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Werkstattbericht Vision gesucht: E-Government im Bundesstaat

Basanta Thapa gibt Einblicke aus der Verwaltungsforschung.
Basanta Thapa gibt Einblicke aus der Verwaltungsforschung.

Das E-Government bewegt sich im Föderalismus im Spannungsfeld zwischen dezentralen Lösungen auf Länderebene und der Bund-Länder-Kooperation, schreibt Basanta Thapa. Eine mögliche Lösung sieht er in einem föderalen Plattform-Ansatz, der verpflichtende technische Standards vorgibt, dabei aber Raum für individuelle Ideen lässt.

von Basanta Thapa

veröffentlicht am 18.07.2023

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„Föderalismus“ ist ein Reizwort in der E-Government-Szene. Für die einen trägt er die Hauptschuld an der Misere der deutschen Verwaltungsdigitalisierung. Für die anderen ist die Digitalisierung die Schere, mit der sich gut ein bis drei Verwaltungsebenen stutzen ließen – natürlich zum Schrecken der Betroffenen. Selbst das Loblied des Bundes-CIO auf die Vorteile des Bundesstaates klingt bei genauerer Lektüre eher wie „Verwaltungsdigitalisierung trotz Föderalismus“.

Dabei lohnt sich abseits der Trigger-Reaktionen ein genauer Blick auf die Wechselbeziehungen zwischen Föderalismus und Verwaltungsdigitalisierung. Denn als ein ebenenübergreifendes politisches Programm stellt die Verwaltungsdigitalisierung besondere Herausforderungen an die föderale Staatskunst. Andersherum formen Entscheidungen zum E-Government durchaus den real existierenden Föderalismus mit.

E-Government mit wirrer Föderalismus-Vision

Ein paar Beispiele: Die Einrichtung des IT-Planungsrats und die begleitenden Grundgesetzänderungen fordern bei der Verwaltungsdigitalisierung eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Dieses Design steht gegen den Entflechtungsgeist der Föderalismusreformen der 2000er, also der klaren Aufgabenzuweisung an Bund oder Länder. Jura-Professorin Margrit Seckelmann spricht von einer „Renaissance der Gemeinschaftsaufgaben“, die eigentlich lange als Kernübel des deutschen Föderalismus galten. Stattdessen wird hier an die Tradition des kooperativen Föderalismus angeknüpft.

Das Einer-für-Alle-Prinzip (EfA) für das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist aus Föderalismus-Perspektive eine besondere Wundertüte. Dabei legt ein Bundesland bei der technischen Umsetzung einer OZG-Leistung vor, die anderen sollen diese nachnutzen. Grundsätzlich ist die Nachnutzung der EfA-Leistungen für die Bundesländer freiwillig, es herrscht also voll entflochtene Autonomie. Klassische Argumente für solche Autonomie sind Subsidiarität, also politische Maßnahmen für die regionalen Bedingungen maßzuschneidern, und Wettbewerbsföderalismus, also das Konkurrieren der Bundesländer um die besten Lösungen und Lebensbedingungen.

Allerdings setzt man hier auch Anreize zur Einheitslösung, etwa durch das Einsparungsversprechen der Nachnutzung und Finanzierung durch den Bund. Der Gesetzgeber möchte also einerseits, dass die Länder tun, was sie wollen, andererseits sollen sie bestenfalls alle das Gleiche tun. Die föderalistische Vision dahinter bleibt schleierhaft.

Auch bei der Kernfrage nach Zentralisierung oder Dezentralisierung geht es hin und her: Moritz Heuberger zeigt in seiner Doktorarbeit anhand von Strukturentscheidungen zum IT-Planungsrat, wie das Pendel mal Richtung Dezentralisierung ausschlägt, etwa bei der Einrichtung der Fitko als Bund-Länder-Behörde statt als Bundesbehörde, mal Richtung Zentralisierung, beispielsweise bei den weitgehenden Kompetenzen des Bundes bei der OZG-Gesetzgebung. Auf welches Pferd wir bei der Verwaltungsdigitalisierung setzen, ist offensichtlich weiterhin offen.

Dünne Forschungslage trotz akuter Forschungsfragen

Insgesamt ist die Forschungslage zum Komplex E-Government und Föderalismus in Deutschland trotz akuter Praxisrelevanz dünn. Möglicherweise ist das Politikfeld Verwaltungsdigitalisierung aus theoretischer Perspektive nicht fruchtbar genug, sondern mit altbekannten Mechanismen wie Politikverflechtungsfalle, Entflechtungsfalle, positiver und negativer Koordination schnell zu Ende erklärt.

Die umfassendste mir bekannte Analyse aus dieser Perspektive hat Moritz Junginger, Referent im Hessischen Wirtschaftsministerium für IKT und Digitalisierung, in seiner Masterarbeit zum IT-Planungsrat vorgelegt. Er zeigt, dass sich Bund und Länder im IT-Planungsrat im bestehenden Rechtsrahmen positiv koordinieren, also konstruktiv gemeinsam Lösungen entwickeln. Im Unterschied dazu steht die negative Koordination, bei der jeder Beteiligte störende Punkte rausstreicht, bis ein kleinster gemeinsamer Nenner übrigbleibt. Im IT-Planungsrat beobachtet Junginger keine klassische Fraktionsbildung entlang von Parteilinien, sondern macht auf den zum Teil länderübergreifenden Einfluss der öffentlichen IT-Dienstleister aufmerksam.

Mehr Forschung wäre hier hochwillkommen, um Antworten auf die regelmäßig aufkommenden Gestaltungsfragen bieten zu können. So gilt eine hohe Zahl an Gremien laut Föderalismusforschung als eine Voraussetzung für funktionierende positive Koordination. Denn irgendwo müssen die nötigen Verhandlungen stattfinden, wenn man zusammenarbeiten muss, es aber keinen klaren Bestimmer gibt. Junginger stellt in seinen Interviews jedoch fest, dass das Umfeld des IT-Planungsrats die Zahl und Komplexität der Gremien als zu hoch ansieht. Selbst Bundes-CIO Richter diagnostiziert: „Wir haben zu viele Gremien“. Kann es also auch bei positiver Koordination ein zu viel an Gremien geben? Wo ist das richtige Maß? An Policy-relevanten Forschungsfragen mangelt es in der Verwaltungsdigitalisierung nicht – eher an Anreizen für die Wissenschaft, sich diesen zu stellen.

Plattform-Ansatz als Kompromiss aus Verbindlichkeit und Individualität

Meine Aufmerksamkeit für das Thema erregte das im Mai veröffentlichte NEGZ-Impulspapier „Rechtliche Wege hin zum föderalen Plattform-Ökosystem“ von Inga Karrer und Moritz Ahlers. Es untersucht die verfassungsrechtlichen Bedingungen für einen Plattform-Ansatz in der Verwaltungsdigitalisierung. Das ist in doppelter Hinsicht interessant: Einerseits arbeitet das Papier heraus, dass Bund und Länder jenseits eng definierter Umsetzungsbedarfe des OZG jeweils weitgehend machen können, was sie wollen. Um darüber hinausgehende Standards vorgeben zu können, bräuchte es Grundgesetzänderungen. Andererseits ist der Plattform-Ansatz selbst eine interessante Organisationsvariante des Föderalismus.

Das Papier schlägt vor, die Verwaltungsdigitalisierung als Plattform-Ökosystem zu gestalten. Als Plattform ist dabei ein Bündel aus verpflichtenden technischen Standards und vorgegebenen Basiskomponenten zu verstehen, etwa für Bezahlen oder Authentifizieren. Damit sind alle Anwendungen, die sich an die Spezifikationen der Plattform halten, automatisch interoperabel. Innerhalb dieses Rahmens sind aber sowohl Nutzer:innen als auch Anbietende frei in ihrem Handeln. Anschauungsbeispiel ist dabei das Android-Betriebssystem und der zugehörige Play-Store, über den Drittanbieter ihre Software den Nutzer:innen anbieten. Als eine Analogie aus dem Föderalismus kann man die Rahmengesetzgebung sehen, bei der die Länder innerhalb des durch Bundesgesetze gesteckten Rahmens frei gestalten können.

Plattform ermöglicht echten Wettbewerb zwischen Lösungsherstellern

Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Plattform ist ein eindeutiger Plattform-Eigner, der Standards und Basiskomponenten vorgibt und durchsetzt. Insofern mag das Aufgeben von Autonomie bei Standards und Basiskomponenten unterm Strich sogar ein Mehr an Handlungsfreiheit für die einzelnen Akteure ermöglichen: Erstens, weil im Rahmen der Plattform ein echter Wettbewerb unter den Lösungsherstellern mit niedrigen Markteintrittsschranken entstehen kann. Zweitens, weil auf Grundlage der Plattform auch ein stärkerer Wettbewerbsföderalismus wirken kann.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob ein solcher Plattform-Ansatz nicht viel mehr dem Geist des deutschen Föderalismus entspricht. In einem solchen Plattform-Ökosystem kann im vorgebenen Rahmen auch die erweiterte deutsche Verwaltungslandschaft ihre individuelle Digitalisierung selbst bestimmen, ohne inkompatible Insellösungen zu produzieren – also Kommunen, Körperschaften der Selbstverwaltung, Anstalten, Stiftungen, und viele mehr.

Es lohnt sich, Ziele föderaler Prozesse zu hinterfragen

Die Standardisierungsverfahren im E-Government liegen durch das DIN-Whitepaper aktuell auf der fachpolitischen Agenda. Ich werte dies als Zeichen, dass die zentrale Bedeutung von Standardisierung endlich ernst genommen wird und sich dabei vielleicht sogar ein Möglichkeitsfenster in Richtung Plattform-Ansatz öffnet.

E-Government wird durch den Föderalismus gestaltet, gestaltet ihn aber auch mit. Aus der Vogelperspektive scheinen viele Design-Entscheidungen eher erratisch und vom Tagesgeschäft getrieben als planvoll und mit dahinterliegender Vision. Es lohnt sich, hier – ob mit wissenschaftlicher Unterstützung oder ohne – ab und an einen Schritt zurückzutreten und zu fragen: Wie wollen wir unsere föderalen Prozesse gestalten, mit welchem Ziel und aus welchem Grund?

Basanta Thapa forscht und kommuniziert als Geschäftsführer des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums e.V. in Berlin, einem Fachnetzwerk und Denkfabrik zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Sein Forschungsschwerpunkt ist die datengesteuerte Verwaltung. Er hat unter anderem am Kompetenzzentrum Öffentliche IT des Fraunhofer Fokus, an der Hertie School of Governance, am European Research Center for Information Systems und an der Technischen Universität Tallinn geforscht.
Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Blind durch die Verwaltungsdigitalisierung“.

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