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Standpunkte Warum wir ein kluges Migrations-Dashboard brauchen

Carsten Spandau, Senior Berater für politische Kommunikation und Strategie bei Republic Affairs
Carsten Spandau, Senior Berater für politische Kommunikation und Strategie bei Republic Affairs Foto: Maik Reichert für Republic Affairs

Das vom Innenministerium geplante digitale Migrations-Dashboard soll die aktuelle Migrationslage transparenter machen. Doch das Dashboard könnte viel mehr leisten, findet Carsten Spandau. Deshalb ruft der Politikberater dazu auf, das Tool zu überarbeiten und so gleich mehrere Probleme auf einmal zu lösen.

von Carsten Spandau

veröffentlicht am 28.03.2023

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Deutschland leistet enorme Kraftanstrengungen, um geflüchtete Menschen aufzunehmen, unterzubringen und zu integrieren. Laut Statistischem Bundesamt sind zwischen 2014 und 2021 etwa 1,2 Millionen Menschen nach Deutschland geflohen. Im Zuge des russischen Angriffskrieges hat die Bundesrepublik allein 2022 rund 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Zwei Drittel der ukrainischen Geflüchteten kamen in den ersten drei Monaten des russischen Angriffskrieges an. Es sind vor allem die Kommunen und die Zivilgesellschaft, die vor Ort dafür sorgen, dass alle Geflüchteten eine Bleibe bekommen und behördliche Angelegenheiten sowie weitere Fragen des Ankommens und der Integration gemeistert werden.

Wenn mancherorts die Kommunen an ihre Grenzen stoßen, dann muss das politisch auf allen Ebenen ernst genommen werden. Wenn beispielsweise im zu bundesweiter Bekanntheit geratenen Dorf Upahl mit rund 500 Einwohner:innen ein Containerdorf für 400 Geflüchtete entstehen soll, dann hat das mit klugem Migrationsmanagement und Integrationsförderung nichts zu tun. Deshalb ist es ein wichtiger erster Schritt, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser am 16. Februar dieses Jahres Bund, Länder und Kommunen zu einem Spitzengespräch eingeladen hat. Gemeinsam wollte Faeser Wege beraten, wie sich das Migrationsmanagement besser und menschenorientierter bewältigen lässt.

Migration ist eine Aufgabe, die organisiert werden muss

Ein bedeutsames, aber bislang wenig beachtetes Ergebnis aus den Beratungen ist das sogenannte digitale „Migrations-Dashboard“, das Transparenz über die „aktuelle Migrationslage“ schaffen soll. Das Ansinnen ist richtig, doch der Ansatz greift zu kurz und wirkt unangemessen, drohen doch Vergleiche mit dem „Corona-Dashboard“.

Migration ist kein Virus, das bekämpft werden muss. Sie ist eine Aufgabe, die organisiert und bewältigt werden muss. Deutschland ist nicht zuletzt demografie- und arbeitsmarktbedingt auf Zuwanderung angewiesen. Fokussieren wir uns rein auf den Fluchtkontext, reproduziert das das sicherheitsbezogene Stigma des Migrationsbegriffs.

Um das zu überwinden und einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, muss das Dashboard weiterentwickelt werden – nicht zuletzt, um die Akzeptanz für Migration in der Bevölkerung weiter hochzuhalten. Angesichts des knappen Wohnraums in urbanen Räumen oder begrenzter Integrationsangebote in strukturschwachen Gebieten, aber auch wegen fehlender digitaler Schnittstellen und eines Mangels an Standards im föderalen Flickenteppich, ist das Dashboard ein dringend benötigtes Instrument.

Um die Kommunen schnell und zielgerichtet zu unterstützen sowie Deutschlands Migrationsmanagement und die Integrationsförderung besser auf künftige Fluchtbewegungen und den enormen Zuwanderungsbedarf von Arbeits- und Fachkräften vorzubereiten, muss das Dashboard als ein Instrument gedacht werden, mit dem sich Hürden überwinden lassen. Dabei sollte es als Informationspool so entwickelt werden, dass nicht allein der Fluchtkontext und die Unterkunftsverwaltung betrachtet werden, sondern auch arbeitsmarkt- und qualifizierungsbezogene Daten sowie behördliche und andere regionalspezifische Indikatoren wie zivilgesellschaftliche Strukturen.

Denn diese können dazu führen, dass es einer Kommune leichter fällt, mehr Menschen aufzunehmen und sie zu integrieren. Auf diese Weise lässt sich schneller und präziser feststellen, ob beispielsweise Kita- oder Schulplätze mit erhöhtem Sprachförderbedarf oder dauerhafter Wohnraum fehlen.

Dashboard könnte kommunale Fähigkeiten und regionale Strukturen stärken

Dabei sollte auf bereits vorhandene Strukturen, Schnittstellen, Plattformanbieter und Best-Practice-Beispiele zurückgegriffen werden, also beispielsweise digitale Plattformen zur Privatunterbringung, digitale Tools für die Kitaplatzvergabe und -verwaltung, „IQ Netzwerk“ oder „Anerkennung in Deutschland“.

Das Dashboard könnte somit künftig als Standortatlas zur Bewertung von interkultureller und verfahrensbezogener Verwaltungskompetenz im Migrationsmanagement, öffentlicher Daseinsvorsorge sowie Integrationsförderung herangezogen werden. Wenn es gelingt, das Dashboard in diesem Sinne zu einem Hilfsmittel zu konzipieren, mit dem sich kommunale Fähigkeiten und regionale Strukturen stärken lassen, wird es ein katalysierender Faktor, mit dem sich eine breite Willkommenskultur nachhaltig verankern lässt und der zugleich positive Effekte für die gesamte Gesellschaft mit sich bringt.

Es ist nicht allein eine humanitäre und soziale Aufgabe, Geflüchtete aufzunehmen. Es ergeben sich trotz Notlage auch Chancen für die persönliche Entwicklung der Menschen, den hiesigen Arbeits- und Ausbildungsmarkt und später auch die Herkunftsländer. Deshalb müssen Wirtschaft, die Bundesagentur für Arbeit und die Kultusministerkonferenz mit dem Dashboard eruieren, wie sie die Bedarfe, Kapazitäten und Defizite in den Bereichen Ausbildung, Arbeitsmarktintegration, Anerkennung und Qualifizierung bundesweit übersichtlich abbilden und adressieren können. 

Migration ist auch eine Chance

Insbesondere im Bereich Anerkennung und Weiterbildung ist sich die Bundesregierung zwar einig, dass alles schneller und unbürokratischer werden soll. Es fehlen aber bislang Instrumente, um sich frühzeitig einen Überblick darüber zu verschaffen, wo wann die notwendigen Qualifizierungsstrukturen und staatlichen Angebote verfügbar sind, um Geflüchteten sowie Einwandernden bestmöglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. In der Migration steckt ein großes Potenzial für Digitalisierungsberufe. Das Institut der deutschen Wirtschaft ermittelte in einer Studie zuletzt, dass im Jahr 2026 knapp 106.000 qualifizierte Arbeitskräfte fehlen könnten, insbesondere Fachkräfte mit Berufsausbildung und Elektronik-Kompetenzen (Tagesspiegel Background berichtete).

Wichtig ist: Deutschland muss sich endlich konsequent als Einwanderungsgesellschaft begreifen und Ungleichbehandlungen beseitigen – egal ob Menschen zugewandert oder hier geboren, mit oder ohne Migrationshintergrund sind. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung machte im Dezember 2022 darauf aufmerksam, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz benachteiligt werden. Missstände wie diese kann sich Deutschland nicht erlauben. So etwas spricht sich international herum.

Laut einer aktuellen OECD-Studie verliert Deutschland auch im Kampf um hochqualifizierte Fachkräfte und Start-up-Gründer:innen weiter an Attraktivität. Hauptärgernis seien unter anderem die schleppende Digitalisierung und eine geringere Akzeptanz von Zugewanderten. Positiv hervorgehoben wird der Hochschulbereich. Darauf lässt sich hervorragend aufbauen – ebenso mit Blick auf die Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, das voraussichtlich Mittwoch im Bundeskabinett behandelt werden soll. Die darin geplante Stärkung von Beratungsangeboten und die Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung sollte mit der Entwicklung des „Migrations-Dashboards“ zusammengedacht und verzahnt werden.

Carsten Spandau ist Senior Berater für politische Kommunikation und Strategie bei der Republic Affairs GmbH in Berlin und Experte für Fachkräfteeinwanderung. Er studierte Politikwissenschaften und Osteuropastudien an der Freien Universität Berlin. Als Mitglied von „Polis180 – Grassroots-Thinktank für Außen- und Europapolitik“ leitete er ehrenamtlich das Programm Migration und den Podcast „MigraTon“.

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