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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Das perfekte Rezept für Verantwortungsdiffusion

Lea Nesselhauf, Wissenschaftliche Referentin bei German Zero
Lea Nesselhauf, Wissenschaftliche Referentin bei German Zero Foto: Viktor Strasse

Der Koalitionsausschuss hat die Sektorziele geschliffen. Damit hat die Ampel eine kohärente Klimaschutzarchitektur aufgegeben, ohne eine wirksame Alternative zu schaffen. Dabei hatte die FDP einen interessanten Vorschlag gemacht.

von Lea Nesselhauf

veröffentlicht am 31.03.2023

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„Never split the difference– das ist ein Buchtitel und ein allgemeiner Verhandlungsratschlag. Gemeint ist, dass es bei zwei konträren Positionen häufig nicht sinnvoll ist, sich genau in der Mitte zu treffen, weil dann von beiden nicht viel Sinnvolles übrigbleibt. Es scheint so, als wäre genau das bei dem Koalitionsausschuss zwischen FDP und den Grünen beim Grundsatzstreit um den richtigen Ansatz beim Klimaschutz passiert.

Sektorziele als Rückgrat der Klimaschutzarchitektur

Zu Recht haben Umweltverbände seit Monaten darauf gepocht, dass die Bundesregierung die sogenannten Sektorziele nicht abschafft. Denn sie bilden das Rückgrat der deutschen Klimaschutzarchitektur, indem sie für alle Sektoren jährliche Emissionsreduktionsziele festlegen. Durch die transparente Festlegung der Jahresemissionsmengen soll die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte Planungssicherheit gewährleistet werden – vor allem aber eine klare Verantwortungszuteilung.

Jedes Ressort ist dafür zuständig, sein Emissionsbudget einzuhalten. In der Theorie ist das ein guter rechtlicher Mechanismus, um sicherzustellen, dass die Transformation nicht in einzelnen Sektoren verschleppt wird. In der Praxis stieß er im letzten Jahr an seine Grenzen, als sich das Verkehrsministerium schlicht weigerte, der Rechtspflicht zur Vorlage eines Sofortprogramms wegen Emissionsüberschreitungen aus dem Vorjahr nachzukommen. Absehbar wird das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den zwei dazu anhängigen Klagen stattgeben – vorübergehend führte dies jedoch zu einem klimapolitischen Stillstand im Verkehrsbereich.

Ein konstruktiver Vorschlag der FDP

Vor zwei Wochen veröffentlichten Lukas Köhler und Johannes Vogel einen Alternativvorschlag zur Klimagovernance durch Sektorziele. In einem Diskussionspapier schlugen sie vor, diese durch eine Reform des nationalen Brennstoffemissionshandels (BEH) zu ersetzenDemzufolge sollten die bestehenden Festpreise bereits ab 2024 aufgehoben und das System in einen „echten“ Emissionshandel überführtwerden.

Dabei sollte die Zertifikatemenge im Einklang mit den Vorgaben der EU-Lastenteilungsverordnung (die im Wesentlichen dem Reduktionspfad des Klimaschutzgesetzes entsprechen) fest gedeckelt werden. Damit hätten theoretisch fast alle Emissionen aus dem Verkehrs- und Gebäudebereich erfasst und eine zielsichere Begrenzung der Emissionen gewährleistet werden können.

Nötig wären Modifikationen

Ein guter Ansatz – jedenfalls mit einigen Modifikationen: So müssten die geplanten „Flexibilitätsoptionen“ gestrichen werden; sie würden das System massiv aufweichen. Außerdem reicht die alleinige Erwähnung des Klimageldes für einen sozialen Ausgleich nicht aus. Eine ausdifferenzierte soziale Abfederung des Preisanstiegs wäre herausfordernd, aber nicht unmöglich. Denn die Preissteigerungen würden auch zu hohen Staatseinnahmen führen und Konzepte zur sozial gerechten Rückverteilung wie Härtefallfonds, bedarfsorientierten E-Mobilitätsprämien etcetera existieren zuhauf.

Man mag darüber streiten, ob das ein guter Ersatz für die Sektorziele wäre - zur Vermeidung von Verantwortungsdiffusion zwischen dem Verkehrs- und dem Gebäudeministerium wäre eine Ergänzung nach meiner Ansicht sinnvoller. Denn Sektorziele erhöhen den Druck, zusätzlich weitere Maßnahmen wie zum Beispiel ein Tempolimit oder Zulassungsverbote für fossile Technologien auszuschöpfen. Anders gesagt: Die Nicht-Einführung eines Tempolimits verknappt die Zertifikatemenge und treibt damit Kraftstoff- und Heizkosten in die Höhe.

Jeder ab heute neu zugelassene Pkw mit Verbrennungsmotor konkurriert mit bereits zugelassenen Fahrzeugen an der Zapfsäule und bereits eingebauten Gasheizungen. Trotzdem würde eine Reform des nationalen Brennstoffemissionshandels ohne die „Flexibilitätsoptionen“ selbst ohne Sektorziele eine zielsichere Möglichkeit darstellen, um eine Einhaltung der Klimaziele bis 2030 zu gewährleisten. Denn der Vorteil von Emissionshandelssystemen mit einer festen Deckelung der Zertifikatemenge liegt darin, dass sie Zielbestimmung und Maßnahme zugleich darstellen.

Das Schlechteste aus zwei Welten

Die Lösung, die die Ampel nach drei Tagen mühsamen Ringens gefunden hat, beinhaltet nun weder eine feste Deckelung der Zertifikatemenge im Rahmen von Emissionshandelssystemen, die alle Sektoren abdecken, noch rechtsverbindliche Sektorziele. Damit steht es um die Klimaschutzarchitektur schlechter als mit dem Gesetz der großen Koalition oder dem FDP-Vorschlag.

Die Sektorziele sollen künftig nur noch dem Monitoring dienen. Nach der Reform sollen „alle Sektoren aggregiert betrachtet“ werden. Sektorspezifische Sofortprogramme wegen überschrittener Reduktionsziele werden durch Maßnahmen ersetzt, die von allen Ministerien gemeinsam erarbeitet werden sollen – aber erst, wenn die Projektionsdaten zwei Jahre hintereinander zeigen, dass insgesamt das Reduktionsziel für 2030 nicht erreicht wird.

Verantwortungsdiffusion durch Ressortabstimmung

Das Ministerium, in dessen Bereich die Überschreitung fällt, muss zwar „beitragen“ – unklar bleibt jedoch, in welchem Umfang. Klimaschutz wird damit primär zu einer Ressortabstimmung, die damit der Exekutive und nicht dem Gesetzgeber überlassen wird – unter Gewaltenteilungsaspekten nicht unproblematisch. Und davon abgesehen das perfekte Rezept für Verantwortungsdiffusion.

Es wird auch vorerst kein Emissionshandelssystem mit fester Zertifikatemenge für den Verkehrs- und den Gebäudebereich geben. Der Vorschlag zur BEH-Reform findet sich im Kompromiss nicht wieder; es gibt nur den Verweis darauf, dass ein Übergang vom deutschen Brennstoffemissionshandelsgesetz zum europäischen Emissionshandel (in diesem Fall ETS II) gestaltet werden soll. Das reicht keinesfalls: Der EU-ETS II greift erst ab 2027 und seine Einführung soll im Fall hoher Öl- und Gaspreise sogar verschoben werden.

Außerdem ist die Zertifikatemenge zwar gedeckelt; bei Preisen über 45 Euro pro Tonne CO2 sollen aber in den ersten zwei Jahren zusätzliche 20 Millionen Zertifikate ausgeschüttet werden. Damit droht genau das, wovor das Bundesverfassungsgericht warnte: Eine einseitige Verschiebung der Emissionsreduktionslast in die Zukunft, die eine „Vollbremsung“ erforderlich machen könnte. Die Regierung hat den europarechtlichen Spielraum nicht genutzt, durch eine BEH-Reform bis 2030 einen nationalen effektiveren Emissionshandel zu nutzen.

Wo ist der “Klimakanzler”?

Auch der soziale Ausgleich scheint im Kompromiss verloren gegangen zu sein. Noch vor einem Jahr erklärte die Ampel nach ihrem Koalitionsausschuss, zeitnah einen Auszahlungsweg für das Klimageld finden zu wollen. Davon ist keine Rede mehr. Eine schlechte Nachricht für die Sozialverträglichkeit und die Akzeptanz von Klimaschutz, da vor allem Menschen mit geringem Einkommen davon profitiert hätten. Es wirkt, als wäre der Ampel das gerade noch aufgefallen, denn der letzte Satz auf den 16 Seiten lautet „Niemand wird im Stich gelassen.“ Darauf muss man dann wohl vertrauen.

Nicht nur bei letzterem Punkt frage ich mich, was eigentlich mit der SPD ist? Warum hat sie „ihr“ Gesetz nicht verteidigt? Warum hat sie in Kauf genommen, dass das Klimageld nun gar nicht kommt? Wie kann ein selbst ernannter „Klimakanzler“ diesen Kompromiss mittragen? In jedem Fall scheint es so, als habe die Koalition um ihre Prinzipien verhandelt, und dabei das übergeordnete Ziel aus den Augen verloren: Eine systemisch gedachte und kohärente Klimaschutzarchitektur, die geeignet ist, die verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen und zukünftigen Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen.

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