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Digitalisierung & KI

Standpunkte Gelingt 2023 der Aufbruch in der Digitalpolitik?

Geschäftsführer Agora Digitale Transformation
Geschäftsführer Agora Digitale Transformation Foto: Sebastian Heise

Nachdem im Vorjahr vieles noch mit Anlaufschwierigkeiten entschuldigt werden kann, wird sich 2023 zeigen, wieviel Aufbruch wirklich in der Digitalpolitik der Ampel steckt. Entscheidend sind dabei die Öffnung der Regierungspolitik für Input aus der Zivilgesellschaft, eine bessere ressortübergreifende Zusammenarbeit und die Cybersichersicherheitspolitik, schreibt Stefan Heumann.

von Stefan Heumann

veröffentlicht am 02.01.2023

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Vor einem Jahr versprach die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag einen digitalen Aufbruch. Dieser Aufbruch wird schon lange sehnlichst erwartet. Schließlich hinkt Deutschland vom Ausbau der Breitbandinfrastruktur bis hin zu digitalen Angeboten in Schulen und Verwaltung vielen europäischen Nachbarn weit hinterher. Und auch bei der Gründung neuer, innovativer IT-Unternehmen oder der Digitalisierung bestehender Geschäftsmodelle tut sich Deutschland im internationalen Vergleich schwer.

Die Parteien haben sich angenähert

Die neue Regierung kann die Versäumnisse zweier Jahrzehnte natürlich nicht innerhalb eines Jahres aufholen. Aber auch vor dem Hintergrund verhaltener Erwartungen hat sich Ernüchterung breit gemacht. Digitalpolitische Themen hatten es angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und den mit ihm einhergehenden Krisen schwer im Wettbewerb um politische Aufmerksamkeit in Berlin. Hinzu kommt, dass sich die Parteien in der Digitalpolitik in den letzten Jahren aufeinander zubewegt haben. Das macht es schwierig zu erkennen, worin der digitale Aufbruch eigentlich besteht. Denn zumindest rhetorisch fällt die Unterscheidung zwischen den Parteien seit Jahren zunehmend schwer.

Parteiübergreifend wird mittlerweile digitale Souveränität beschworen, die Stärkung von Open Source Technologien gefordert und die Bedeutung von Open Data betont. So wurde zum Beispiel der Sovereign Tech Fund zur Stärkung des Open Source Ökosystems bereits mit einer Machbarkeitsstudie am Ende der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Auch beim Breitbandausbau und der Digitalisierung der Verwaltung setzt die Ampelkoalition im Wesentlichen die Ansätze der Großen Koalition fort. Diese Kontinuität zeigt sich auch in der im September veröffentlichten Digitalstrategie, die zu einem großen Teil bereits während der Vorgängerregierung geplante und in vielen Fällen auch bereits begonnene Maßnahmenpakete enthält.

Besonders in den Blickpunkt rücken bei einer Bewertung der Digitalpolitik daher Themen, bei denen sich die Ampel stark von der Merkel-Ära abzusetzen versucht. Hierzu zählen insbesondere die Öffnung der Regierungspolitik für Input aus der Zivilgesellschaft, eine bessere ressortübergreifende Zusammenarbeit und die Cybersichersicherheitspolitik. In diesen drei Bereichen hat die Ampelkoalition bisher nicht überzeugen können. Nachdem vieles 2022 noch mit Anlaufschwierigkeiten einer neuen Regierung entschuldigt werden kann, wird sich 2023 zeigen, wieviel Aufbruch wirklich in der Digitalpolitik der Ampel steckt.

Beteiligung der Zivilgesellschaft: Ampel muss Farbe bekennen

Im Kapitel zum digitalen Aufbruch beschreibt die Ampelkoalition im Koalitionsvertrag einen Staat, „der Kooperation mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft sucht“ und „mehr Transparenz und Teilhabe in seinen Entscheidungen bietet.“ Bei der Erarbeitung der Digitalstrategie sah sich die Zivilgesellschaft aber wie gewohnt außen vor. Das BMDV hat sich mit der Berufung starker zivilgesellschaftlicher Stimmen in den Digitalbeirat mittlerweile bemüht gegenzusteuern. 2023 muss dieser Beirat allerdings beweisen, dass es mit der Einbeziehung und Berücksichtigung zivilgesellschaftlicher Expertise nicht nur ernst gemeint ist, sondern dass der Beirat auch zu einer besseren Umsetzung der Vorhaben aus der Digitalstrategie beitragen kann.

Die Diskussion um die Digitalstrategie hat einmal mehr verdeutlicht, dass nach wie vor Standards zu Transparenz und Beteiligung fehlen. Hierzu will die Ampelregierung mit einem Bundestransparenzgesetz endlich die nötigen Grundlagen schaffen. Nachdem aus dem federführenden BMI hierzu bisher wenig zu hören war, hat ein zivilgesellschaftliches Bündnis einen eigenen Vorschlag vorgelegt. 2023 wird die Ampel Farbe bekennen müssen, wie wichtig der Regierung Transparenz ihres Handelns und Beteiligung von Zivilgesellschaft wirklich ist.

Die Ressortegoismen müssen enden

Als Querschnittsthema litt Digitalpolitik in den vergangenen Jahren besonders stark unter Silodenken und Ressortegoismen der Ministerien. Die Ampelkoalition kündigte im Koalitionsvertrag einen neuen Stil von ressort- und behördenübergreifender Zusammenarbeit an. Das erste Regierungsjahr zeigte jedoch direkt, dass ein politisches Bekenntnis zur Kooperation allein noch lange nicht ausreicht, um tiefsitzende Verhaltens- und Denkmuster aufzubrechen. Angesichts der bewussten Entscheidung gegen ein Digitalministerium ist ressortübergreifende Zusammenarbeit für die Ampelregierung wichtiger denn je. In der Praxis war davon allerdings wenig zu sehen. Zum Auftakt der Digitalpolitik der Ampel bleibt vor allem in Erinnerung, dass sich die Ministerien erstmal über ein halbes Jahr um Kompetenzen und Verantwortungsverteilung stritten.

2023 wird man sich dieses Kompetenzgerangel nicht mehr leisten können, wenn digitalpolitische Vorhaben effektiver und schneller als in der Vergangenheit vorangetrieben werden sollen. Besonderes Augenmerk gilt daher der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Begleitung der Umsetzung der Digitalstrategie. Zusätzlich wurde mit dem GovLabDE eine Plattform für ressortübergreifende Zusammenarbeit geschaffen. Auch hier muss sich 2023 zeigen, ob die Bundesregierung ressortübergreifende Zusammenarbeit vorantreiben kann. Solange die Ampelkoalition sich allerdings nicht an die Strukturen und Anreizsysteme, die Silodenken und Ressortegoismus befördern, herantraut, ist zu befürchten, dass Ressortkooperationen zwar in eigens eingerichteten Innovationslaboren stattfinden, sich aber an der alltäglichen Arbeitsweise in den Ministerien wenig ändert.

Größtes Konfliktpotenzial in der Cybersicherheitspolitik

Nachdem FDP und Grüne jahrelang die Große Koalition für mangelnden Fokus auf IT-Sicherheit und Grundrechtsschutz kritisierten, steht die Cybersicherheitspolitik im Hinblick auf den Veränderungswillen der Ampel besonders im Fokus. Der Koalitionsvertrag hielt auch, was die Kritiker sich erhofft hatten. Es soll ein Recht auf Verschlüsselung, einen strukturellen Umbau der Cybersicherheitsarchitektur und mehr Unabhängigkeit für das BSI geben. Von alledem war 2022 leider nichts zu sehen. Bei der Cybersicherheitspolitik eiert das BMI weiter wie zu besten Zeiten der Großen Koalition herum. Ein Paradigmenwechsel hin zu klarer Positionierung für Verschlüsselung und IT-Sicherheit ist nicht zu erkennen. Stattdessen wird weiter „Cyber Washing“ betrieben, wie Sven Herpig die Vermischung von Eingriffsbefugnissen für Sicherheitsbehörden mit Cybersicherheitspolitik pointiert auf den Punkt gebracht hat.

Bei der Positionierung der Bundesregierung zum Vorstoß der EU-Kommission zur Chatkontrolle gab es dementsprechend den ersten großen Zoff in der Ampelregierung zur digitalpolitischen Agenda. Überraschend ist angesichts des klaren Bekenntnisses für ein Recht auf verschlüsselte Kommunikation im Koalitionsvertrag, warum es hier überhaupt einen Zwist zwischen BMI und anderen Ressorts gibt. Daher gilt es beim Ausblick auf 2023 insbesondere auf die Cybersicherheitspolitik zu schauen. Von allen digitalpolitischen Themen liegt hier das größte Konfliktpotenzial für die Koalitionspartner. Hier prallen GroKo Politik und der vor allem von FDP und Grünen in die Ampel eingebrachte Veränderungswille am stärksten aufeinander.

Das BMI spielt nicht nur bei der Cybersicherheitspolitik eine zentrale Rolle für die digitalpolitische Agenda der Ampelkoalition. Das BMI hat auch die entscheidenden Hebel bei der Verwaltungsdigitalisierung in der Hand und ist für das oben erwähnte Bundestransparenzgesetz in der Federführung. Neben dem im für die Koordinierung der Digitalstrategie zuständigen BMDV wird daher vor allem auch im BMI über die digitalpolitische Bilanz der Ampel entschieden. Und als SPD geführtes Haus stellt sich fürs BMI ganz besonders die Frage, die für die gesamte Digitalpolitik der Bundesregierung gilt: wie viel GroKo steckt eigentlich noch in der Ampel? Während die Aufbruchsrhetorik aus Wahlprogrammen und Koalitionsvertrag langsam verblasst, werden 2023 konkrete politische Entscheidungen der Ampel bei Fragen von Transparenz und Einbindung von Zivilgesellschaft, der interministeriellen Zusammenarbeit und der Cybersicherheitspolitik hierüber Aufschluss liefern.

Stefan Heumann leitet seit Jahresbeginn 2023 die neu gegründete Agora Digitale Transformation. Der Politikwissenschaftler hatte davor seit 2013 bei der Stiftung Neue Verantwortung (SNV) gearbeitet und den digitalpolitischen Thinktank unter anderem als Vorstand mit aufgebaut.  

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