Die Europäische Kommission hat ein Konsultationsverfahren der Sozialpartner zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit gestartet, das Bundesarbeitsministerium (BMAS) stellte „Eckpunkte für faire Arbeit in der Plattformökonomie“ vor und der DGB fordert in einem Positionspapier klare Regeln. Warum diese Aufmerksamkeit für das Thema?
Plattformarbeit ist ein Phänomen der Digitalisierung und sie wirft im Arbeits- und Sozialrecht ganz konkrete Fragen auf. Dabei geht es zum einen um die Verantwortung der Plattformen für die Bedingungen der Arbeit, die sie vermitteln und vergeben. Die Europäische Kommission stellt ihr Vorgehen zudem nicht umsonst in den Kontext der Regulierung digitaler Giganten. Es geht um den Einsatz neuer Technik, insbesondere um Algorithmen zur Steuerung, Optimierung und Kontrolle bis hin zur Überwachung von Beschäftigten. Die riesigen Mengen an Daten, die dabei ausgewertet werden, betreffen nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Kund:innen der Plattformen – und das dürfte inzwischen fast jede erwachsene Person sein.
Plattformarbeit ist nicht pauschal prekär
Die Haltung dieser Unternehmen zu Vertretung von Arbeitnehmerinteressen durch Betriebsräte und Gewerkschaften fällt recht einheitlich negativ auf: Betriebsratsgründungen sind umkämpft bis hin zur aktiven Behinderung von Wahlen und Kündigung ihrer Initiator:innen, Tarifverträge sind meist ein rotes Tuch.
Trotz der offensichtlichen Risiken: Plattformarbeit lässt sich nicht pauschal als prekär einordnen. Die empirische Forschung dazu steht, ebenso wie rechtspolitische Debatten zu ihrer Regulierung, noch relativ am Anfang. Die Anzahl an Plattformen, die im digitalen Raum Arbeit vermitteln und vergeben, sowie die Zahl der so Beschäftigten nimmt stetig zu. Schätzungen gehen in Deutschland von 500.000 bis zu 1,6 Millionen aus, je nach Zählweise. Einer Umfrage der Europäischen Kommission zufolge haben 11 Prozent der Arbeitskräfte in der EU bereits Dienstleistungen über eine Plattform erbracht. Klar ist, dass Plattformarbeit bereits jetzt kein Randphänomen mehr ist, sondern von zahlreichen etablierten Unternehmen genutzt wird, insbesondere auch in der Industrie. Und in der Pandemie haben etwa Lieferdienste ihr Geschäft exponentiell ausgebaut.
Reine Vermittler übernehmen keine Verantwortung
Die Arbeit für Plattformen ist heterogen. Das betrifft sowohl die Motive, die Einkommenssituation und den Stundenumfang der Beschäftigten, aber auch die erforderlichen Qualifikationen und den Anspruch der Tätigkeiten. Sie reichen von Kurierdiensten und Haushaltstätigkeiten bis hin zu Designaufträgen und Softwareentwicklung, von Kleinstaufträgen, die in Minuten erledigt sind, bis zu Projektentwicklungen.
Der rechtliche Status von Plattformarbeit ist umstritten. Gelten grundlegende Arbeitnehmerrechte wie Mindestlohn und Kündigungsschutz oder Mitbestimmungsrechte? In einer Podiumsdiskussion der Berliner Senatsverwaltung beschrieb der Mitbegründer von Helpling, Philip Huffmann, die Rolle des Unternehmens als die eines schwarzen Bretts. Man stelle Technik zur Verfügung. Die Arbeitenden schätzten ihre Freiheit als Selbstständige, so Huffmann. Auf dem Ranking der Arbeitsbedingungen von Fairwork rangiert Helpling derweil auf dem vorletzten Platz – unterboten nur noch von Uber. Wenig überraschend, denn wer sich lediglich als Vermittler sieht, übernimmt keine Verantwortung für Löhne oder Arbeitsschutz, nicht einmal für Mindestbedingungen. Und wenn – wie in der Pandemie – der Beschäftigungsbedarf einbricht, wird die soziale Sicherung der Plattformbeschäftigten getrost der Solidargemeinschaft überlassen.
Macht durch algorithmisches Management
Doch diese Selbsteinschätzung von Plattformen bezüglich ihrer Verantwortung als Arbeitgeber ist nicht nur gesellschaftlich bedenklich, sondern auch arbeitsrechtlich zweifelhaft. In einem ersten Grundsatzurteil hat das Bundesarbeitsgericht im Dezember 2020 einer Plattform, die ihre Verantwortung als Arbeitgeber bestritt, das Gegenteil bescheinigt. Die vermeintliche Funktion bloßer Auftragsvermittlung hat das Gericht dabei zu Recht verneint: Eine persönliche Abhängigkeit, die rechtlich für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses entscheidend ist, sei gegeben, wenn eine App Kleinstaufträge vergibt, dabei stetige Anreize zum Tätigwerden setzt, Daten erfasst und die Vorgänge beherrscht. Erstmals hat sich das höchste Arbeitsgericht in diesem Urteil mit der Macht befasst, die durch algorithmisches Management im Arbeitsverhältnis ausgeübt werden kann – auch ohne explizite Vorgaben für Arbeitszeit und -Ort.
Ob Arbeitnehmerrechte gelten, bleibt aber auch nach diesem Urteil eine Frage des Einzelfalls. Hier tut Not, was das BMAS nun plant: Die Rechtsdurchsetzung erleichtern, indem zum Beispiel die Beweislast für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nicht mehr bei den Beschäftigten liegt. Denn das Informationsgefälle zu den Plattformen ist riesig.
Situation von Soloselbstständigen verbessern
Aber Scheinselbstständigkeit betrifft nicht alle Formen der Plattformbeschäftigung. Es ist deshalb richtig, dass das Ministerium auch die Situation von Soloselbstständigen verbessern will. Diese benötigen nicht nur eine bessere soziale Sicherung, sondern auch effektiven Datenschutz und faire Vertragsbedingungen. Auch hier passt das Bild des schwarzen Bretts nicht, eher das einer Black Box: Algorithmen regeln den Zugang zu Aufträgen und Einnahmen, nicht zuletzt durch Bewertungssysteme und dies meist völlig intransparent, programmiert und beherrscht durch die Plattform. Vertragsbedingungen werden einseitig gestellt, Kündigungsfristen sind kurz. Verhandlungsspielräume gibt es nur theoretisch. Arbeitsrechtlich bedarf es zudem der Klarstellung, dass Zusammenschlüsse von Soloselbständigen für Tarifverträge kartellrechtlich unbedenklich sind. Die Europäische Kommission hat das Problem bereits erkannt.
Gewerkschaften brauchen neuen Rechtsrahmen
Und falls die Frage aufkommt, ob nicht die Gewerkschaften den Anspruch haben sollten, die Arbeitsbedingungen der Plattformökonomie selbst zu gestalten: Gewerkschaften sind Pioniere in diesem Feld, wie etwa die Plattform Fair Crowd Work, die Kooperation der IG Metall mit der YouTubers Union oder die Erfolge der NGG bei den Lieferdiensten zeigen. Doch auch gewerkschaftliches Handeln am digitalen Arbeitsmarkt braucht einen neuen rechtlichen Rahmen. Im spanischen Arbeitsrecht zum Beispiel wurde kürzlich geregelt, dass den Arbeitnehmervertretungen Algorithmen offengelegt werden müssen, wenn sie sich auf Beschäftigung auswirken. Ein sinnvoller Ansatz. Zudem können Beschäftigte, die sich – wenn überhaupt – lediglich digital begegnen, weder durch Flugblätter noch durch direkte Ansprache erreicht werden. Gewerkschaften und Betriebsräten muss Zugang gewährt werden zu den Kommunikationskanälen, die Plattformen und Beschäftigte verbinden. Es geht nicht mehr um das bestehende Recht, Betriebsstätten zu betreten, sondern um Chatgruppen, Apps und Homepages. Ein solches digitales Zugangsrecht ist in der politischen Debatte bereits aufgegriffen, im Eckpunktepapier von Minister Heil fehlt es – noch.
Johanna Wenckebach leitet als wissenschaftliche Direktorin das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht der Hans-Böckler-Stiftung. Die promovierte Juristin war zuvor als Gewerkschaftssekretärin der IG Metall Bezirksleitung Berlin-Brandenburg-Sachsen tätig und unter anderem für die Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie sowie der IT-Branche zuständig. Heute spricht sie beim Plattformgipfel des Bundesministeriums für Arbeit.