Ohne eine gut funktionierende Datenwirtschaft wird Europa langfristig nicht wettbewerbsfähig bleiben. Und ohne Datentreuhänder wird ein Ankurbeln der Datenwirtschaft schwer möglich sein. Darüber sind sich Unternehmen, Institutionen, Verbände und Politik weitgehend einig. Warum sich Datentreuhänder trotzdem erst allmählich etablieren, ist eine der Gretchenfragen in der Datenwirtschaft. Auf Basis unserer Literaturstudie, für die wir auch mit Experten gesprochen haben, können wir darauf zwar keine eindeutige Antwort geben, haben aber einige Hinweise gefunden. Vor allem haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass es sich lohnt, am Konzept der Datentreuhänderschaft festzuhalten. Dafür brauchen allerdings alle Beteiligten einen längeren Atem.
Was leisten Datentreuhänder?
Die zentrale Funktion von Datentreuhändern besteht darin, Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen Zugang zu Daten zu verschaffen, an die sie sonst nicht kommen würden. Dieser Zugang ermöglicht ihnen nicht nur die Verbesserung von Produkten, Dienstleistungen oder Forschungsergebnissen, sondern auch die Entwicklung neuer Dienstleistungen. Als neutrale Instanz schaffen sie ein Umfeld für den sicheren Datenaustausch und unterstützen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen beim Einstieg in eine datenbasierte Zukunft. Im Gegensatz zu rein technischen Dateninfrastrukturen, die Daten nur von A nach B übertragen, bauen Datentreuhänder zusätzlich eine Vertrauensbeziehung sowohl zu Datengebenden als auch -nutzenden auf und sind für die Aufrechterhaltung dieses Vertrauens verantwortlich – unabhängig davon, ob sie als privatwirtschaftliche GmbH oder gemeinnütziger Verein organisiert sind.
Wie gewinnen Datentreuhänder Vertrauen?
In ihrer grundlegenden Rolle fungieren sie als neutrale Vermittler, die sich auf die treuhänderische Verwahrung und regelbasierte Weitergabe der Daten konzentrieren. Wie die Neutralität dieser Rolle auszulegen ist und Vertrauen aufgebaut wird, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten: Einige Experten heben die Notwendigkeit eines strikt neutralen und zurückhaltenden Verhaltens vor. Andere erwarten, dass Datentreuhänder auch die Einhaltung von Regeln sicherstellen und datenbasierte Beratungsdienstleistungen anbieten sollten, um etwa die Integrität wie auch die Qualität der Daten sicherzustellen und auf diese Weise das Vertrauen der Datennutzenden und -gebenden zu gewinnen.
Wiederum andere betonen, dass die Rolle auch die eines Ökosystemförderers umfassen sollte, der aktiv die Zusammenarbeit und den vertrauensvollen Datenaustausch innerhalb spezifischer Anwendungsbereiche fördert und potenzielle Akteure sensibilisiert. In diesem Verständnis tragen die Treuhänder dazu bei, Onboarding-Prozesse zu erleichtern, Unterstützung anzubieten oder fungieren auch als Motivator. Je mehr Datentreuhänder diese Rolle als „Data Facilitator“ interpretieren, desto mehr treten sie als „Dirigenten“ der Datenökosysteme auf. Das kann jedoch dazu führen, dass sie als weniger neutral wahrgenommen werden, wodurch das Vertrauen schwinden kann. Welche Rolle Datentreuhänder letztlich einnehmen, hängt vom konkreten Anwendungsbereich und den Bedürfnissen der Zielgruppen ab.
Was braucht es für den Aufbau von Datentreuhand-Plattformen?
Mit bereits bestehenden oder derzeit noch in der Finalisierung befindlichen technischen Bausteinen für offene, interoperable Dateninfrastrukturen aus Initiativen wie etwa Gaia-X oder IDSA sind grundsätzlich eine Reihe technischer Komponenten für neue Datentreuhandmodelle einfach zugänglich. Auf dieser Basis können neue Plattformen für den jeweiligen Anwendungsfall ausgestaltet und die technische Infrastruktur und Systeme entsprechend der jeweiligen Bedürfnisse erweitert oder angepasst werden.
Bei der Entwicklung einer Datentreuhandplattform sollte deshalb der Aufbau und die aktive Förderung des Community-Managements im Zentrum stehen, um es Unternehmen durch ein effektives Onboarding leicht zu machen, Daten zu teilen. Hierfür braucht es einen aktiven Austausch mit den (potenziellen) Teilnehmenden, um Regeln auszugestalten und auch die Rolle des Datentreuhänders festzulegen.
Wie wirkt sich die neue EU-Regulatorik auf Datentreuhänder aus?
Viele unserer Gesprächspartner zeigten sich insbesondere durch die Einführung des Data Governance Act (DGA) wegen der zukünftigen Nutzung und Ausgestaltung von Datentreuhandplattformen zunächst besorgt. Letztlich vergrößert der DGA jedoch ihre Spielräume. So sind Datenprodukte wie Big-Data- oder KI-Analysen durch den Datentreuhänder nur in offenen, frei zugänglichen Ökosystemen untersagt, in geschlossenen Gruppen aber erlaubt. Darüber hinaus bleiben Dienste für Onboarding, Pseudonymisierung beziehungsweise Anonymisierung und die Qualitätssicherung von Daten auf Wunsch der Teilnehmenden zulässig. Sie dürfen aber nicht die Voraussetzung für den Zugang zum Ökosystem und die Datenübermittlung sein.
Noch mehr Spielräume ergeben sich, wenn sie als geschlossene Daten- und Datendienstgruppen agieren. Der DGA sieht ausdrücklich etwa die Bildung von Datengenossenschaften vor. Deren Teilnehmer können als Dateninhaber kollektiv darüber entscheiden, ob der Datentreuhänder auch Datendienste auf Basis ihrer Daten anbieten darf. Derzeit ist zwar noch nicht abzusehen, ob und wie sich solche Genossenschaften auch für neue Mitglieder öffnen könnten. Wir sind hier aber zuversichtlich, dass die Marktteilnehmenden geeignete Wege für ihre Bedarfe finden werden.
Für kleine und mittlere Unternehmen ziehen wir insgesamt eine überwiegend positive Bilanz der beschlossenen Rechtsakte DGA und Data Act. Zum einen besteht jetzt Klarheit darüber, wie Daten rechtsicher geteilt werden können, sodass Angebote von Datentreuhändern auf rechtssicherem Boden erfolgen können. Zum anderen haben sie nun auch die Möglichkeit, sich selbst in Datengenossenschaften mit treuhänderischer Funktion und Branchen-, Domänen- oder Anwendungsfallfokus zusammenzuschließen, um Mehrwerte zu generieren. Zwei Einschränkungen müssen wir dabei allerdings anfügen: Der initiale Aufwand für die Entwicklung von Datentreuhandplattformen und deren Ökosystemen ist sowohl zeitlich als auch finanziell hoch, zumal nun die juristischen Vorgaben einzuhalten sind. Den größten Mehrwert bieten aus unserer Sicht an sich geschlossene Ökosysteme mit klaren Zugangsregeln für neue Mitglieder, die durch einen Datentreuhänder orchestriert werden.
Einschätzung der derzeitigen Marktlage
Da sich das Geschäftsfeld noch entwickelt, ist die Marktbewertung momentan schwierig. Für unsere Studie hatten wir bis Februar 2023 acht in Deutschland etablierte Datentreuhänder identifiziert, etwa für die Gesundheitswirtschaft, das produzierende Gewerbe und die Logistik. Die Dynamik des Marktes nimmt aber beständig zu. Wenige Monate später hätten wir beispielsweise mit Cofinity-X, Datentreuhänder des dezentralen Datenraums der Automobilindustrie Catena-X, einen weiteren Akteur aufnehmen können. Zudem entstehen – auch ermöglicht durch staatliche Förderprogramme des BMWK, des BMBF oder des BMDV – zunehmend vergleichbare Datentreuhand-basierte Ökosysteme für einzelne Anwendungsbereiche, die aber noch Zeit benötigen, um zu wachsen und flächendeckend bekannt zu werden.
Wenngleich viele Akteure sich nicht explizit als Datentreuhänder positionieren, sondern als Datenplattformen oder Anbieter von Datendiensten labeln, schätzen wir die erkennbar zunehmende Etablierung von Datentreuhändern – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen – positiv ein. Sie werden weiter an Bedeutung zunehmen, zumal die Datenwirtschaft durch die technischen Möglichkeiten des Edge Computings in den kommenden Jahren noch an Fahrt aufnehmen wird.
Maximilian Lindner ist wissenschaftlicher Berater am Institut für Innovation und Technik in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH. Zudem arbeitet er als Teilprojektleitung in der Projektträgerschaft „Digitaler Wandel in Bildung, Wissenschaft und Forschung“. Gemeinsam mit Sebastian Straub hat er in einer Studie für das Technologieprogramm „Smarte Datenwirtschaft“ des BMWK den Status Quo und die Entwicklungsperspektiven von Datentreuhänderschaft herausgearbeitet.
Sebastian Straub ist ebenfalls wissenschaftlicher Berater am Institut für Innovation und Technik in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH und unterstützt Förderprojekte bei der Bewältigung relevanter rechtlicher Fragestellungen.