„Well, today, we’re introducing three revolutionary products.“ Mit diesen Worten kündigte Apple-Chef Steve Jobs vor ziemlich genau 16 Jahren die Einführung des iPhones an. Der Clou bestand darin, dass alle drei Produkte – ein Mobiltelefon, ein iPod und ein Internetkommunikator – disruptiv in dem selben Gerät vereint waren. Wenn man den Ankündigungen von Automobilherstellern und IT-Firmen kürzlich bei der Elektronikmesse CES glauben darf, dann steht uns jetzt wieder solch ein iPhone-Moment bevor: Mit dem Einzug daten- und softwaredefinierter Funktionen und künstlicher Intelligenz wird das Auto zum Smart Car. Umgekehrt könnte man auch sagen: Das Smartphone bekommt Räder.
Zwar wurde in Las Vegas noch nicht das seit Langem erwartete Apple-Car vorgestellt, aber die Prototypen, die in den neuen Kooperationen von Automobil- und Elektronikherstellern wie der von Honda und Sony entstanden sind, zeigen, wohin die Reise geht: Zu einem Fahrzeug, das die Mitfahrenden nicht nur physisch von A nach B bringt, sondern zwischendurch in virtuelle Welten entführt. Auch deutsche Hersteller betonen, dass dabei eine neue Verknüpfung von Mensch und Maschine entstehe, eine Mixed Reality, bei der die Bewegungen des Autos zum Beispiel direkt in das Gaming-Geschehen übernommen werden können.
Die massive Digitalisierung des Automobils dient aber nicht nur der Unterhaltung, sondern auch ernsthaften Zwecken. So könnte ein nahtloser Übergang zwischen realen und virtuellen Zusammenkünften mit anderen das berufliche wie private Reisen künftig fundamental verändern. Auch ließen sich endlich seit Langem diskutierte Funktionen wie die Überwachung des Gesundheitszustands von Fahrenden und Insassen realisieren oder die Buchung von Ladestationen für Elektroautos vereinfachen. Die Einführung von Apps, die bestimmte Komfortfunktionen gegen Bezahlung zeitweise freischalten, steht im Raum und verspricht ein lukratives Geschäftsfeld.
Das autonome Fahren lässt auf sich warten
Das lenkt ein wenig davon ab, dass die Killer-Applikation der Digitalisierung des Autos, das autonome Fahren, länger dauert, als manche spekuliert hatten. Dieses verspricht zwar einen Quantensprung an Verkehrssicherheit, an Zugang zu Mobilität für alle und – in Kombination mit Elektromobilität und Sharing-Angeboten – an Energie-, Zeit- und Ressourceneffizienz. Seine Entwicklung ist aber kein Sprint, sondern ein Marathon. Das liegt im Wesentlichen an drei verschiedenen Dingen:
- Zunächst bedeutet der Übergang von defensiver Umsicht durch Menschen zu koordinierter Steuerung durch Maschinen einen fundamentalen Wandel der Verkehrssicherheitslogik. Damit dieser funktioniert, müssten politische, ökonomische, soziale, technische, umweltbezogene und rechtliche Rahmenbedingungen daran angepasst werden. Und das ist angesichts der aktuellen Debatte, die das Auto etwa aus Gründen des Klimaschutzes oder der gerechteren Verteilung öffentlichen Raums als individuelles Verkehrsmittel überhaupt infrage stellt, zumindest in Europa kein leichtes Spiel.
- Hinzu kommt, dass autonomes Fahren schon allein technisch eine systemische Innovation darstellt: Für komplexere Verkehrssituationen, zum Beispiel im urbanen Umfeld, erfordert es Informationen von anderen Fahrzeugen, Kameradaten aus der Infrastruktur, hochgenaue dynamische Karten und nicht zuletzt Vergleichsmuster für die künstliche Intelligenz. Denn auch das beste Kamera-, Radar- oder Laserscannersystem kann von sich aus nicht hinter Häuserecken schauen oder die Intentionen von Personen zu Fuß oder auf dem Fahrrad erkennen. Dazu wird eine zuverlässige, überall verfügbare und vor Hackerangriffen sichere Vernetzung und Datenkommunikation benötigt, die erst noch aufgebaut werden muss.
- Und schließlich ist das Auto eben doch noch kein Smartphone auf Rädern, dem man per Update von Software und Daten die nötige Intelligenz verpassen könnte – im Gegenteil: Die Grundfunktionen eines Fahrzeugs werden heute größtenteils durch Assistenzsysteme mit weit über hundert dezentralen Steuergeräten kontrolliert. Diese bilden die elektrische und elektronische Architektur oder das Bordnetz des Autos. Einen zentralen Fahrzeugcomputer, der alle Subsysteme miteinander vernetzt und die Schnittstelle für Software- und Datenupdates darstellt, gibt es erst in Ansätzen.
Die Fahrzeughersteller stehen auch angesichts des internationalen Wettbewerbs mittlerweile unter erheblichem Innovationsdruck und versuchen jetzt, die Steuergeräte gleicher Funktionsbereiche wie Antrieb, Assistenz oder Unterhaltung in sogenannten Domänen mit gemeinsamer Steuerung zusammenzufassen. Das dient vor allem dazu, die Zuverlässigkeit und Ausfallsicherheit zu erhöhen.
Tesla und manche chinesische Hersteller gehen schon einen Schritt weiter, indem sie die Domänensteuergeräte so miteinander verbinden, dass quasi eine Computerplattform entsteht. Das vereinfacht die Verarbeitung und Kommunikation großer Datenmengen und reduziert die ansonsten erheblichen Materialbedarfe für Kabel und damit Kosten und Gewicht.
Aber erst in einigen Jahren werden Hochleistungschips verfügbar sein, die so flexibel programmiert werden können, dass echte zentrale Bordnetzarchitekturen möglich sind. Dann lassen sich Hardware und Software weitgehend unabhängig voneinander entwickeln und es kann von einem Smartphone auf Rädern die Rede sein, bei dem beliebige Funktionen per Software-Update neu definiert werden können.
Was noch schiefgehen kann
Auf dem Weg dahin kann noch manches schiefgehen, allen voran der Wandel der Industriestrukturen. Traditionell werden die Assistenzsysteme und Steuergeräte der verteilten Bordnetzarchitekturen von Automobilzulieferern zur Verfügung gestellt. Dank gemeinsam vereinbarter Schnittstellen sind deren Komponenten zu einem gewissen Grad austauschbar.
Das beflügelt den Wettbewerb und damit die Qualität, hat aber auch zur Konsequenz, dass fundamentale Innovationen der Elektronikarchitektur Zeit brauchen. Bei den neuen, zentralisierten Bordnetzarchitekturen halten hingegen die Hersteller das Heft in der Hand und können ausgehend von den Anforderungen der Anwendungen Soft- und Hardware durchgängig aus einem Guss entwickeln.
Diese vertikal integrierten Layouts dienen zwar der Differenzierung zwischen den Herstellern, bergen aber auch die Gefahr einer Fragmentierung. Und das wäre unglücklich, denn die vielschichtigen systemischen Voraussetzungen für die Verbreitung des sicheren autonomen Fahrens erfordern gemeinsames Handeln, zum Beispiel bei Datenmanagement und -schutz, Kommunikationsprotokollen oder Fernsteuerung in komplexen Situationen. Kommt es hier zu Verzögerungen, dann könnten chinesische Hersteller mit früher Standardisierung den europäischen den Rang ablaufen und möglicherweise ihr Verständnis von Sicherheit und Schutz diktieren.
Herstellerübergreifendes koordiniertes Vorgehen gefordert
Vor diesem Hintergrund ist es begrüßenswert, dass die Europäische Kommission mit Unterstützung von Mitgliedsstaaten und Industrie im Zusammenhang mit dem Europäischen Chips-Gesetz eine Initiative zur koordinierten Forschungsförderung für das software- und hardwaredefinierte Fahrzeug auflegen will. Bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Unternehmen dabei mitmachen und erkennen, dass Europa nur durch herstellerübergreifend koordiniertes Vorgehen beim Smartphone auf Rädern die Nase vorn haben und dessen Potenziale für ernsthafte Zwecke wie das autonome Fahren nutzen kann.
Zwar wird auf der Ebene von Betriebssystemen bereits an Softwarelösungen gearbeitet, die die Unterschiede ausgleichen. Es bleibt aber Stückwerk, wenn Software und Hardware nicht Hand in Hand entwickelt werden.