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Digitalisierung & KI

Standpunkte Warum der Data Act dem Mittelstand schadet

Stefan Wagner, ESMT Berlin und Markus Reisinger, Frankfurt School of Finance & Management
Stefan Wagner, ESMT Berlin und Markus Reisinger, Frankfurt School of Finance & Management Foto: ESMT Berlin und Frankfurt School of Finance & Management

Rund um den Data Act gab es in den vergangenen Wochen und Monaten intensive Diskussionen. Dabei wurde über einen Punkt wenig gesprochen, der für die angestrebte weitere Digitalisierung der europäischen Wirtschaft zentral ist: die Regelungen für Cloud-Computing-Anbieter. Doch gerade hier widerspricht der Data Act seinen eigenen Zielen.

von Markus Reisinger und Stefan Wagner

veröffentlicht am 09.05.2023

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Mit dem Data Act möchte die EU grundlegende Rahmenbedingungen für die europäische Datenwirtschaft schaffen. Im Data-Act-Entwurf wird sektorübergreifend geregelt, von wem, wie und für welche Zwecke Daten in der EU verwendet werden dürfen. Diese Rechtssicherheit ist ein wichtiges Ziel für die Zukunftsfähigkeit des europäischen Digitalmarktes. In der öffentlichen Diskussion wurden vor allem viele Details des Data Acts über den Zugang und die Verwendung nicht personenbezogener Daten eingehend debattiert. Der Data Act enthält jedoch auch umfangreiche Regelungen zu einer zentralen technischen Säule des angestrebten Datenaustauschs: der Cloud-Computing-Technologie.

Mit dieser Technologie beziehungsweise den Anbietern von Cloud-Computing-Services befasst sich Kapitel VI des Data Acts. Für Nutzer von Cloud-Diensten soll es leichter werden, zwischen Anbietern zu wechseln. Sogenannte Lock-in-Effekte sollen gemindert und Anbieter dazu verpflichtet werden, Hürden abzubauen, die einen einfachen und kurzfristigen Wechsel zwischen Cloud-Diensten behindern. Das angestrebte Ziel der Regulierung ist nachvollziehbar: Durch vereinfachten Anbieterwechsel soll der Wettbewerb zwischen Cloud-Computing-Dienstleistung verstärkt und die zunehmende Marktkonzentration reduziert werden. Dies kommt Konsumenten zugute, wenn daraus niedrigere Preise und höhere Qualität resultieren.

In seiner gegenwärtigen Form jedoch widerspricht der Data Act genau diesen Zielen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen könnten vielmehr langfristig negative Folgen insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) haben. Dies gilt sowohl für mittelständische Anbieter als auch Nutzer von Cloud-basierten Lösungen. Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Regelungen im Data Act zukünftige Innovationsbestrebungen reduzieren. Die zukünftige Produktvielfalt wäre dann eingeschränkt. Es ist zudem fraglich, ob ein solcher Markteingriff, den der Data Act bedeuten würde, notwendig ist und ob er die beabsichtigte Wirkung haben kann.

Geringere Wechselkosten steigern nicht zwangsläufig den Wettbewerb

Kapitel VI des Data Acts enthält Regelungen, die in erster Linie einen fairen Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern von Cloud-Computing-Diensten sicherstellen sollen. Dafür sollen die Entgelte, die bei einem Wechsel für Nutzer von Cloud-Computing-Angeboten an den alten Anbieter zu entrichten sind, gesenkt und nach einer Übergangsfrist ganz abgeschafft werden. Zudem enthält der Vorschlag eine Verpflichtung für Cloud-Computing-Anbieter, wechselnden Kunden eine „Funktionsäquivalenz“ zu garantieren. Funktionsäquivalenz bedeutet im Kern, dass der neue Anbieter ein Mindestmaß von Kompatibilität mit dem alten Anbieter gewährleisten muss. Durch so vereinfachten Anbieterwechsel sollen Wettbewerb, Innovation und Verbrauchernutzen gefördert werden.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen können die Wechselkosten zwar kurzfristig senken, der Effekt auf den Wettbewerb wäre jedoch gering. Direkte Wechselkosten sind auf dem Cloud-Computing-Markt marginal. Entscheidender sind in der Regel indirekte Wechselkosten. Diese entstehen durch die Anpassung eines Systems an einen neuen Cloud-Computing-Anbieter und werden den Nutzern nicht von ihrem alten Vertragspartner in Form von Entgelten auferlegt. Diese indirekten Kosten entstehen, weil Cloud Services vielfältig und in der Regel nicht vollständig interoperabel sind. Das macht die Migration komplex. Indirekte Wechselkosten können insbesondere dann erheblich sein, wenn nicht nur Daten, sondern auch Anwendungen zu einem neuen Anbieter migriert und an das neue Software-Umfeld angepasst werden müssen. So schätzt die Europäische Kommission, dass indirekte Kosten mehr als 99 Prozent der gesamten Wechselkosten ausmachen.

Die indirekten Wechselkosten würden durch die Herstellung der Funktionsäquivalenz teilweise von den Anbietern getragen. Ein Teil dieser Kosten wird dann über höhere Preise an die Nutzer weitergeben. Dies wirkt sich negativ auf alle Verbraucher aus, nicht nur auf diejenigen, die den Anbieter wechseln. Das dürfte die unbeabsichtigte Folge haben, dass die Preise für die Nutzer insgesamt steigen. Zudem hätten große Anbieter aufgrund von Skalenvorteilen Preisvorteile gegenüber kleineren Anbietern.

KMUs profitieren von einem differenzierten Markt

Bei der geforderten Funktionsäquivalenz zwischen Cloud-Computing-Anbietern ist also zweifelhaft, ob sie die beabsichtigten wirtschaftlichen Auswirkungen hat. Die im Data Act unklar formulierten Regelungen zu einer möglichen Standardisierung von Angeboten bewirken zudem Unsicherheiten für die Anbieter. Diese könnten dazu führen, dass weniger in die Verbesserung und Entwicklung von Cloud-Lösungen investiert wird. Die Folge wäre eine Verringerung der Produktvielfalt. Das wäre für Nutzer, die in hohem Maße von differenzierten Anbietern profitieren, überaus nachteilig.

Zudem könnte sich die Anforderung der funktionalen Äquivalenz langfristig negativ auf Forschung und Entwicklung auswirken. Die Funktionsäquivalenz birgt für Cloud-Computing-Anbieter das Risiko, eine Innovation mit ihren Wettbewerbern teilen zu müssen, damit die geforderte Interoperabilität gewährleistet ist. Anbieter können mit Innovationen somit nur eine geringere Rendite erwirtschaften. Das könnte viele Investitionen, die den Nutzern zugutegekommen wären, verzögern oder gar stoppen und den Innovationswettbewerb zwischen Anbietern dämpfen.

Die Folge wäre eine Verringerung der Produktvielfalt sowie ein geschwächter Innovationswettbewerb – zum Nachteil der Kunden aus dem Mittelstand. Während große Unternehmen leichter die Entwicklung benötigter, individueller Lösungen finanzieren können, profitieren insbesondere KMU in hohem Maße von differenzierten und innovationsstarken Anbietern.

Zu früh für eine umfassende Regulation

Insgesamt ist der Markt für Cloud Computing noch zu wenig ausgereift. Der Innovationswettbewerb ist bei jungen Technologien in der Regel stärker ausgeprägt als der Preiswettbewerb. Der Data Act würde das jedoch ändern. Es ist daher noch zu früh, den sich dynamisch entwickelnden Cloud-Computing Markt so umfassend regulieren zu wollen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Der Data Act verfolgt das richtige Ziel. Doch ist es zweifelhaft, ob er in seiner aktuellen Form die beabsichtigte Wirkung entfalten kann.

Markus Reisinger ist seit 2015 Professor für Industrieökonomie und Mikroökonomie an der Frankfurt School of Finance & Management. Der Volkswirt war zuvor an der WHU in Vallendar tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Industrieökonomie und Wettbewerbspolitik.

Stefan Wagner ist seit 2011 Professor für Strategie und Innovation an der European School of Management and Technology ESMT in Berlin. Er forscht hauptsächlich in den Bereichen technologische Innovation, Unternehmensstrategie und Industrieorganisation.

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