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Agrar & Ernährung

Standpunkte Glyphosat-Verbot: Warum schweigt die SPD?

Christine Vogt, Referentin für Landwirtschaft beim Umweltinstitut München
Christine Vogt, Referentin für Landwirtschaft beim Umweltinstitut München

Die SPD als größte Koalitionspartnerin hält sich auffällig zurück, wenn es um das im Koalitionsvertrag verankerte Verbot von Glyphosat geht. Dabei wäre ein SPD-geführtes Ministerium dazu prädestiniert, sich einzumischen: das Gesundheitsministerium. Ein Standpunkt von Christine Vogt, Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut München.

von Christine Vogt

veröffentlicht am 13.11.2023

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Am kommenden Donnerstag werden die europäischen Mitgliedstaaten zum zweiten Mal zur Abstimmung darüber gebeten, ob der Unkrautvernichter Glyphosat europaweit erneut zugelassen oder verboten wird. Das erste Votum im Oktober blieb ohne Mehrheit dafür oder dagegen.

Deutschland hat sich in der ersten Abstimmungsrunde enthalten – und das, obwohl die zuständigen, grün geführten Ministerien für Landwirtschaft und für Umwelt die weitere Zulassung von Glyphosat ablehnen. Grund für die Enthaltung ist die gegensätzliche Meinung des kleinsten Koalitionspartners FDP, der sich eindeutig dafür ausspricht, Glyphosat wieder zuzulassen. Diese Konstellation erfordert scheinbar zwingend eine Enthaltung.

Dabei schien das Ende von Glyphosat in Deutschland bereits besiegelt: Im aktuellen Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien festgehalten, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen. Daraus lässt sich schließen, dass der Ausstieg aus der Nutzung des Herbizids zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen Zustimmung unter allen Koalitionsparteien gefunden hat – auch die der FDP.  Das widersprüchliche Verhalten der FDP ist also durchaus fragwürdig. Dass sich mit dem Verkehrsministerium und dem Forschungsministerium nun zwei FDP-geführte Ressorts in die Debatte über die Zukunft von Glyphosat einmischen, die mit der Zulassung von Pestiziden überhaupt nichts zu tun haben, erscheint umso merkwürdiger.

Zuletzt war die SPD noch für den Ausstieg

Doch wie steht eigentlich die größte Koalitionspartnerin zu Glyphosat? Die SPD hält sich in dieser Debatte auffällig zurück. Sie hat es bisher vermieden, sich klar gegen eine weitere Zulassung von Glyphosat zu positionieren. Vor nicht allzu langer Zeit, in den beiden vergangenen Legislaturperioden, hatte die SPD zu Glyphosat noch eine unmissverständliche Meinung: Die Partei lehnte die Wiederzulassung des Herbizids ab. „Unsere Position ist klar: nein, verlautbarte die SPD 2016 und berief sich auf das Vorsorgeprinzip.

Dass der Unkrautvernichter 2017 nicht verboten, sondern für weitere fünf Jahre zugelassen wurde, ist auf den Alleingang des damaligen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt (CSU), zurückzuführen. Denn entgegen den Absprachen mit dem SPD-geführten Umweltministerium unter Barbara Hendricks stimmte er für die weitere Zulassung, anstatt sich zu enthalten. Die SPD schäumte. Die deutsche Stimme war damals ausschlaggebend dafür, dass Glyphosat bis heute EU-weit eingesetzt werden darf. 

Auch in der vergangenen Legislaturperiode war das Umweltministerium unter Svenja Schulze SPD-geführt und auch in dieser Zeit lehnte die Partei die Wiederzulassung von Glyphosat ab. Schon im damaligen Vertrag der Großen Koalition wurde der Ausstieg aus der Glyphosatnutzung festgehalten. Die Haltung der SPD war in der Vergangenheit also alles andere als offen. Umso unverständlicher erscheint nun das Schweigen der Partei.       

Studien zeigen die potenziellen Gesundheitsgefahren

Dabei wäre zumindest eines der SPD-geführten Ministerien dazu prädestiniert, sich einzumischen: das Gesundheitsministerium. Denn Glyphosat bedroht nicht nur die Artenvielfalt, sondern birgt auch erhebliche Gesundheitsrisiken für den Menschen. Schon im März 2015 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ ein. Seither sind zahlreiche Studien erschienen, die die krebserregende Wirkung des Unkrautvernichters bestätigen.

Auch mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen werden der Wirkstoff Glyphosat oder glyphosathaltige Produkte in Verbindung gebracht. So zeigt eine aktuelle Studie einen Zusammenhang zwischen Glyphosat-Rückständen im Urin und Leber- und Stoffwechselerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.

Im Jahr 2018 haben Forscher:innen festgestellt, dass eine hohe Belastung von Glyphosat in Wohngebieten ein höheres Risiko für vorzeitigen Tod durch Parkinson-Erkrankungen bedeuten kann. Glyphosat steht außerdem im Verdacht, negativ auf das Hormonsystem zu wirken und so den Verlauf der Pubertät zu beeinflussen.

Bei Babys kann die Aufnahme von Glyphosat zu einem geringeren Geburtsgewicht sowie zu einem erhöhten Risiko führen, dass das Neugeborene in eine Intensivstation aufgenommen werden muss. Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus legitim und nachvollziehbar, wenn sich das Gesundheitsministerium in Sachen Glyphosat einmischt, auch wenn das Ministerium formal nicht dafür zuständig ist.

Die SPD sollte den Konflikt nicht länger aussitzen

Jährlich gelangen tausende Tonnen Glyphosat in die Umwelt, was erhebliche ökologische und gesundheitliche Risiken birgt. Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr rund 3915 Tonnen Glyphosat verkauft. Damit sind die Absatzmengen von Glyphosat in Deutschland auf einem fast unverändert hohen Niveau zu den Vorjahren geblieben – und das, obwohl die Anwendung des Unkrautvernichters seit September 2021 stark eingeschränkt ist.

Die SPD sollte den Konflikt zwischen den kleineren Koalitionspartnern nicht länger aussitzen, sondern ein Machtwort im Sinne des Koalitionsvertrages sprechen: Gegen die Wiederzulassung von Glyphosat und damit für ein deutsches Nein in Brüssel.

Sonst schafft die FDP, die formalen Zuständigkeiten offenbar wenig Beachtung schenkt, es als kleinste Koalitionspartei nicht nur, sich erfolgreich gegen die Haltung der eigentlich zuständigen Ministerien zu stellen, sondern auch das im Koalitionsvertrag festgehaltene Glyphosat-Verbot ad absurdum zu führen. Denn einen Pestizidwirkstoff national zu verbieten, solange er in der EU zugelassen ist, ist rechtlich kaum umsetzbar.

Die SPD sollte an ihre frühere klare Position gegen den Einsatz von Glyphosat anknüpfen und die Gesundheit der Bürger:innen sowie den Schutz unserer Umwelt in den Vordergrund stellen. Es ist an der Zeit, dass die SPD und das Gesundheitsministerium ihre politische Verantwortung wahrnehmen und sich für das Verbot von Glyphosat in der EU einsetzen – unabhängig von Koalitionsinteressen. 

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