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Digitalisierung & KI

Standpunkte Die Chipkrise können Europa und USA nur gemeinsam überwinden

Globalfoundries-CEO Tom Caulfield und Manfred Horstmann, Chef des Dresdner Standorts
Globalfoundries-CEO Tom Caulfield und Manfred Horstmann, Chef des Dresdner Standorts Foto: Globalfoundries

Eine neue deutsche Regierung sollte beim Thema Halbleiter rasch den Schulterschluss mit den Europäern und den Amerikanern suchen – und ihre Mittel klug investieren, sagen Tom Caulfield und Manfred Horstmann von GlobalFoundries.

von Tom Caulfield und Manfred Horstmann

veröffentlicht am 12.11.2021

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Noch nie waren Halbleiter so wichtig für unsere Wirtschaft wie heute. Mikrochips werden überall gebraucht: Für vernetzte Maschinen, intelligente Autos, digitale Dienste und Innovationen in der Klimawende. Der Digitalisierungsschub in der Pandemie hat den Bedarf weiter angeheizt. In vielen Branchen stockt die Produktion, weil Halbleiter knapp sind. Regierungen in Europa und ihre Partner in der Welt haben erkannt: Unsere Industrien brauchen einen krisensicheren Zugang zu Chips über reißfeste Lieferketten. Strategisch handlungsfähig ist eine Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb nur dann, wenn sie Halbleiter entwickeln, herstellen und in neue Produkte integrieren kann.

Nach der Bundestagswahl hat eine neue deutsche Regierungskoalition die große Chance, gemeinsam mit ihren Partnern in Europa und der Welt die Chipindustrie zu stärken. Dabei muss sie den Schulterschluss mit den Amerikanern suchen. Als globales Chipunternehmen mit Werken in Deutschland, den USA und Singapur sehen wir bei GlobalFoundries, wie aktiv einige Länder seit Jahren in ihre Mikroelektronik-Industrie investiert haben, um sich strategische und wirtschaftliche Vorteile zu sichern. China, Taiwan und Südkorea unterstützen ihre Halbleiterhersteller mit günstiger Regulierung und direkter finanzieller Hilfe. Das ist eine geopolitische Herausforderung, die entschlossene und koordinierte Antworten erfordert.

Zusammenarbeit statt Autarkie

Die Vereinigten Staaten wollen jetzt mit dem „CHIPS for America Act“ etwa 50 Milliarden Dollar für diese Schlüsselindustrie bereitstellen. Japan ist ebenso bestrebt, ein unverzichtbarer Akteur in globalen Lieferketten zu bleiben. Auch Europa setzt sich mit dem „European Chips Act“ neue Ziele. Dabei verfügt die EU schon über industriepolitische Instrumente, die unmittelbar etwas bewirken können: In zwei grenzüberschreitenden Projekten (Important Projects of Common European Interest, IPCEI) bündeln Deutschland und andere europäische Länder ihre Kräfte mit der Industrie, um das europäische Know-how in der Mikroelektronik auszubauen und Investitionen gemeinsam zu stemmen. Wenn das seit langem angekündigte zweite IPCEI sehr bald umgesetzt wird, dürfte es die relativ schwache Position Europas im globalen Beschaffungsmarkt der Mikroelektronik deutlich verbessern.

Nicht in jedem Land oder in jeder Region müssen wir alles neu erfinden. Im gemeinsamen Interesse sollten wir zu einer belastbaren Arbeitsteilung zwischen den Verbündeten kommen, die der Dynamik unserer Zeit entspricht und den geopolitischen Herausforderungen standhält. Die EU gehört hier klar an die Seite der USA. Der neue Transatlantische Handels- und Technologierat, der im September in Pittsburgh zum ersten Mal zusammentrat, bietet die notwendige Plattform, um Investitionen in allen Teilen der Mikroelektronik-Wertschöpfungskette transatlantisch abzustimmen. Dem Risiko der Abhängigkeit von stark subventionierten, marktbeherrschenden Herstellern aus anderen Ländern können Europäer und Amerikaner nur zusammen entgegenwirken. Die Herausforderung ist für beide zu groß, um es allein zu versuchen. Nur gemeinsam können wir uns von mächtigen Lieferanten unabhängig machen.

Kluge Investitionen für die strategische Unabhängigkeit

In unserer Fabrik in Dresden baut GlobalFoundries derzeit die Produktion vieler weltweit nachgefragter Halbleiter aus. Während wir unsere eigenen Wachstumsprojekte verfolgen, hoffen wir auf die Zusammenarbeit mit der nächsten Regierungskoalition, um zügig Mittel für die zweite IPCEI-Großinvestition zu mobilisieren. Eine starke Partnerschaft mit der neuen deutschen Regierung würde dazu beitragen, die nächsten technologischen Fortschritte oder Produktionserweiterungen umzusetzen. Für unsere Kunden und Partner ermöglichen wir in Dresden leistungsstarke, sichere und energieeffiziente Anwendungen unter anderem für künstliche Intelligenz, 5G/6G-Mobilfunk, Quantencomputing und Mobilität.

Nutzen wir die Aufbruchstimmung nach der Bundestagswahl! Wir brauchen den Mut, über das Gewohnte hinaus zu denken. Gezielte Anreize für private Investitionen können viel bewirken. Die von den möglichen Koalitionspartnern angedachte Superabschreibung für Investitionen in die digitale und grüne Transformation halten wir für eine gute Idee, um Jobs und Wertschöpfung in Deutschland zu sichern.

Weit über die aktuelle Chipversorgungskrise hinaus ist es unser gemeinsames Ziel, komplementär zu den USA die europäischen Innovations- und Produktionskapazitäten und damit die ersehnte strategische Unabhängigkeit Europas zu stärken. Um die Lieferketten für Europas Schlüsselindustrien zu festigen, sollte Europa klug investieren – nämlich dort, wo die Mittel umgehend den größten Mehrwert schaffen. Aber diese Ambition ist nur so gut wie die Fähigkeit und Bereitschaft, sie schnell umzusetzen. Der Rest der Welt wartet nicht auf uns. Deutschland und Europa haben jetzt die Chance und die Pflicht, ihre Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, um mit dem Tempo des digitalen Zeitalters Schritt zu halten.


Tom Caulfield ist CEO von GlobalFoundries. Manfred Horstmann ist Chef des Dresdner Standorts von GlobalFoundries.

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