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Werkstattbericht IT-Kompetenzen helfen Integration und Fachkräftesuche

Ulrike Huemer berichtet aus dem kommunalen Alltag der Stadt Linz.
Ulrike Huemer berichtet aus dem kommunalen Alltag der Stadt Linz. Foto: Lukas Beck

Die Stadt Linz bietet eine sechsmonatige Coding-Ausbildung für Geflüchtete an. Diese eröffne Asylbewerber*innen neue soziale und wirtschaftliche Perspektiven und Möglichkeiten. Gleichzeitig senke sie die Probleme, die durch Beschäftigungslosigkeit entstehen.

von Ulrike Huemer

veröffentlicht am 28.11.2023

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Alles begann 2022 am Halloween-Abend in Linz. Es kam zu schweren Ausschreitungen in der Linzer Innenstadt, die von der Polizei mit einem enormen Einsatz aufgelöst werden mussten. Die Medien waren voll mit Berichten und neben der polizeilichen Arbeit begann die Aufarbeitung. Teil der Gruppe waren Asylwerber*innen. Oftmals passiert in solchen Situationen eine rasche Vorverurteilung. Wir haben es aber in der Aufarbeitung ein wenig anders gemacht und haben uns noch intensiver mit dieser Personengruppe auseinandergesetzt. Wir haben Alter, Herkunftsländer, Ausbildung und Hintergründe hinterfragt und analysiert. Hier wurde uns bewusst, dass in dieser Personengruppe digitale Talente stecken, die wir bisher nicht gesehen haben.

Das war der Beginn von „Code Fusion“ – ein Projekt, das das lange Warten auf einen Asylstatus und der damit verbundenen Arbeitsbewilligung durch sinnvolle Beschäftigung ausfüllt. Außerdem bietet das Projekt Asylsuchenden eine Chance, die persönlichen Lebensbedingungen zu verbessern und auch einen Beitrag für Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten.

Mit Coding-Ausbildungen Chancen schaffen

Wir initiierten ein Projekt zur beruflichen Qualifizierung von Asylwerber*innen durch eine spezielle Coding-Ausbildung. Hintergedanke war, dass es einen hohen Bedarf an Fachkräften mit tausenden offenen Stellen im IT-Bereich gibt. Andererseits sehen sich Asylwerber*innen mit Beschäftigungslosigkeit konfrontiert. Das Projekt Code Fusion führt beide Themen zusammen und eröffnet so neue Möglichkeiten mit Vorteilen für alle Beteiligten. Asylwerber*innen lernen Programmieren und erhalten eine Perspektive. Gleichzeitig kann der Druck am Arbeitsmarkt etwas verringert werden.

Die aktuelle Nachfrage nach IT-Fachkräften ist enorm. Allein in Oberösterreich gibt es im IT-Bereich mehr als 7000 unbesetzte Jobs. Nach Schätzungen fehlen bis zum Jahr 2030 österreichweit 30.000 Personen in der IT, während jährlich etwa 2100 Absolvent*innen von der Höheren Technischen Lehranstalt, Universität und Fachhochschule in den Beruf einsteigen. Vor allem Programmier-Ausbildungen gelten als Schlüsselkompetenz am Arbeitsmarkt, da diese Kenntnisse generell für Digitalisierungsprojekte notwendig sind.

Ein anderes Thema, mit dem sich unsere Gesellschaft konfrontiert sieht, sind Probleme, die durch die Beschäftigungslosigkeit von Asylwerber*innen entstehen. Aufgrund ihrer Lebenssituation stehen Asylwerber*innen oft vor Herausforderungen, die eine erfolgreiche Integration und Partizipation erschweren. Wir wollen Probleme auch als Chance begreifen – dadurch tun sich ganz neue Möglichkeiten auf. Durch die Fusion von sozialem Engagement und wirtschaftlicher Perspektive kann eine innovative Lösung geschaffen werden, welche einen Beitrag leistet, die beiden genannten Probleme abzumildern.

Wie die Ausbildung abläuft

In der Coding-Ausbildung lernen Asylwerber*innen in sechs Monaten Programmieren und schließen nach einer Projektarbeit mit dem Zertifikat „Junior Developer“ ab. Fachtrainer*innen vermitteln praxisnahes Wissen, das in der Arbeitswelt gut angewendet werden kann. Darüber hinaus erfolgt auch ein Deutschtraining. Die Ausbildung ist für die Asylwerber*innen kostenfrei.

Der Ausbildung geht ein intensives Auswahlverfahren voran. Eine erste Infoveranstaltung fand Ende Oktober statt, in der rund hundert Interessierte Einblicke in den IT-Bereich und Informationen über das Auswahlverfahren sowie die Ausbildung erhalten haben. In weiterer Folge wurden in Erstgesprächen Kompetenzchecks bezüglich der vorhandenen Qualifikationen und Vorerfahrungen durchgeführt. Bis Jahresende wird nach der Absolvierung von kleinen Projektaufgaben, in denen Probleme erkannt und Lösungswege gefunden werden müssen, eine Auswahl an zehn Personen getroffen, die ab Januar 2024 mit der Coding-Ausbildung beginnen dürfen.

Die Ausbildung erfolgt in Kooperation mit Coders Bay, einer Linzer Coding-Schule in der Tabakfabrik, dem Innovationszentrum der Stadt Linz und gilt als Hotspot für Aus- und Weiterbildung bei Coding, Netzwerktechnik und SAP.

Sinnvolle Perspektiven

Ich bin davon überzeugt, dass die Asylwerber*innen mit der absolvierten Ausbildung ein Erfolgserlebnis haben werden, da sie etwas Sinnvolles tun und lernen können. Gleichzeitig wird den Teilnehmer*innen eine Perspektive eröffnet. Durch den Fachkräftemangel im IT-Bereich sind die Aussichten auf einen einschlägigen Job sehr gut. Zusätzlich werden durch die Beschäftigung in der Ausbildung die Betreuer*innen entlastet und haben mehr Zeit für andere Asylwerber*innen.

Dieses Projekt ist nur in einem tollen Team möglich. Es engagierten sich Menschen aus dem Team der Stadt Linz, Caritas, Rotes Kreuz, Samariterbund, Volkshilfe und die Kollegen der Coders Bay. Für mich persönlich war die Erarbeitung dieser Initiative sehr berührend, weil wir mehrere Asylunterkünfte besucht haben und dadurch sehr intensive und persönliche Einblicke in die Lebenswelten der Geflüchteten bekommen haben. Somit sinnstiftend für alle Beteiligten.

Ulrike Huemer leitet als Magistratsdirektorin seit 2020 die Verwaltung der österreichischen Stadt Linz. Zuvor war sie viele Jahre CIO der Stadt Wien. Die Verwaltungsplattform Apolitical zählte sie im Jahr 2019 zu den 100 einflussreichsten Personen im Bereich digitale Verwaltung.

Bisher von ihr in dieser Rubrik erschienen: Verwaltung als „Mix aus Max Weber und Elon Musk“, „IT-Projekte ohne Paartherapie“, „Prozessmanagement ist alternativlos“, „Keine Angst vor Microsoft“, „Ein traditioneller Markt wird digital“, „Blackout-Vorbereitung ist ein Gebot der Stunde“, „Unser Stadtklima als warnende Ausstellung“, „Wie wir in Linz unsere Daten organisieren“, Neue Dialogformen zwischen Verwaltung und Bevölkerung“, Projektmanagement: Zwischen Begeisterung und Widerstand und „Ein Leitfaden für die Arbeit mit ChatGPT“.

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