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Digitalisierung & KI

Standpunkte Digitalisierung: Erst abgehängt, dann abhängig

Oliver Grün (Bitmi) und Maximilian Mayer (Uni Bonn)
Oliver Grün (Bitmi) und Maximilian Mayer (Uni Bonn) Foto: Oliver Grün (Bitmi) | Maximilian Mayer (Lannert)

Die Digitalpolitik der Bundesregierung muss strategischer globale Abhängigkeiten im Technologiebereich angehen, finden Bitmi-Präsident Oliver Grün und der Politikwissenschaftler Maximilian Mayer. Die Instrumente dafür liegen auf dem Tisch. Dabei sollte die lokale Digitalwirtschaft eine entscheidende Rolle spielen und gestärkt werden.

von Oliver Grün und Maximilian Mayer

veröffentlicht am 01.12.2022

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Der Koalitionsvertrag der Ampel machte Hoffnung auf einen echten digitalen Aufbruch. Jetzt, beinahe 100 Tage nach der Verabschiedung der Digitalstrategie der Bundesregierung, hat diese Ambition merklich an Schwung verloren. Damit stockt nicht nur die dringend notwendige digitale Transformation von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Wir drohen auch die Chance zu verspielen, diese selbstbestimmt zu gestalten. Aktuelle Untersuchungen warnen vor inzwischen besorgniserregenden Abhängigkeiten von chinesischen und US-amerikanischen Technologien, die unseren Handlungsspielraum in Zukunft weiter einschränken. Um sich daraus zu befreien und das Potenzial der eigenen Digitalwirtschaft zu nutzen, müsste die Politik aber deutlich mehr tun als in der Digitalstrategie vorgesehen.

Die (doppelte) Gefahr digitaler Abhängigkeiten

Digitalisierung in Deutschland läuft zu lange auf Sparflamme. Angesichts der niedrigen Priorität, die dem Thema durch die Politik aktuell zuteilwird, bleibt der versprochene digitale Aufbruch durch die Ampel in weiter Ferne. Das angekündigte Digitalbudget? Mal wieder verschoben. Wenn Digitalisierung auf der politischen Agenda weiter eine Nebenrolle spielt, wächst sich das zwangsläufig zu einem massiven Problem aus. Denn Deutschland ist in digitaler Hinsicht nicht nur vielfach abgehängt, sondern auch zunehmend stark abhängig. Statt zu selbstbestimmten Gestaltern der Digitalisierung werden wir zu Anwendern. Das hat bedeutende volkswirtschaftliche Konsequenzen: Gelingt es uns nicht, im Bereich der digitalen Geschäftsmodelle global wettbewerbsfähig zu bleiben, werden wir unser Wohlstandsniveau zwangsläufig und absehbar nicht halten können.

Wie drastisch die Abhängigkeit Deutschlands ist, wird durch den Digitalen Dependenz Index (DDI) seit diesem Jahr in Zahlen präzise greifbar gemacht. So verzeichnet der DDI, der den Grad an Abhängigkeit in den Bereichen des Handels von Hardware, Software sowie Dienstleistungen und geistiger Eigentumsrechte abbildet, eine hohe Vulnerabilität für Deutschland sowie auch für den Rest Europas. Dabei befinden sich sowohl Deutschland als auch Europa in einer besorgniserregenden Doppel-Abhängigkeit von chinesischen IKT-Produkten und amerikanischen Informationsinfrastrukturen wie etwa Cloud-Diensten, Suchmaschinen und Computersoftware. So ist etwa das Leuchtturmprojekt GAIA-X in der Versenkung verschwunden.

Zum jetzigen Zeitpunkt zeigt der Index auch, dass die Schere zwischen den USA und China auf der einen und Europa auf der anderen Seite weiterwächst und trotz der rhetorischen Betonung von digitaler Souveränität tatsächlich unsere Abhängigkeit weiter steigt. Hinzu kommt die Dimension geopolitischer Verwerfungen: Welche gravierenden Folgen starke Abhängigkeiten für den politischen Handlungsspielraum haben, wird uns nicht nur im Bereich der Energieversorgung gerade schmerzlich vor Augen geführt, sondern auch durch die weitreichenden US-amerikanischen Exportrestriktionen für Halbleitertechnologien gegenüber China. Daraus sollten wir dringend etwas lernen.

Digital souverän ist, wer eine Wahl hat

Souverän, also selbstbestimmt zu sein, setzt eine Wahlfreiheit voraus. Nutze ich die Cloud des US-Anbieters oder die aus Baden-Württemberg? Die Schlussfolgerung muss sein, die bisherigen politischen Maßnahmen zur Stärkung Europas und Deutschlands als Digitalstandort umfassend aufzustocken und die eigenen Gestaltungsfähigkeiten durch einen massiven Anstieg patentierter IT-Lösungen „made in Europe“ zu stärken. Die gute Nachricht: Deutschland und Europa verfügen über eine leistungsfähige Digitalwirtschaft. Vergessen wird jedoch oft, dass diese vor allem durch kleine und mittelständische Unternehmen geprägt ist, diese stellen die Mehrzahl aller Arbeitsplätze der Digitalwirtschaft in Europa. Daraus leitet sich die Notwendigkeit ab, dass eine digitalpolitische Agenda mit dem Leitmotiv der digitalen Souveränität die Besonderheiten mittelständischer Betriebe berücksichtigen muss. Praktisch alle dieser Tech-KMU wären willens und in der Lage, ihren Beitrag zu einer digitalen Aufholjagd zu leisten. Doch insbesondere hohe regulatorische oder vergaberechtliche Anforderungen, die oft nur Großkonzerne erfüllen können, bremsen sie oftmals aus. Hinzu kommen weitere Faktoren wie der fehlende Zugang zu Wachstumskapital.

Die aktuellen Ergebnisse einer Studie der Universität Bonn verweisen zudem darauf, dass die Größenordnung der bisherigen politischen Maßnahmen unangemessen ist. Um den Abstand zu den USA und China auch nur annähernd verringern zu können, müssten die technologiepolitischen Instrumente viel breiter angelegt sein. Anbetracht der voll entwickelten Industrie- und Technologiepolitik in den USA und China ist eine Politik, die lediglich auf Markteffizienz setzt und sich auf ordnungspolitische Instrumente beschränkt, anachronistisch.

Stattdessen braucht es eine strategische Priorisierung. Die Daten des DDI zeigen, dass der entscheidende Hebel für die Verringerung digitaler Abhängigkeiten an zwei Stellen ansetzt – digitale Infrastrukturen, egal ob Hard- oder Software, sowie geistiges Eigentum. Während bei der Infrastruktur die Förderung europäischer „Champions“ sinnvoll erscheint, geht es beim Patentieren darum, die breite Vielfalt in der Digitalwirtschaft innovationspolitisch zu aktivieren. Der Trend, dass deutsche Unternehmen im Vergleich zu ostasiatischen Ländern deutlich weniger neue Informations- und Kommunikationstechnologien patentieren, müsste dramatisch umgekehrt werden, wenn Deutschland digitalpolitisch im regionalen Wettbewerb auf Augenhöhe mitspielen möchte.

Oliver Grün ist Gründer und CEO der Grün Software Group GmbH sowie Präsident des Bundesverband IT-Mittelstand (Bitmi). Weiterhin ist er Präsident der European Digital SME Alliance.

Maximilian Mayer leitet den Forschungsbereich globale Infrastrukturen am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies an der Universität Bonn, wo er Junior-Professor für Internationale Beziehungen und globale Technologiepolitik ist. 

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