Ab 1. Januar 2024 ist die Eisenbahninfrastruktur in Deutschland gemeinwohlorientiert – das ist ein Paradigmenwechsel, der einer zweiten Bahnreform gleichkommt. Dass dieser Schritt notwendig ist, zeigt ein Blick auf die Ziele der Bahnreform von 1994.
Ziel war damals, den Bundeshaushalt zu entlasten und mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, wofür die Infrastruktur für den Wettbewerb geöffnet wurde. Zunächst ging das Vorhaben auf: Der Bundeshaushalt konnte dramatisch entlastet werden, und die Bundesmittel für die Bahn wurden bis 2015 mehr als halbiert – die Effizienz beim Einsatz öffentlicher Mittel stieg also massiv.
Gleichzeitig gewann die Schiene stetig Marktanteile hinzu, und die Verkehrsleistung wuchs – im Personenverkehr um 43 Prozent, im Güterverkehr sogar um 88 Prozent. Heute sind mehr als 450 Eisenbahnverkehrsunternehmen auf dem deutschen Schienennetz unterwegs. Es gibt so viel Wettbewerb wie nirgendwo sonst in Europa.
Investitionen in Höhe von 90 Milliarden Euro aufgestaut
Doch die Infrastruktur kommt an ihre Grenzen, da Deutschland seit der letzten Bahnreform viel auf Effizienz, aber zu wenig auf Leistungsfähigkeit und Wachstum gesetzt hat. Die Folge ist, dass sich Investitionen in Höhe von rund 90 Milliarden Euro aufgestaut haben. Unsere Bestandsaufnahme zeigt, dass der Zustand des Schienennetzes hierzulande wesentlich schlechter ist als bei den europäischen Nachbarn.
Kurz gesagt: Es ist zu voll, zu alt und zu kaputt. Vor allem die Hauptstrecken sind der hohen Auslastung nicht gewachsen, Störungen häufen sich. Das hat zur Folge, dass laufend gebaut und repariert werden muss. Wir arbeiten vielerorts im Modus von Dauerbaustellen, was zulasten von Kapazität und Qualität geht. Die Konsequenz: Im vergangenen Jahr lag die Pünktlichkeit der DB-Fernverkehrszüge nur noch bei 65 Prozent, DB Cargo verzeichnete 66 Prozent und im Nahverkehr erreichten die Züge der DB einen Pünktlichkeitswert von 92 Prozent.
Deutschlandticket und neues Personal
Während der Corona-Jahre überdeckten geringe Fahrgastzahlen und hohe Pünktlichkeitswerte diese Entwicklung. Doch die Schiene kam erfreulich schnell aus dem Nachfragetief, nicht zuletzt dank des 9-Euro-Tickets. Die stetig wachsende Nachfrage hat aber noch offensichtlicher gemacht, wie es um die Infrastruktur bestellt ist und uns vor Augen geführt: Wir brauchen einen Neustart.
Die Bundesregierung gab hierbei den Takt vor und vereinbarte im Koalitionsvertrag die Schaffung einer gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte aus der Zusammenführung von Netz und Bahnhöfen unter dem Dach des integrierten DB-Konzerns. Das politische Ziel, mehr Menschen auf die Schiene zu holen, wurde mit dem Deutschlandticket forciert – mit Erfolg, denn die Zahl der Fahrgäste steigt weiter.
Auf Seiten der Bahn stellten wir uns Mitte 2022 personell neu auf, mit einem neuen Infrastrukturvorstand und einem fast komplett neuen Vorstand bei der für den Betrieb des Schienennetzes zuständigen DB Netz AG. Die neue Führung nahm eine ehrliche Bestandsaufnahme vor und leitete daraus ein neues Bewirtschaftungskonzept ab. Das war die Basis, um zusätzlichen Mittelbedarf beim Bund anzumelden: 45 Milliarden Euro bis 2027.
Da ein Neustart nur im Schulterschluss mit allen Beteiligten gelingt, berief der Bund die Beschleunigungskommission Schiene unter Beteiligung der ganzen Branche ein. An der Dringlichkeit gab es keinen Zweifel, schnell wurden zentrale Themen identifiziert: mehr Kapazität, schnelle Verbesserungen im Bestandsnetz, Bürokratieabbau und eine vereinfachte Finanzierungsarchitektur sowie eine bessere Verzahnung mit der Bauindustrie. All diese Elemente sind in das Programm für die gemeinwohlorientierte Infrastruktur eingeflossen.
Zuverlässiger, digitaler, attraktiver
Die neue Gesellschaft erhält den Namen DB InfraGO AG, wobei das GO für „gemeinwohlorientiert“ steht. Fünf Säulen machen die neue Gesellschaft aus. Da ist zunächst das inhaltliche Programm, das die Erreichung der verkehrspolitischen Ziele sicherstellt. Für mehr Zuverlässigkeit modernisiert und baut die DB in den nächsten Jahren so viel wie noch nie – auf 40 sogenannten Hochleistungskorridoren sowie auf ca. 25.000 Streckenkilometern im Flächennetz.
Die hochbelasteten Streckenabschnitte werden auf einer Länge von mehr als 4000 Kilometern bis zum Jahr 2030 generalsaniert. Für zusätzliche Kapazität und Resilienz im Bestandsnetz sorgen mehr als 350 sogenannte kleine und mittlere Maßnahmen, zum Beispiel zusätzliche Überholmöglichkeiten für Züge. Auch die Digitalisierung soll vorankommen, um auf der bestehenden Infrastruktur mehr Züge fahren lassen zu können. Bis 2030 sollen 30 Prozent des Netzes digitalisiert sein.
Darüber hinaus werden 1800 Bahnhöfe ganzheitlich weiterentwickelt als sogenannte Zukunftsbahnhöfe, die somit auch zu attraktiven Visitenkarten für Städte und Gemeinden werden. Zudem werden Serviceeinrichtungen für die Vor- und Nachbereitung von Zugfahrten, insbesondere Abstellgleise, neu- und ausgebaut. Und um die erforderlichen zusätzlichen Kapazitäten für den Deutschlandtakt zu schaffen, treibt die DB InfraGO Aus- und Neubauprojekte sowie die Elektrifizierung von Strecken voran.
Keine Reform ohne gesetzlichen Rahmen
Zweite Säule der gemeinwohlorientierten Infrastruktur ist der gesetzliche Rahmen. Er wird durch die Novelle des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) geschaffen. Das Gesetz regelt, was der Bund finanzieren muss oder darf. Heute gilt: Die DB finanziert, im Wesentlichen aus Trassen- und Stationsentgelten, den Betrieb und die Instandhaltung des Schienennetzes und beteiligt sich anteilig an Investitionen. Der Bund finanziert Ersatz, Neu- und Ausbau.
Das Ergebnis sind sehr komplexe Finanzierungsregeln, so dürfen zum Beispiel Schwellen oder Weichen erst ersetzt und damit vom Bund finanziert werden, wenn das Ende ihrer technischen Lebensdauer erreicht ist. So kommt es, dass an einer Strecke ständig gebaut wird – mal an Weichen, mal an Oberleitungen, mal an Gleisen. Bei Bahnhöfen werden nur die Bahnsteige und die Überdachung am Gleis vom Bund finanziert, nicht aber die Empfangsgebäude.
Mit der BSWAG-Novelle soll sich das ändern: Künftig kann auch die Instandhaltung der Infrastruktur vom Bund finanziert werden, was Baumaßnahmen aus einem Guss ermöglicht. Ebenso soll der Ausbau von Stationen für steigende Reisendenzahlen aus Bundesmitteln finanzierbar sein – für die Bahnhöfe ist das ein gewaltiger Schritt nach vorne. Weitere Anpassungen werden derzeit im Gesetzgebungsverfahren diskutiert.
Finanzierungsarchitektur wird einfacher
Unabdingbar für den Neustart bei der Eisenbahninfrastruktur ist eine verlässliche Finanzierung. Vom angemeldeten zusätzlichen Mittelbedarf bis 2027 hat der Bund bereits rund 40 Milliarden Euro vorgesehen. Eine vereinfachte Finanzierungsarchitektur und ein neues Steuerungssystem sind in Arbeit. Statt 180 Finanzierungstöpfen soll es künftig nur noch drei geben – für Betrieb, für Erhalt sowie für Neu- und Ausbau.
Dass der Bund transparent und klar wissen möchte, wie die öffentlichen Mittel umgesetzt werden, liegt auf der Hand. Dafür werden neue Instrumente implementiert, unter anderem der InfraPlan, in dem künftig die Vorhaben der nächsten Jahre klar benannt und eine Finanzierung hinterlegt sein werden.
Fünfte und letzte Säule ist die Zusammenführung von DB Netz AG und DB Station&Service AG zur DB InfraGO AG zum 1. Januar 2024. Die neue Gesellschaft zieht praktisch den Zaun um die Gemeinwohlorientierung innerhalb des integrierten Konzerns, den die Bundesregierung aus guten Gründen erhalten möchte.
Gut ist: Der Start der DB InfraGO AG steht außer Frage und ist ein riesiger Schritt für die starke Schiene. Im zurückliegenden Jahr hat sich gezeigt, dass der Zeitdruck des Termins 1. Januar 2024 richtig war. Denn die Sanierung der Eisenbahninfrastruktur duldet keinen Aufschub.