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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Die Zukunft des Warenstroms

Roman Noack, CEO des Technologie- und Transportunternehmens Helrom
Roman Noack, CEO des Technologie- und Transportunternehmens Helrom Foto: Helrom

Wie kommen endlich mehr Güter auf die Schiene? Die Kombination von Zug und Straße muss deutlich vereinfacht werden. Ein intermodaler Transport muss für kleinere Speditionen, kürzere Wege und geringere Stückzahlen logistisch möglich und rentabel werden, schreibt Roman Noack, CEO des Unternehmens Helrom. Die technologischen Lösungen hierfür existieren bereits. Mit neuen horizontalen Verladetechniken können nicht kranbare Trailer bequem umsteigen.

von Roman Noack

veröffentlicht am 28.05.2021

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Würde man an jede Orange, jeden Fernseher, Kühlschrank oder Gartenstuhl einen Zettel mit den zurückgelegten Kilometern kleben, wäre mit einem Schlag sichtbar, was die meisten beim Einkaufen ausblenden: Wir sind eine kilometerfressende Transportgesellschaft. Insgesamt wurden 2019 mehr als 4,7 Milliarden Tonnen an Gütern und Waren durch Deutschland transportiert, eine Zahl, die so hoch ist, dass sie nur wenig greifbar scheint. Dieser Transportstrom ist der Pulsschlag unseres Lebensstandards, er sichert die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie und verbindet uns mit den Märkten der Welt.

Die negative Seite des endlosen Güterverkehrs kann jeder von uns täglich auf Deutschlands Straßen am eigenen Leib erfahren: kilometerlange Lkw-Kolonnen, Staus und ein überlastetes Straßennetz. Allein die dringend benötigte Bereitstellung fehlender Lkw-Stellplätze an den Autobahnen würde den Bund zwischen 1,35 und 2,32 Milliarden Euro kosten. Der Verkehrskollaps ist sichtbarer Ausdruck einer elementaren Herausforderung: der massiv steigenden Umweltbelastung durch unseren Güterverkehr.

Insgesamt wuchs der Güterverkehr von 1991 bis 2019 um 75 Prozent, doch nur ein geringer Teil davon entfiel auf Bahn und Binnenschiff. Der Straßengüterverkehr wuchs im genannten Zeitraum um erschreckende 103 Prozent – eine Verdopplung der Verkehrsleistung. Gleichzeitig sank der Anteil der Bahn sogar und liegt heute nur noch bei 18,9 Prozent.

Ein Güterzug verursacht 85 Prozent weniger CO2 als ein Lkw

Das wachsende Ungleichgewicht zugunsten der Lkw auf Deutschlands Straßen ist besonders problematisch, da diese pro Kilometer deutlich höhere Luftschadstoffemissionen verursachen als Bahn oder Pkw. Bei den Emissionen von Treibhausgasen liegen Lkw mit 111 Gramm pro Tonnenkilometer deutlich vor dem Schienengüterverkehr (17 g/tkm) und den Binnenschiffen (30 g/tkm). Der Verkehrssektor war 2019 für 20 Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich.

Seit Jahren ist es das Ziel der Bundesregierung, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu verlegen. Aus gutem Grund: Ein Güterzug benötigt etwa 20 Prozent der Energie eines Lkw und verursacht lediglich rund 15 Prozent von dessen klimaschädlichen Emissionen. Kein Verkehrsmittel hat einen höheren Anteil an Elektromobilität. Der Bahnverkehr ist heute schon zu 92 Prozent elektrisch, und wenn dieser Strom aus regenerativen Energiequellen kommt, ist die Bahn wirklich klimaneutral.

Bis 2030 soll der Anteil der Schiene beim Güterverkehr von heute 19 Prozent auf 25 Prozent erhöht werden. Diese Steigerung des Schienengüterverkehrs wurde 2017 im Masterplan Schienengüterverkehr festgelegt und 2020 noch einmal bekräftigt. Im Rahmen eines Schienenpaktes des Zukunftsbündnisses Schiene sollen Eisenbahnunternehmen von 2020 bis 2025 vom Bund mit 200 Millionen Euro unterstützt werden. Diese Investitionen sind wichtig, doch sie alleine werden uns nicht ans Ziel bringen. 

Der überwiegende Anteil an Konsumprodukten, Industriebedarf und Waren wird nicht in Güterwaggons transportiert, sondern in Trailern. Für den Alltagsblick ist ein Lastwagen ein Lastwagen, für den Transportunternehmer ist er eine Zugmaschine, die einen Trailer zieht. Diese Trailer sind die Grundeinheit der Transportgesellschaft. Der europäische Warenstrom ist eine ungeheure Zirkulation dieser flexiblen und allgegenwärtigen Transportbehälter.

Das Problem ist: Diese Transportbehälter fahren nicht gerne Bahn. Sie lassen sich nur unter großem technischem Aufwand auf einen Zug setzen. Bisher stehen hierfür große Verladestationen zur Verfügung, deren Terminalsysteme ursprünglich tatsächlich für Seecontainer konzipiert wurden. Häufig kommt es an diesen Knotenpunkten zu längeren Wartezeiten, und am Ende der Bahnfahrt fehlen oft Zugmaschine und Fahrer, um den Trailer die letzten Kilometer zum Zielort zu bringen. Um die Bahn zum tragenden Bestandteil einer ökologischen Verkehrswende zu machen, müssen diese Hürden überwunden werden.

Einen Begriff für diesen Transportweg gibt es bereits: intermodal. Dieser Begriff beschreibt den Wechsel eines Containers oder Trailers von der Straße auf die Schiene und zurück. Das Ziel dieser Idee ist die ökologisch sinnvolle und wirtschaftlich tragbare Kombination von Straße und Schiene. Doch noch sind die heute verbreiteten Transporttechnologien nicht in der Lage, dieses Konzept flächendeckend umzusetzen.

Mehr als 90 Prozent aller Sattelauflieger sind nicht kranbar

Immer noch fahren die meisten Trailer über alle Entfernungen auf der Straße, ohne auch nur in die Nähe eines Zuges zu kommen. Was sollten sie dort auch? Sie können nicht einsteigen, denn sie lassen sich mit den Kransystemen der großen Stationen nicht verladen. Mehr als 90 Prozent aller Sattelauflieger auf Europas Straßen sind nicht kranbar, denn dieses System hat Nachteile bei Haltbarkeit, Ladevolumen und Wirtschaftlichkeit. Eine paradoxe Situation: Der Realität des landgebundenen Güterverkehrs steht ein teures Schienenverladesystem gegenüber, das für Seecontainer entwickelt wurde.

Und selbst wenn eine größere Menge Trailer kranbar wäre, dann würde ihre schiere Menge die heute vorhandenen Umschlagplätze überfordern. Der Ausbau einer belastbareren Infrastruktur aus entsprechenden Verladeterminals bedeutet Milliardeninvestitionen in mehrjährige Großbauprojekte. Hinzu kommt, dass eine lückenlose Logistikkette mit Fahrern und Zugmaschinen am Ende der Zugfahrt bislang nur von großen Transporteuren mit einem verteilten Netz an Standorten abgewickelt werden kann. Kleine Unternehmen, Zulieferer und terminsensible Konsumgüter haben das Nachsehen. Diese Schwierigkeiten erklären, warum der intermodale Güterverkehr bis heute keine relevante Rolle spielt.

Die Kombination von Zug und Straße muss deutlich vereinfacht werden. Ein intermodaler Transport muss für kleinere Speditionen, kürzere Wege und geringere Stückzahlen logistisch möglich und wirtschaftlich rentabel werden. Die technologischen Lösungen hierfür existieren bereits. Mit neuen horizontalen Verladetechniken können nicht kranbare Trailer bequem und einfach umsteigen. Hierfür sind weder Krananlagen noch Terminals in der Größe von Kleinflughäfen notwendig.

Barrierefreien Güterverkehr ermöglichen

Notwendig hingegen ist der strukturpolitische Wille, einen technologischen Fortschritt der Transportbranche durch klare ökologische Rahmenbedingungen zu fordern und durch einen diskriminierungsfreien Wettbewerb zu fördern. Statt weniger großer Verladestationen sind heute viele kleine Trailerbahnhöfe möglich, auf denen neue Güterzüge die herkömmlichen Straßentrailer mit horizontalen Verladetechniken schnell und einfach übernehmen können.

In einem ersten Schritt können hierzu auch vorhandene Gleisanschlüsse verschiedener Industriestandorte flexibel genutzt werden, z. B. als Trailer-Rail-Verladepunkte für mehrere Transportunternehmen. Natürlich sind wir noch weit davon entfernt, den gesamten nationalen und europäischen Güterverkehr auf diese Weise bewältigen zu können. Aber wenn wir nur 20 Prozent bis 25 Prozent des momentanen Straßengüterverkehrs in eine neue barrierefreie Form der intermodalen Güterlogistik überführen, leisten wir einen großen Beitrag für eine ökologische Verkehrswende und für die Weiterentwicklung der Transportgesellschaft in den nächsten 50 Jahren.

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