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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Der Ladesäulenausbau bremst nicht den E-Auto-Hochlauf

Björn Niggl, Leiter Alternative Tank- und Ladeinfrastruktur bei en2x Wirtschaftsverband Fuels und Energie
Björn Niggl, Leiter Alternative Tank- und Ladeinfrastruktur bei en2x Wirtschaftsverband Fuels und Energie Foto: en2x

Die europäische Autoindustrie hat einen mangelnden Ausbau der Ladeinfrastruktur beklagt. Sie sieht darin eine Ursache für die fehlende Transformation im Mobilitätssektor. Die Fakten scheinen auf den ersten Blick stimmig. Der Absatz an Elektroautos war in den vergangenen fünf Jahren größer als der Zubau mit Ladeinfrastruktur. Eine genaue Betrachtung der Zahlen rückt die Debatte allerdings in ein anderes Licht.

von Björn Niggl

veröffentlicht am 13.05.2024

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Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur empfiehlt für Deutschland ein Verhältnis von 14 bis 22 Elektroautos je öffentlichen Ladepunkt. Aktuell – Mitte 2024 – sind in Deutschland rund 150.000 öffentliche Ladepunkte installiert. Damit liegen wir in Deutschland leicht über dem Quotienten von 14, also genau im Zielkorridor. Gemäß den Zahlen des Autoindustrieverbandes Acea liegt der aktuelle Quotient für ganz Europa sogar noch deutlich darunter. Gerade einmal drei Elektroautos müssten sich demnach einen öffentlichen Ladepunkt teilen. 

Die Betreibergesellschaften öffentlicher Ladeinfrastruktur sind darauf angewiesen, dass sie an ihren Ladepunkten Strom verkaufen. Der Erlös kann anschließend in weitere Ladepunkte investiert werden. Die tatsächliche Auslastung öffentlicher Ladeinfrastruktur bleibt allerdings auf Rekordtief und liegt im Mittel zwischen sechs und zehn Prozent. Positiv ist anzumerken: Tendenz steigend. Das liegt auch daran, dass der Ladeinfrastrukturbestand nach 2020 nicht mehr ganz so schnell gewachsen ist wie der Elektroautobestand. Aber kann die geringere Ausbaugeschwindigkeit verantwortlich gemacht werden für einen Rückgang beim Verkauf von Elektroautos? Das scheint eher unwahrscheinlich. 

Mangelnde Wirtschaftlichkeit der Investitionen

So sind die Betreiber von Ladeinfrastrukturen gerade in den Anfangsjahren der Elektromobilität, von 2014 bis 2020, erheblich in Vorleistung gegangen. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der öffentlichen Ladepunkte allein in Deutschland von praktisch null auf knapp 45.000 an. Gerade in dieser Zeit gab es zuweilen fast genauso viele öffentliche Ladepunkte wie Elektroautos. Dass sich diese Investitionen in der Regel bis heute nicht gerechnet haben, wird gerne verschwiegen. 

Im Gegenteil: Die Schnellladeinfrastruktur aus den Anfangsjahren wird mittlerweile zurückgebaut, ausgetauscht, ersetzt. Der Technologielebenszyklus gerade zu Beginn einer neuen Technologie ist extrem kurz. Betriebskosten durch hohen Stand-by-Verbrauch und geringen Wirkungsgrad bei der Energieumwandlung ließen kaum eine erfolgreiche Amortisation zu. 

Neue Ladegeräte sind deutlich leistungsfähiger und gleichzeitig sparsamer im Eigenenergieverbrauch. Doch nicht nur die nominale Anzahl der Ladepunkte ist entscheidend, sondern auch die zur Verfügung gestellte Ladeleistung, denn diese bestimmt die Dauer des Ladevorgangs und damit die potenzielle Kundenfrequenz pro Ladesäule. Laut der kürzlich vom Energieverband BDEW veröffentlichten Jahreserhebung ist die installierte Gesamtladeleistung im Jahr 2023 um rund 45 Prozent gewachsen. Zudem ist auch – diversen Förderinstrumenten sei Dank – der Anteil nicht-öffentlicher Ladepunkte angestiegen, etwa mit der Wallbox zu Hause.

Derweil ist die Politik im Begriff, einen Fehler beim Ladesäulenhochlauf zu machen. Nahezu 100 Prozent der flüssigen Mobilitätsenergie – Benzin und Diesel – werden derzeit an Tankstellen verkauft. Die Elektromobilität wird diesen Zustand verändern. Nutzerinnen und Nutzer von E-Autos schätzen es sehr, ihr Fahrzeug überall dort laden zu können, wo sie gerade sind: zu Hause, bei der Arbeit, beim Wocheneinkauf, am Restaurant, beim Baumarkt, Kino oder Möbelhaus. 

Versorgungsauflage nicht sinnvoll

Die en2x-Mitgliedsunternehmen, die zusammen rund 30 Prozent der Schnellladepunkte in Deutschland betreiben, setzen sich intensiv mit einem gesteuerten Aufbau von Ladeinfrastruktur auseinander, der sich aber auch an den Zulassungszahlen für Elektroautos messen lassen muss.

Umso irritierender ist daher die geplante Einführung einer Versorgungsauflage, die Tankstellen zu einem Aufbau von Ladeinfrastruktur zwingen soll. Sie wird keinen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Autofahrer vom Übergang zur Elektromobilität zu überzeugen. Bereits heute steht bei fast zwei Drittel aller Tankstellen eine Schnellladesäule in unmittelbarer Nähe. Ladeinfrastruktur ist wahrnehmbar. Und auch die Mineralölgesellschaften halten beim Aufbau von Ladeinfrastruktur mit dem Gesamtmarkt Schritt – sowohl an als auch außerhalb von klassischen Tankstellen. 

Der Ausbau des Ladesäulennetzes ist in vollem Gang und orientiert sich dabei eng am Hochlauf der Elektroautos. Ein Schlüssel für den Erfolg und die Marktdurchdringung der E-Mobilität sind bedarfsgerechte Modelle, entsprechende Preise und hohe Verfügbarkeit. Am angeblich zurückbleibenden Aufbau einer passenden Ladeinfrastruktur leidet der Hochlauf der Elektromobilität dagegen nicht.

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