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Standpunkte Das „Einer für Alle“-Prinzip ist gescheitert

Torsten Frenzel (AKDB) und Thomas Köster (SVA), Working Group Sprecher der OSB Alliance
Torsten Frenzel (AKDB) und Thomas Köster (SVA), Working Group Sprecher der OSB Alliance Foto: Melanie Frenzel (Torsten Frenzelt), privat (Thomas Köster)

Aktuell wird über eine Nachfolgeregelung für das Onlinezugangsgesetz diskutiert. Torsten Frenzel und Thomas Köster, Working Group Sprecher der Open Source Business Alliance, fordern einen echten Strategiewechsel. Offene Software und Standards sollten ihrer Meinung nach dabei eine wichtigere Rolle spielen als bisher.

von Torsten Frenzel und Thomas Köster

veröffentlicht am 15.12.2022

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„Einer für alle, alle für einen“, so lautete das Motto der drei Musketiere von Alexandre Dumas. Auch Open Source folgt dieser Logik. Was hätte also ein besseres Motiv für die deutsche Verwaltungsdigitalisierung und die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sein können? So, wie das „Einer für Alle“-Prinzip (EfA) aktuell praktiziert wird, werden die Potenziale von einmal entwickelten Verwaltungslösungen für die Nachnutzung aber leider viel zu selten ausgeschöpft.

Häufig entwickeln besonders engagierte Kommunen oder IT-Dienstleister Einzellösungen. Alle anderen können diese nur über eine Lizenzierung oder als Software as a Service (SaaS) nutzen, statt sie direkt selbst zu betreiben oder gar für die eigenen Bedürfnisse weiterzuentwickeln. Und selbst bei der Lizenzierung durch andere Kommunen gibt es in der Praxis oftmals technische oder rechtliche Schwierigkeiten. De facto entstehen also doch lauter parallele Insellösungen.

Die Umsetzung scheitert

Die Umsetzung krankt an drei wesentlichen Elementen: Erstens sind kleine Kommunen zum Teil überfordert, weil ihnen die komplexe Aufgabe aufgebürdet wird, Fachverfahren agil, offen und effizient ins digitale Zeitalter zu überführen, und sie damit alleine gelassen werden. Zudem wird die Komplexität der Beantragungsprozesse in den Fachverfahren dabei nicht abgebaut, was das Ganze noch schlimmer macht.

Zweitens wurden die Fachverfahren viel zu spät als Flaschenhals für medienbruchfreie Ende-zu-Ende-Prozesse erkannt. Und drittens wurde es versäumt, die zugrunde liegenden Prozesse zu vereinheitlichen und anzupassen, wodurch das Potenzial einer Nachnutzung (insbesondere von Open-Source-Lösungen) ungenutzt bleibt. Kurzum: Der zweite, fast noch wichtigere Teil des Mottos – „alle für einen“ – wurde weitestgehend vergessen. Damit kann das EfA-Prinzip für gescheitert erklärt werden.

Diese Analyse entspricht im Wesentlichen auch den Dresdner Forderungen, hinter denen sich mittlerweile viele Verwaltungen versammelt haben. Die Kommunen müssen die Komplexität verringern, demnach müssen sich auch die Prozesse bundesweit geltenden Standards unterwerfen. Das ist im Föderalismus nicht trivial, wird aber der Schlüssel für echte Beschleunigung bei der Verwaltungsdigitalisierung sein, damit nicht jede Kommune ihren eigenen Sonderweg beschreitet.

Außerdem müssen die technischen Schnittstellen und Standards verbindlich festgelegt und gegebenenfalls auch in den entsprechenden Fachgesetzen verankert werden. Eine Investition in die Stärkung der XÖV-Standards schafft beispielsweise verbindlichere Rahmenbedingungen.

Ein Strategiewechsel ist nötig

In den aktuell zirkulierenden politischen Eckpunkten für eine Weiterentwicklung des OZG heißt es zwar, dass verbindliche Standards vorgeschrieben werden sollen, es ist aber kein Strategiewechsel mit Blick auf die grundständigen Herausforderungen vorgesehen. Dieser kann gelingen, wenn der Gesetzgeber grundsätzliche prozessuale Standards definiert, die von einer gestärkten Koordinierungsstelle für IT-Standards (Kosit) in (im besten Fall offene) technische Schnittstellen und Definitionen ausformuliert werden können.

Wenn diese notwendigen Bedingungen erfüllt sind, erreichen wir die nächste Stufe der Verwaltungsdigitalisierung: Statt dem unerfüllten Versprechen eines „Einer für Alle“ ein echtes „Gemeinsam für Alle“. Kommunen und ihre Dienstleister würden tatsächlich in die Lage versetzt werden, ihre Lösungen bundesweit zu skalieren. Daraus kann echter Wettbewerb um die besten Lösungen und Anwendungen entstehen.

Das würde außerdem die zentralen Beschaffungs- und Bereitstellungseinheiten, beispielsweise im FIT-Store der Föderalen IT-Kooperation (Fitko) und dem Marktplatz der IT-Genossenschaft Govdigital, befähigen, Software effizienter und zielgenauer einzukaufen. Ein solcher Wettbewerb stärkt auch die Wahlfreiheit der Kommunen und gibt ihnen die Möglichkeit, unabhängig vom IT-Dienstleister das für sie richtige Angebot zu finden.

Richtig und wichtig ist der Ansatz, dass Bund und Länder Eigenentwicklungen möglichst nur noch als Open Source beauftragen wollen. Das bietet die Chance, bei der Entwicklung digitaler Verwaltungsangebote tatsächlich das ganze Potenzial auszuschöpfen: Werden offene Standards verbindlich festgeschrieben, gibt es immer eine Referenzimplementierung. Und wird der Quellcode für alle einsehbar in einem öffentlichen Code-Repository abgelegt, können alle Kommunen und deren Dienstleister wesentlich schneller und einfacher die entsprechende Lösung selbst aufsetzen und betreiben.

Dieser Ansatz, mit öffentlichen Geldern entwickelte Software auch unter offene Softwarelizenzen zu stellen (Public Money, Public Code), hat das Potenzial, zum Innovationstreiber zu werden und mehr Wettbewerb bei EfA-Leistungen zu erzeugen. Dann können sich auch die Privaten am Wettbewerb beteiligen und mit den landeseigenen und kommunalen IT-Dienstleistern in Kooperation und/oder Wettbewerb um die besten Umsetzungen treten.

Community-Building in Kommunen

Ein „Gemeinsam für Alle“ beinhaltet daher auch den Aspekt, dass ein Community-Building entsteht, wie es heute leider nur bei einigen wenigen Kommunen bereits stattfindet. Diese haben sich gemeinsam darüber verständigt, wer welche Basismodule entwickelt, die dann die anderen jeweils auf der gleichen offenen Plattform betreiben können. Ist der Quellcode öffentlich einsehbar, können Verwaltungen auch gemeinsam mit Unternehmen und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen und die Verwaltungsdigitalisierung kann so gemeinschaftlich angegangen werden. Open Source ist in dieser Hinsicht nicht nur ein „nice to have“, sondern eine tragende Säule für eine schnellere und effizientere Umsetzung des OZG.

In der nächsten Umsetzungsphase beziehungsweise im OZG 2.0 müssen also dringend verbindliche offene Standards festgesetzt werden, damit nicht unzählige Insellösungen entstehen und jede Kommune das Rad wieder neu erfinden muss. „Einer für Alle“ ist gescheitert. Es ist Zeit, einen Strategiewechsel hin zu einem „Gemeinsam für Alle“ zu vollziehen.

Torsten Frenzel ist der Projektleiter Open Source bei der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung Bayern (AKDB) und betreibt den „E-Government Podcast“. Er beschäftigt sich seit zwölf Jahren mit Verwaltungsdigitalisierung und E-Government und ist Sprecher der Working Group Public Affairs der Open Source Business Alliance.

Thomas Köster war in unterschiedlichen Positionen in der ökonomischen Politikberatung tätig, seit 2020 ist er bei der SVA System Vertrieb Alexander GmbH für Kommunikation und Vertrieb für Verfassungsorgane zuständig. Thomas Köster ist Co-Sprecher der Working Group Public Affairs der Open Source Business Alliance.

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