Vor fast genau einem Jahr stellte EU-Kommissar Thierry Breton den Entwurf für einen Data Act als zentrales strategisches Vorhaben der EU-Kommission vor. Dabei betonte er das bislang kaum genutzte, aber enorme Potenzial von Daten der Wirtschaft – für die Wirtschaft und Gesellschaft – freisetzen zu wollen. Im Sinne einer maximalen Durchschlagskraft wählte er den Weg einer Verordnung, also eines in allen Mitgliedstaaten ohne weitere Umsetzungsnotwendigkeiten unmittelbar verbindlichen Rechtsaktes.
Er fokussierte sich dabei auf wichtige Fragen des Datenteilens zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und Privaten. Aus dem liberalen Grundansatz verständlich, wurden dagegen Datenzugangsrechte öffentlicher Stellen restriktiv gefasst und weitgehend auf außergewöhnliche Notlagen und besondere gesetzlich geregelte Aufgaben beschränkt.
Vor dem Hintergrund der mit dem Vorhaben verbundenen Ambition, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstand zu schaffen, überraschte eine Sache: Wissenschaftliche Einrichtungen sollen einen allenfalls mittelbaren Datenzugang bekommen, indem öffentliche Stellen von ihnen erlangte Daten unter zusätzlichen Voraussetzungen weitergeben können. Aus der Wissenschaft gab es an dieser faktischen Auskoppelung von Wissenschaft aus effektiver Datenteilung unter dem Data Act spontan nachdrücklichen Widerspruch. Besonders markant war die Kritik dazu vom Rat für Informationsinfrastrukturen, der die gesamte Bandbreite der Wissenschaft repräsentiert.
Argumente der Wissenschaft
Die Wissenschaft konnte dafür nicht nur anführen, dass Spitzenforschung heutzutage existenziell auf gute Daten angewiesen ist, sondern vor allem, dass die von Breton angestrebte Freisetzung des in Daten liegenden enormen Zukunftspotenzials maßgeblich von Beiträgen der Wissenschaft abhängt. Innovative Produkte und Dienstleistungen, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wohlstand und Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klima, Gesundheit und Ernährung bauen alle auf wissenschaftlichen Leistungen auf.
Zudem konnte die Wissenschaft auf seit Jahrzehnten in ihrem Bereich gut etablierte Praktiken vertrauensvollen und sicheren Teilens auch hochsensibler Daten verweisen. In den bisherigen Arbeiten von EU-Parlament und Rat fanden solche Aspekte bislang allerdings nur einen schwachen Niederschlag: Im aktuellen Kompromissvorschlag des Industrieausschusses des EU-Parlaments wurde als einzige Änderung in diese Richtung festgehalten, dass die Pflicht der Wissenschaft zur Kostenerstattung für – trotz aller Hürden – gewährte Datenzugänge auf die damit verbundenen unmittelbaren Kosten zu begrenzen ist.
Last-minute-Vorstoß der Bundesregierung
Nach einem intensiven Abstimmungsprozess, auch unter der Beteiligung der von Datenzugangsrechten betroffenen Wirtschaft, hat die Bundesregierung nun in der letzten Phase einen Vorschlag für ein Forschungskapitel im Data Act zirkuliert. Kern des Vorschlags ist es, zwar einerseits eine breit gefasste Datenzugangsmöglichkeit für öffentliche Wissenschaft zu eröffnen, andererseits aber zugleich betroffene Unternehmen durch sorgfältig formulierte Vorkehrungen wirksam vor wirtschaftlich nachteiligen Datenabflüssen zu schützen.
Die Interessen der Beteiligten können zusätzlich durch eine Zwischenschaltung neutraler Intermediäre (Datentreuhänder) gesichert werden. Diese könnten nicht nur für eine kompetente und für beide Seiten unaufwändige Abwicklung von Datenzugängen sorgen, sondern als neutrale Vertrauensinstitution auch die Einhaltung gesetzlicher und unternehmerischer Vorgaben effektiv absichern. Die in der Wissenschaft bereits gelebte Praxis zeigt im Übrigen auch, dass ein Datentreuhänder dafür keineswegs selbst Zugang zu den Daten erhalten muss und es auch für die beteiligte Wissenschaft häufig ausreicht, valide Aggregationen oder Auswertungen zu bekommen, ohne dafür selbst auf die Unternehmensdaten selber zugreifen zu müssen.
Wie geht es weiter?
Der offizielle Fahrplan sieht eine finale Beschlussfassung im Europäischen Parlament am 13. März vor. Allerdings weist der Vorschlag des Industrieausschusses noch eine ganze Reihe offener Dissenspunkte aus. Hinter auf den ersten Blick eher technisch klingenden Formulierungen verbergen sich dabei durchaus grundsätzliche Fragen, inwieweit der Gedanke einer möglichst effektiven Wertschöpfung aus Daten oder derjenige einer möglichst wasserdichten Risikovermeidung Vorrang verschafft werden soll.
Ähnlich spannend ist die Diskussionslage im Rat. Hier hat die schwedische Ratspräsidentschaft mittlerweile einen vierten Kompromissvorschlag vorgelegt, die Diskussion befindet sich auf der Zielgraden, aber auch hier sind noch Hürden zu überwinden. An die Beschlussfassung von Parlament und Rat wird sich der Trilog (Parlament, Rat und Kommission) anschließen. Die schwedische Ratspräsidentschaft strebt ein finales Ergebnis noch vor dem Ende ihrer Ratspräsidentschaft am 30. Juni an.
Vielleicht erweist sich die Diskussion über das Forschungskapitel dafür ja nicht als zusätzliche Hürde, sondern als Fingerzeig dafür, dass bei einer intelligenten Lösung effektive Wertschöpfung und Risikominimierung nicht immer Gegensätze sein müssen.
Dietrich Nelle ist ein freier Berater. Zuvor war er langjährig im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) u.a. mit Digital- und Innovationsthemen befasst. Er ist Gründungsmitglied des Rates für Informationsinfrastrukturen, der Sichtweisen der deutschen Wissenschaft zu Digital- und Datenthemen in Stellungnahmen und Empfehlungen bündelt und aus dieser Perspektive der Wissenschaft heraus Bund und Länder berät.