism“ am Berliner Georg Simmel Zentrum für Metropolenforschung
Christoph Sommer, Mitgründer der Forschungsgruppe „New Urban Tourism“ am Berliner Georg Simmel Zentrum für Metropolenforschung

Um ein smartes Reiseziel zu werden, braucht man gute Tourismusdaten – aber auch eine Idee von ihrem Mehrwert. Tourismusforscher Christoph Sommer hat sich mit den Smart-Tourism-Plänen in Berlin beschäftigt und wünscht sich einen breiteren Fokus.

von Christoph Sommer

veröffentlicht am 19.10.2023

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E-Learning ist ein Segen der Digitalisierung. Im „Tourismus Hub“ der Tourismuswerber von „Visit Berlin“ kann man sich beispielsweise wunderbar über den Berlin-Tourismus schlaumachen, so auch zu der Frage, warum die Stadt eigentlich ein „smartes Reiseziel“ werden will. Zur Illustration wird in einem der Videotutorials ein fiktiver Tourist bemüht. Man imaginiere einen Italiener – „Mitte 30, fußballinteressiert, männlich“ – in der Nähe des Olympia-Stadions und gehe davon aus, dass selbiger dort etwas erleben möchte.

Hierfür, so das Szenario, könnte der Reisende künftig seinen Sprachassistenten befragen. Letzterer erinnert ihn nicht nur daran, dass die Squadra Azzurra 2006 in Berlin Weltmeister wurde, sondern skizziert auch gleich den kürzesten Weg zum Treffpunkt für die nächste Stadionführung. Es geht also um die Verknüpfung von Tourismusdaten mit personenbezogenen Daten – mit dem Ziel, das Reiseerlebnis des Gastes zu inspirieren.

Reiseziele mit Hilfe von KI optimieren

Gemessen an dem, was die großen Traveltech-Konzerne (Airbnb, Expedia und Co) dem Vernehmen nach vorhaben – idealerweise wissen, wohin Reisende wollen, bevor diese es selbst wissen – ist die smarte Optimierung des Reiseerlebnisses fast bescheiden. Nun muss sich Berlin nicht daran messen, dass Airbnb davon träumt, Reisezielwünsche mittels Künstlicher Intelligenz und auf Basis personenbezogener Daten vorwegnehmen zu können.

Gleichwohl sind derlei Visionen natürlich Anlass genug, sich mit der Ambivalenz der smarten Destination zu beschäftigen. Die einen mögen in den Visionen von Expedia und Co eine erstrebenswerte Utopie des bestmöglichen Reiseerlebnisses sehen, die anderen eine Dystopie der fremdgesteuerten Kontrolle. Es ist dieses Spannungsfeld, in dem die normative Idee der „Smart Destination“ Berlin formuliert werden muss.

Datenhubs als Grundlage für smarte Reiseziele

Bislang geht es allerdings vor allem um Daten, Daten und Daten. Auf Betreiben der Senatswirtschaftsverwaltung sowie von Visit Berlin ist ein Datenhub in Arbeit, in dem das immense Tourismuswissen der Stadt aufbereitet werden soll. Daten zu Events, Edelrestaurants, Baudenkmälern, Badestränden, Öffnungszeiten, öffentlichen Toiletten und so weiter und so fort sollen „semantisch veredelt“ und letztlich auch maschinenlesbar gemacht werden soll.

Klar, man kann sich den italienischen Touristen mit seinem Sprachassistenten vorstellen. Wobei letzterer nur dann gutes lokales Tourismuswissen bereitstellen wird, wenn große Player – beispielsweise Hotelketten – auch willens sind, ihre Daten in den Datenhub einzuspeisen. Klar, können Mobilfunkdaten für Stoßzeiten an Sehenswürdigkeiten sensibilisieren. Klar, ist es wünschenswert, dass öffentliche Tourismusdaten über einen zentralen Datenhub öffentlich zugänglich gemacht werden – so wie es die Deutsche Zentrale für Tourismus auf Bundesebene bereits vormacht.

So vage diese Nutzenversprechen sind, so sehr helfen sie doch, die Diskussion darüber anzuregen, wem eine smarte Destination letztlich konkret nutzt. Der momentane Fokus auf die strategische Bedeutung des Datenhubs (etwa für die nimmermüde gepredigte Wettbewerbsfähigkeit in der Städtekonkurrenz) muss einen ja nicht daran hindern, Anwendungsfälle zu konkretisieren. „Die Gewinnung neuer Erkenntnisse, speziell durch die Kombination unterschiedlicher (...) vorhandener Datenbestände“ – wie es auf der E-Learning-Plattform heißt – ist schon sehr abstrakt. Vielleicht wäre es ein Ansatz, weniger stark von den Daten ausgehend zu hoffen, dass irgendwann schon irgendwer irgendwas „smartes“ mit selbigen machen wird.

Christoph Sommer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) und Mitbegründer der Forschungsgruppe „New Urban Tourism“ am Berliner Georg Simmel Zentrum für Metropolenforschung.

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