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Digitalisierung & KI

Standpunkte Die unsichtbare Arbeit hinter der KI

Mark Graham, Direktor der Fairwork Foundation
Mark Graham, Direktor der Fairwork Foundation Foto: Oxford Internet Institute

In den letzten Wochen hat die Sprach-KI ChatGPT an Popularität gewonnen und gleichzeitig Fragen aufgeworfen: Wie prekär sind die Arbeitsbedingungen derjenigen, die an der Entwicklung von KI-Systemen vor allem im globalen Süden arbeiten? Wie hoch ist ihr Lohn und ihre psychische Belastung? Einige Studien scheinen schlimme Vorahnungen zu bestätigen. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, schreibt Fairwork-Direktor Mark Graham.

von Mark Graham

veröffentlicht am 16.03.2023

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Mit den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen, die sich aus Künstlicher Intelligenz ergeben, stehen wir als Menschheit nach der Einführung des Internets an der Schwelle einer weiteren tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung. Fast jeden Tag gibt es eine neue Schlagzeile über die Fähigkeiten Künstlicher Intelligenz. Sie hat schon Musik komponiert, Universitätsprüfungen bestanden und Schachmeister besiegt. Weniger bekannt ist, dass KI auch von fast allen großen Regierungen und Unternehmen eingesetzt wird, um wesentliche staatliche und wirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen.

KI wird die Welt verändern

Im Grunde genommen, ist KI kondensierte menschliche Intelligenz. Trotz vieler Fortschritte fehlt den Algorithmen die grundlegende Fähigkeit, in symbolischen Begriffen ausgedrückt, zu „denken“. Aber begrenzte Funktionalitäten sind jetzt möglich – und die sind dem menschlichen Denken sehr ähnlich. Grund dafür sind die Erfolge, die bei der Verarbeitung großer Datensätze in den letzten Jahren erreicht wurden. Sie ermöglichen der KI, Daten zu verarbeiten und aus ihnen und der dort erhaltenen menschlichen Intelligenz zu „lernen“.

Doch das erfordert eine große Menge an versteckter menschlicher Arbeit. Nehmen wir zum Beispiel ChatGPT: Der revolutionäre KI-Einsatz erscheint magisch, da das System in der Lage ist, originelle Antworten auf eine Vielzahl von Texteingaben zu geben. Unter der Haube arbeitet das System jedoch mit einer Methode des maschinellen Lernens – dem so genannten „Reinforcement Learning from Human Feedback“. Zwei Hauptformen menschlichen Feedbacks haben dabei zur Verbesserung des Trainingsmodells beigetragen: Es wurden Beispiele für gute Antworten auf Textaufforderungen gegeben und menschliche Experten haben die Ergebnisse des Modells bewertet. So wurde menschliche Intelligenz repräsentativ in das Modell integriert. Es erweckt den Anschein, selbstständig zu denken.

Ein Großteil der menschlichen Arbeit wird von sogenannten Cloudworkern auf der ganzen Welt ausgeführt. Sie ermöglichen es KI-Systemen, Gesichter zu erkennen oder visuelle und textliche Originalausgaben zu erstellen. Aufgrund des Bedarfs an gekennzeichneten Daten für maschinelle Lernprozesse sind Amazon Mechanical Turk und ähnliche Plattformen entstanden und gewachsen. Die Arbeitsbedingungen auf diesen Plattformen sind aber äußerst unterschiedlich und können stark variieren.

Neue Arbeit, neue Herausforderungen

Wissenschaftler und Behörden wie die Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bemängeln die Ausbreitung von Online- und Cloudwork-Plattformen, die „billige“ Arbeit anbieten. In den letzten zehn Jahren ist ihre Zahl von weniger als 100 auf 283 gestiegen. Eine Studie zeigt, dass 163 Millionen Arbeitende auf webbasierten Plattformen registriert sind. Diese Form der Online-Fernarbeit wächst besonders dank der Rekrutierung von Arbeitskräften aus dem globalen Süden. Diese werden als weniger teure Option vor allem im Technologiesektor „angeboten“.

Laut einer neuen Fairwork-Studie ist nur eine von 15 Online-Plattformen in der Lage, den Arbeitenden einen lokalen Mindestlohn zu garantieren. Nur in 5 von 15 Fällen wurden Maßnahmen ermittelt, um Arbeitsrisiken zu senken – wie zum Beispiel die Beschäftigung mit schädlichen oder beunruhigenden Inhalten oder den Risiken für die Datensicherheit und Betrug. Weitere Umfragen unter mehr als 600 Arbeitenden ergaben, dass sie durchschnittlich 8,5 Stunden pro Woche mit unbezahlten Aufgaben verbringen.

Diskriminierung ist ebenfalls ein Problem, da bestimmte Aufträge aufgrund von Standort oder Qualifikationen von Arbeitenden gesperrt sind. „Ich sehe ständig, dass geeignete Aufgaben, die viel besser bezahlt werden als die Aufgaben, die ich erledige, geo- oder qualifikationsgesperrt sind, weil ich nicht aus einem Land der ersten Welt stamme“, erklärte ein Cloudworker aus Südafrika.

Selbstverpflichtung und Regulierung

Doch es geht auch anders. Das Fairwork-Projekt zeigt, dass Plattformarbeit fair sein kann. Das Projekt hat fünf Grundsätze erarbeitet, die Standards für faire Arbeit auf diesen Plattformen definieren: Faire Bezahlung, faire Bedingungen, faire Verträge, faire Management-Prozesse sowie faire Mitbestimmung.

Um die genannten Probleme anzugehen, hat das Projekt etwa zehn Prinzipien für die Nutzung von KI am Arbeitsplatz entwickelt und das Fairwork Pledge ins Leben gerufen. Unternehmen, Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen können sich dem Pledge anschließen, um konkrete Maßnahmen zur Entschärfung des Problems und zur Förderung von Lösungen zu ergreifen. Universitäten, Schulen, Unternehmen und NGOs können sich verpflichten, digitale Plattformen zu bevorzugen, die sich an den Fairwork Grundsätzen orientieren. Lokale Regierungen und Verwaltungen können zu fairer Arbeit beitragen, indem sie sinnvolle Regulierungen und soziale Mindeststandards einführen. Sozial verantwortliche Investoren oder Rating-Agenturen können faire Arbeitsbedingungen in der Plattform-Ökonomie fördern, indem sie nur in Plattformen investieren, die faire Arbeitsbedingungen bieten.

Auf nationaler Ebene arbeiten außerdem mehrere Länder und Regionen an entsprechenden Gesetzen. Das Europäische Parlament hat kürzlich seine Position zu der geplanten Richtlinie der Europäische Kommission mit Regeln für digitale Plattformen verabschiedet. Auf internationaler Ebene erörtert die ILO einen Regelungsrahmen, der den Mitgliedstaaten und Plattformen bei der Gewährleistung der Arbeitnehmerrechte als Richtschnur dienen kann.

Die Autoren des Standpunkts sind Teil des Fairwork-Kollektivs. Dieses ist am Oxford Internet Institute (OII) der Universität Oxford angesiedelt und wird von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit finanziert. Mark Graham ist Professor für Internet Geography am OII, Gastforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Direktor der Fairwork Foundation. Jonas Valente ist Postdoktorant am OII und hat die Co-Leitung des Cloudwork-Projekts von Fairwork. Callum Cant ist ein britischer Autor und Forscher, der sich auf Arbeitskämpfe und politische Ökonomie spezialisiert hat.

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