Es ist wohl eines der populärsten Narrative der deutschen Mobilitätswende: das von einer zu lückenhaften, zu langsam wachsenden Ladeinfrastruktur – hauptverantwortlich für einen noch immer nicht ausreichenden Hochlauf der Elektromobilität. Potenzielle Käufer von E-Autos schrecken vor dem Erwerb eines solchen Fahrzeugs zurück, da sie Angst davor haben, nicht genug Ladepunkte zu finden, lange darauf warten zu müssen, dass eine Ladesäule frei wird, oder Stunden damit zu verschwenden, ihr Auto aufzuladen.
Dies belegen auch Zahlen aus der jüngsten Nutzerumfrage des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): 68 Prozent der Menschen, die mit dem Gedanken spielen, sich ein E-Auto anzuschaffen, machen sich vor dem Erwerb vor allem Sorgen um das Thema Reichweite, 48 Prozent über das Thema Verfügbarkeit von öffentlichen Ladesäulen und 39 Prozent darüber, ob es genügend Ladesäulen im öffentlichen Raum gibt.
Spannenderweise ändern sich diese Sorgen nach dem Kauf eines E-Fahrzeugs gänzlich: Nur acht Prozent der E-Autofahrer geben an, dass sich ihre Bedenken bezüglich der Reichweitenangst bestätigt haben, nur etwa 15 beziehungsweise 18 Prozent sehen ihre Sorgen bezüglich Verfügbarkeit und Anzahl öffentlicher Ladesäulen bestätigt.
Doch nicht nur Nutzermeinungen bestätigen, dass das Ladenetz längst nicht mehr das Problem ist: Auch der aktuelle Elektromobilitätsmonitor des BDEW beweist, was von Branchenexperten längst beobachtet, aber bislang nur wenig Gehör gefunden hat: Die Infrastrukturanbieter haben ihre Hausaufgaben gemacht; und zwar mit Fleiß. Eine Gesamtzahl von mehr als 100.000 öffentlich zugänglichen Ladepunkten mit insgesamt 4,5 Gigawatt (Stand Juli) zeugen von einer Ladeleistung – und nur darum geht es heute noch –, welche die EU-Vorgaben schon jetzt um das Doppelte übertrifft. Die Wachstumskurve zeigt dabei deutlich nach oben.
Im Land der Bedenkenträger: Warum gelingt der Umstieg nicht?
Auch das Verhältnis E-Fahrzeuge zu Ladepunkten (drei Millionen zu 500.000 laut European Alternative Fuels Observatory 2022, beim Verbrenner 280 Millionen zu 800.000 Tanksäulen) spricht eine deutliche Sprache: Die Ladeleistung ist nicht das Problem.
Warum ist Deutschland der Umstieg auf Elektromobilität trotz all dieser Voraussetzungen dennoch bisher nicht geglückt? Aktuelle Zahlen aus der Automobilbranche zeigen: Trotz Neuzulassungsrekord zum Jahresauftakt hinkt das Elektromobil den von der Regierung geplanten Verkaufszielen deutlich hinterher. Gemeinsam mit der Politik muss die Industrie nun deswegen rasch die richtigen Anreize schaffen, um mehr Menschen zum Umstieg auf eine Fahrzeugtechnologie zu bewegen, die doch längst ausgereift ist.
Gleichzeitig gilt es, das öffentliche Ladenetz nicht nur kontinuierlich auszuweiten, sondern auch deutlich besser auszulasten. Es geht nicht nur darum, Hausaufgaben zu machen, es geht darum, das Land in der Breite für die Mobilitätswende zu befähigen und alle vorhandenen Bedenken auszuräumen – ein für alle Mal.
Woher rührt also Deutschlands mühsamer Beziehungsaufbau zum Elektroauto? Warum ist Deutschland gerade, wenn es um das Thema E-Mobilität geht, ein Land der „Ja, aber“-Sager? In der aktuellen Nutzerumfrage des BDEW verraten E-Autofahrer, dass ihnen die hohen Anschaffungskosten und die langen Lieferzeiten im Vorfeld der Kaufentscheidung die größten Sorgen bereitet haben – und dass sich diese Sorgen, im Gegensatz zur Reichweitenangst, bestätigt haben.
Auch die Entwicklung der Ladeerfahrung an öffentlichen Punkten wird insgesamt positiv wahrgenommen. Doch das bedeutet nicht, dass es hier keinen Handlungsbedarf gibt. Beim Blick in die Auslastung des deutschen Ladenetzes werfen freie Kapazitäten von durchschnittlich 85 Prozent am Tag ein Schlaglicht auf das verschenkte Potenzial an Deutschlands Ladepunkten. Um immer mehr E-Autofahrern auch in Zukunft allzeit und überall eine gute öffentliche Ladeoption bieten zu können, muss das öffentliche Netz smarter und effizienter (an-)gesteuert werden.
Digitale Services verbessern die Qualität des Ladenetzes
E-Mobility Service Provider spielen eine Schlüsselrolle bei der Verkehrswende. Zum einen, da sie mit digitalen Services die Qualität des Ladenetzes verbessern und jede gute Erfahrung eines E-Mobilisten das Image der Elektromobilität stärkt. Zum anderen, weil hochwertige und lückenlose Verfügbarkeitsdaten ungefähr so wichtig für das System Laden sind wie das Stellwerk für die Bahn.
Doch um diese Möglichkeiten in Gänze ausschöpfen zu können, braucht es eine Politik, die den Rahmen schafft; zum Beispiel für exzellente Datenqualität, aber auch für nachhaltiges Wachstum. Statt in die freie Preisbildung einzugreifen oder mit immer neuen Regularien und bürokratischen Hürden den Ausbau der E-Mobilitätsinfrastruktur zu erschweren, sollte sich der Gesetzgeber auf das Festsetzen von Standards beschränken, beispielsweise was Steckertypen, Datenprotokolle oder digitale Bezahlweisen angeht. Denn Standards erleichtern den Zugang und die Nutzung zur E-Mobilität, schaffen Vergleichbarkeit und fördern so den Wettbewerb. Vor allem aber helfen sie digitalen Ladediensten dabei, ein wirklich nahtloses und überzeugendes Nutzererlebnis zu ermöglichen.
Um längst überholte Vorurteile gegenüber E-Fahrzeugen abzubauen, haben Flotten und Dienstwagen viel Potenzial und schaffen Akzeptanz. Personen, die der Elektromobilität gegenüber eher skeptisch sind, können durch einen elektrisch betriebenen Dienstwagen ganz niedrigschwellig ein E-Fahrzeug testen und so graduell ihre Ressentiments gegenüber dieser Art der Mobilität abbauen. E-Dienstwagen erleichtern somit den Einstieg und bringen Menschen in Kontakt mit dem elektrischen Fahren.
Arbeitgeber, die mit 360-Grad-Lösungen auch Home Charging anbieten, legen häufig den Grundstein für den privaten Umstieg. Aber auch finanzielle Anreize bei der Anschaffung sind wichtig, damit E-Autos für die breite Masse attraktiv werden. Nicht zuletzt ist die Automobilindustrie dazu aufgefordert, schneller und bedarfsgerechter zu produzieren. Nur wenn der Markt rasch an Vielfalt gewinnt und Premium-Marken auch kleinere und günstigere Modelle anbieten, kann sich in der Folge auch ein attraktiver Gebrauchtwagenmarkt entwickeln.
Warum gelingt es anderen europäischen Ländern?
Beim Blick auf andere europäische Länder wird schnell deutlich, was in Deutschland noch nicht der Fall ist: Die E-Quote bei Neuwagen liegt in Norwegen bei mehr als 80 Prozent, im Gegensatz zu nur 14 Prozent in Deutschland. Der Grund? Eine konsequente staatliche Förderung, Anreize für den Erwerb von E-Autos und ein gut ausgebautes und ausgelastetes Ladenetz. Dies scheint vor allem spannend, wenn man bedenkt, dass der deutsche Staat seine Subventionen für E-Autos bereits drastisch heruntergefahren hat und für 2024 plant, seine Förderungen noch weiter zu reduzieren, was sich auf den Kauf von Elektroautos auswirken dürfte.
Alle sind sich sicher: Es müssen mehr Elektroautos auf die Straße gebracht werden. Politik, Industrie und Unternehmen: Jeder muss seine Verantwortung wahrnehmen. Es hat sich etwas verändert an der Erzählung von Deutschlands Verkehrswende. Der Lademarkt hat Fahrt aufgenommen und rekordverdächtig aufgeholt; wenn die Politik sich nun auf das Wesentliche fokussiert, weiter sinnvoll subventioniert, mehr preislich attraktive Fahrzeuge nicht nur bestellt, sondern auch geliefert werden, dann werden die Marktkräfte den Rest übernehmen. Dies anzuerkennen ist der erste Schritt; die richtigen politischen Maßnahmen und Anreize abzuleiten, könnte dann aber den raschen Durchbruch der Elektromobilität bedeuten. Denn die Verkehrswende bleibt eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung – täglich rund 82.500 freie Ladepunkte stehen bereit, um ihren Zweck zu erfüllen.