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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Ist die Bahn bereit für eine Revolution?

Borislava Söllner, Marketing-Leiterin Konux
Borislava Söllner, Marketing-Leiterin Konux Foto: Konux

Start-ups können die Digitalisierung des Schienenverkehrs vorantreiben. Oft jedoch fehlt ein klarer Weg zur Kommerzialisierung und zu einem großen Roll-out. Viele Start-ups sind dadurch in einer endlosen „Pilotenschleife“ gefangen. Borislava Söllner und Helen Yin vom Unternehmen Konux beschreiben, was sich dagegen tun lässt.

von Borislava Söllner

veröffentlicht am 02.06.2023

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Die Bahn ist der heimliche Nachhaltigkeits-Champion im Verkehr. Kein anderes Transportmittel kann mit der Sicherheit und Effizienz des Bahnsystems konkurrieren. Um jedoch das volle Potenzial auszuschöpfen, sind radikale Maßnahmen erforderlich. Die mutmaßliche Verschiebung der eigentlich für 2030 vorgesehenen bundesweiten Umsetzung des Taktfahrplans um vier Jahrzehnte zog öffentliche Schockwellen nach sich.

Angesichts des Klimawandels können wir uns ein „Weiter so“ einfach nicht mehr leisten. Doch wie kann diese Transformation stattfinden? Sind etablierte Eisenbahnunternehmen selbst in der Lage und bereit, den Status quo zu hinterfragen? Werden die üblichen Technologieriesen als Disruptoren in die Branche eintreten, um sie neu zu erfinden? Oder gibt es vielleicht eine dritte Art von Unternehmen, die sinnvolle Veränderungen vorantreiben können: Tech-Start-ups.

Eisenbahn-Start-up – Widerspruch in sich oder ungenutztes Kapital?

Start-ups haben schon viele Branchen revolutioniert, von E-Commerce und Computernutzung bis hin zu Mobilität und Touristik. Allerdings scheinen das Konzept eines Start-ups und die Essenz der Bahnbranche in vielerlei Hinsicht unvereinbar. Gleichwohl können Bahngesellschaften direkt von den Innovationen junger Unternehmen profitieren, deren Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten oftmals mit Hunderten von Millionen Euro unterstützt werden (und sogar die F&E-Budgets einiger der innovativsten Bahnbetreiber selbst übertreffen).

DB Netz schloss beispielsweise vor einem Jahrzehnt eine strategische Wette auf Start-ups ab. Vor einem Jahrzehnt gründete DB Netz seinen eigenen Accelerator DB Mindbox, der bisher an die 100 Start-ups mit entsprechenden Nutzergruppen innerhalb der DB-Organisation vernetzt hat. Könnte die Förderung einer Generation von Start-ups die digitale Transformation in der Bahnbranche beschleunigen? Wir glauben ja – aber mit einigen Vorbehalten.

Barrieren für die Beschleunigung der Digitalisierung 

Wir haben im Eisenbahnsektor tätige Start-ups gebeten, einige der wichtigsten Herausforderungen zu beschreiben, mit denen sie auf ihrem Weg zu Kommerzialisierung und Wachstum konfrontiert sind, und welche Änderungen ihrer Meinung nach in der gesamten Branche vorgenommen werden müssen, um Innovation und Digitalisierung zu beschleunigen.

Mehr als 30 Unternehmen aus 14 Ländern gaben uns ihr Feedback. Die drei größten Herausforderungen, die sie identifizieren, sind das Misstrauen der Kunden (also der Bahngesellschaften) gegenüber neuen Lösungen, lange und komplexe Verkaufszyklen sowie die allgemeine Unklarheit über die Digitalisierungsstrategien der Bahnunternehmen.

Warum kommt die Einführung neuer Lösungen so langsam voran? Sicherheit hat immer oberste Priorität und das aus gutem Grund. Vor einem allgemeinen Roll-out müssen Lösungen gründlich getestet und über einen längeren Zeitraum in der Praxis bewiesen werden. Doch selbst nach jahrelangem zuverlässigen Einsatz bleiben oft ein gewisses Misstrauen und Widerstand bestehen. Jeder Kunde möchte die Lösung in seinem eigenen Umfeld im Einsatz beobachten und seine eigenen Business Cases validieren.

Dies spiegelt sich in den Prozessen wider. Bei automatisierten Überwachungslösungen, wie zum Beispiel dem Zustand einer Weiche, hängt die Fähigkeit, echte Einsparungen nachzuweisen, nicht von Berechnungen oder Schätzungen ab, sondern einzig von der Fähigkeit des Kunden, diese Ergebnisse auch umzusetzen.

Die Prozesse müssen umgestellt werden

Um tatsächliche Einsparungen zu erzielen, darf ein Wartungstechniker nicht gezwungen sein, eine Weiche im gleichen Takt wie bisher zu inspizieren, wenn eine automatisierte prädiktive Instandhaltungslösung bestätigt, dass die Weiche in gutem Zustand ist. Klingt einfach, aber in der Realität erfordert die Umsetzung solcher durch den Einsatz von Technologie gewonnener Erkenntnisse jedoch eine formelle Änderung der Prozesse. Diese Änderung aber erfordert wiederum einen nachgewiesenen Business Case.

Viele Start-ups müssen diesen klassischen „Catch 22“ überwinden, was die Technologieadoption unglaublich langsam macht, da funktionierende Lösungen nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen können, weil die betriebsinternen Prozesse hinterherhinken.

Ein weiteres Problem ist der oft lange Verkaufszyklus, der aufgrund einer unklaren Digitalisierungsstrategie der Eisenbahnbetreiber entsteht. Wie in den meisten Branchen mit Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und öffentlicher Verwaltung zeichnet sich die Bahnindustrie durch lange Beschaffungsprozesse aus, einschließlich öffentlicher Ausschreibungen. Die Kosten und die Komplexität öffentlicher Ausschreibungen können für Start-ups in ihrer Anfangsphase prohibitiv sein, wenn es um das Einhalten von Prozessen und Compliance-Vorschriften geht.

Aus Sicht der befragten Start-ups verlangsamen fehlende Klarheit, Verantwortlichkeit und die Zusage, aus einem Pilotprojekt in die kommerzielle Markteinführung zu wechseln, den Prozess weiter. Oft erkunden Bahnbetreiber Optionen in Pilotprojekten, die für den Test in kleinem Maßstab konzipiert sind. Was jedoch fehlt, ist ein klarer Weg zur Kommerzialisierung oder eine Hypothese, wie ein umfangreicher Roll-out aussehen könnte. Start-ups sind dadurch häufig in einer endlosen „Pilotenschleife“ gefangen.

Aus der endlosen „Pilotenschleife“ herauskommen

Die Transformation des Schienenverkehrs ist eine Herausforderung. Dennoch sind wir fest davon überzeugt, dass Start-ups eine treibende Kraft für diesen Wandel sein können. Die größten Hindernisse bei der Beschleunigung der Digitalisierung liegen nicht in der Technologie selbst, sondern in kulturellen und prozeduralen Aspekten. Daher sollten diese als erster Ansatz für Veränderungen betrachtet werden.

Die Start-up-Community glaubt, dass eine engere Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg sein könnte. Dies umfasst einen intensiveren Austausch bewährter Verfahren innerhalb der Community selbst sowie eine engere Zusammenarbeit mit Kunden auf allen Ebenen. Gemeinsam mit den Kunden sollte ein klarer Weg zur Kommerzialisierung entwickelt werden, um aus dauerhaften Pilotprojekten herauszukommen. Start-ups sollten zudem mit den Einkaufsabteilungen zusammenarbeiten, um die komplexen Beschaffungsverfahren besser zu verstehen und zu managen.

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