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Digitalisierung & KI

Standpunkte Digitalisierung first, Zuständigkeiten second

Philipp Neuenfeldt, Senior Director der Politikberatung 365 Sherpas
Philipp Neuenfeldt, Senior Director der Politikberatung 365 Sherpas Foto: 365 Sherpas

Im bisherigen Verkehrsministerium steht nun Digitales an erster Stelle. Politikberater Philipp Neuenfeldt schreibt, was von einem liberalen Digitalministerium zu erwarten ist, das offiziell keines ist.

von Philipp Neuenfeldt

veröffentlicht am 20.12.2021

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Braucht Deutschland ein Digitalministerium? Seit Wochen diskutieren Vertreter:innen verschiedener politischer Lager über die Frage, die auch Medien- und Fachwelt spaltet. Denn in einem Land, das für seine akribische Aktenführung und seinen Formalisierungsfetisch international bekannt ist, verbindet man mit einer Messingtafel am Hauseingang, dass die dort eingravierten Schlagworte darin auch umgesetzt werden. Es lag also im Wahlkampf nahe, auf die schleppende Digitalisierung mit der Forderung nach Zuständigkeit eines eigenen Ministeriums zu „antworten“.

Unternehmen erhoffen deutlichere Antworten

Nun gibt es beim Thema Digitalisierung leider gleich auf zwei Seiten Herausforderungen: Erstens haben viele Kommunen ihre Prozesse noch nicht digital umgestellt, auch wenn in den Behörden weitaus weniger Faxgeräte stehen als manche vielleicht denken. Zweitens verstehen vor allem in kleineren Mittelstandsunternehmen immer noch zu viele unter Digitalisierung primär eine Website mit einer PDF-Preisliste.

Deshalb prangte – in der in Kauf genommenen Vieldeutigkeit – landauf und landab „Digitalisierung“ auf den Wahlplakaten vor allem der FDP. Was ist daraus geworden? In der Verhandlungsgruppe zur Digitalisierung saßen einige Politiker:innen, die sich damit beschäftigen, dass wir Behördengänge online erledigen können. So rückte zunächst einmal die Digitalisierung der Verwaltung in den Vordergrund, statt zu definieren, wie Deutschlands Unternehmen Schritt halten können mit den US-amerikanischen Wettbewerbern. Gerade zu letzterem aber haben sich viele von einer neuen Regierung deutlichere Aussagen erhofft.

Für die Verhandelnden war zu dem Zeitpunkt noch nicht klar, wer welches Ministerium besetzen würde. Klar war aber, dass ideologische Punktsiege wenig wert sind, wenn es in der Umsetzung wieder scheitert.

Zuviel Fallhöhe für ein Digitalministerium 

Weshalb also am Ende kein eigenes Ressort für Digitalisierung? Weil mit einem Digitalisierungsministerium direkt Fallhöhe und zugleich eine Angriffsfläche innerhalb der Koalitionäre aufgebaut worden wäre.

Fallhöhe, weil die Ankündigung eines eigenen Ressorts neben der ungelösten Frage nach den Räumlichkeiten auch ein gemeinsames Narrativ erfordert hätte. Das ist beim Bauministerium einfacher, weil die Themen näher beieinander liegen.

Angriffsfläche, weil sich mindestens Liberale und Grüne uneins gewesen wären, wer einem solchen Digitalisierungsministerium Führung und Richtung hätte geben dürfen.

Dabei spielt auch die Sorge mancher Grüner vor einer Marktentfesselung eine Rolle. Allerdings eine unbegründete, denn auch die FDP forderte eine Besteuerung der Tech-Giganten, die bislang in der EU zwar Milliardenumsätze erzielen, aber anders als hiesige Wettbewerber keinen nennenswerten Steuerbeitrag leisten. Anders als noch vom CDU-geführten Wirtschaftsministerium proklamiert, wird es unter liberaler Führung auch keine staatliche Förderung nationaler Champions geben, sondern ein verstärktes Pochen auf europäische Wettbewerbsregeln, um Zugangsbarrieren zu senken und damit den Markteintritt zu erleichtern. Das ist das Gegenteil libertärer Entfesselung.

Mehr Angriffsfläche unter den Koalitionären liefert das Thema Verbraucherpolitik bei digitalen Dienstleistungen. Mit dem Wechsel der Verbraucherpolitikabteilung aus dem Justizministerium zurück ins Umweltministerium, sichern die Grünen sich den direkten Zugriff. Der Koalitionsvertrag liest sich sehr verbraucherzentriert, digitale Diensteanbieter werden sich also auf stärkere Vorgaben einstellen müssen, was zum Beispiel Interoperabilität angeht. Politisch mischen sich hier die Positionen von FDP und Grünen, statt aufeinander zu prallen, Zuständigkeitsgerangel könnte es gleichwohl hier und da geben.

Die Liberalen werden deshalb ihre Schwerpunkte zu betonen wissen. Sie liegen im Infrastrukturausbau und europäischer Wettbewerbspolitik. Bei der Digitalisierung der Verwaltung bleiben zwar operative Einheiten außerhalb ihrer Zuständigkeit, von der Seitenlinie werden die Liberalen ihre Forderungen aber in Erinnerung zu halten wissen.

Der Austausch auf internationaler Ebene zu Fragen digitaler Wettbewerbspolitik beginnt nicht bei Null. Die Liberalen betonen gern, sich regelmäßig auszutauschen mit der dänischen EU-Kommissarin für Wettbewerb und Digitales, Margrethe Vestager, selbst Liberale. Ihre Leitlinien sind faire Regeln für einen möglichst starken EU-Binnenmarkt und Anreize für private Investitionen, um den Aufholbedarf bei der Infrastruktur nicht allein bei den Staatshaushalten abzuladen. Die FDP wird ihre Europa-positive Grundhaltung bei Fragen europäischer Wettbewerbspolitik immer wieder unter Beweis stellen wollen – und müssen. Dass die Liberalen mit dem BMDV nun ein Ressort haben, mit dem sie sich zu klassischen Fragen der Wettbewerbspolitik positionieren und äußern können, wird es dem aus dem Wirtschaftsministerium wechselnden Abteilungsleiter Stefan Schnorr (FDP) zusätzlich leicht gemacht haben, Staatssekretär im BMDV zu werden.

Ändert sich die Bund-Länder-Abstimmung auf Landesebene?

Anders auf Landesebene: Hier gibt es bei Digitalthemen bislang keine nennenswerte Bund-Länder-Abstimmung zu großen Linien. Zudem gibt es in den Ländern ganz unterschiedliche Strategien, beispielsweise beim Netzausbau entweder flächendeckend Glasfaser-Hausanschlüsse (fibre to the home, kurz: FTTH) herzurichten oder auf Breitbandanschlüsse zu setzen (fibre to the curb, kurz: FTTC), also Glasfaser lediglich auf den Haupttrassen und zu den Endverbraucher:innen nur Kupferleitungen (DSL-Vectoring).

Ob ein liberaler Infrastrukturminister hier den Ländern Vorgaben machen wird, bleibt eine der spannenden noch unbeantworteten Fragen. Dabei wird sich ein liberaler Digital- und Infrastrukturminister auch mit seiner Parteifreundin Lydia Hüskens in Sachsen-Anhalt austauschen, in deren Ressort ebenfalls Digitales und Infrastruktur gebündelt ist. Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sind beziehungsweise waren die einzigen Vorläufer dieses Ressortzuschnitts bislang.

Die Betrachtung zeigt: Auf leisen Sohlen wird per Organisationserlass das Bundesministerium für Digitales und Verkehr nun also zum Digitalministerium umgebaut – ohne es im Koalitionsvertrag so angekündigt zu haben. Ja, sogar nachdem es öffentlich Anfang November, also noch während der Koalitionsverhandlungen, noch „abgeschenkt“ worden war von den liberalen Verhandler:innen.

Das zeigt einen Kommunikationsstil, der in den Verhandlungen schon zu erkennen war. Lieber mit quick wins punkten als an großen Erwartungen scheitern. In dem Punkt haben die Verhandler:innen offenbar viel Lehrgeld aus der schwarz-gelben und auch aus der GroKo-Zeit gewinnbringend angelegt. Der return on investment ist nun ein Infrastrukturministerium, das für Digitales mit zuständig ist. Den Koalitionären nämlich war es wichtiger, Digitalisierungsfragen in einem handlungsfähigen Ministerium zu bündeln, als auf die Wirkung einer Messingtafel zu vertrauen. Der erhoffte Durchbruch aber ist das noch nicht.

Philipp Neuenfeldt ist Senior Director bei der Politikberatung 365 Sherpas. Davor leitete er von 2018 bis Herbst 2021 das Büro von Bernd Buchholz (FDP),  Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein.

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