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Digitalisierung & KI

Standpunkte Europa braucht inklusive digitale Zukunftsvisionen

Carla Hustedt, Projektleiterin „Ethik der Algorithmen“ bei der Bertelsmann-Stiftung
Carla Hustedt, Projektleiterin „Ethik der Algorithmen“ bei der Bertelsmann-Stiftung Foto: imago images/Günther Ortmann

Im europäischen Digitaldiskurs herrscht Einigkeit darüber, was für eine Zukunft wir nicht wollen: kein gesellschaftsvergessener Radikalkapitalismus wie in den USA, kein totaler Überwachungsstaat wie in China. Doch welche digitale Zukunft wollen wir? Carla Hustedt von der Bertelsmann-Stiftung plädiert dafür, inklusive digitale Visionen zu entwickeln.

von Carla Hustedt

veröffentlicht am 25.11.2020

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Die Science-Fiction-Serie „Black Mirror“ erzählt Geschichten aus einer Welt, in der Technologien die Überhand über die Menschheit gewonnen haben. Individualität ist durch übertriebene Selbstoptimierung verloren gegangen, die Partnerwahl durch algorithmische Personalisierung kontrolliert, Unterhaltung gegen Freiheit eingetauscht. Zuschauer:innen empfinden dabei ein starkes Unbehagen, denn trotz extremer Zuspitzung sind Bezüge zum eigenen Leben erkennbar.

Die Digitalisierung beeinflusst ohne Zweifel unser aller Leben. Dabei ist es schwer, das Ausmaß und die Art des Wandels zu begreifen, während man mitten in der Veränderung steckt. Wir sollten daher öfter in die Zukunft schauen, aktuelle Entwicklungen weiterdenken, um so auch das Hier und Jetzt besser verstehen zu können.  

Menschenzentrierte Digitalisierung – was soll das sein?

Aktuell besteht im europäischen Digitaldiskurs hauptsächlich Einigkeit darüber, was für eine Zukunft wir nicht wollen: kein gesellschaftsvergessener Radikalkapitalismus wie in den USA, kein totaler Überwachungsstaat wie in China. Stattdessen hat die EU sich dem Ziel der „menschenzentrierten Digitalisierung“ verschrieben. Dies ist ohne Zweifel ein erster wichtiger Schritt. Betrachtet man jedoch die Maßnahmen, die aus der Zielsetzung folgen, wirkt die EU häufig reaktiv und immer einen Schritt hinterher. Politik ist darauf fokussiert, Schlaglöcher auszubessern, während in den Tech-Unternehmen in hoher Geschwindigkeit an ihren Versionen der Zukunft getüftelt wird.

Der Privatsektor hat schon lange verstanden, dass Organisationsvisionen die kollektive Fähigkeit erhöhen, kohärente und strategische Entscheidungen zu treffen – sie motivieren Menschen und bieten ihnen Orientierung. Gegensätzlich wirkt die ständige Abgrenzung von anderen und das Bemängeln ihrer Positionen und Herangehensweisen – es gefährdet die Durchsetzung der eigenen Vorhaben, weil die Ideen, gegen die man sich eigentlich aussprechen möchte, in den Köpfen der Menschen hängen bleiben.

Um Europa von einer reaktiven hin zu einer proaktiven Digitalpolitik zu bewegen und dabei die Bevölkerung für den Wandel zu begeistern, braucht es daher positive gesellschaftliche Visionen! Da Technologie die Grenzen des Machbaren verschieben kann, muss Digitalisierung von vorneherein mitgedacht werden – ohne dabei Selbstzweck zu sein. Es sind gesellschaftliche Themen, die im Zentrum der Diskussion stehen müssen.

Kein Mangel an Visionen, nur an Debatten dazu

In was für einer Welt wollen wir leben? Welche Rolle sollten digitale Innovationen dabei spielen? Wie können wir Algorithmen, Künstliche Intelligenz (KI) und andere Technologien einsetzen, um Inklusion, Diversität und Zusammenhalt zu fördern? Mit dem neuen Fellowship „The New New“ wollen die Bertelsmann Stiftung und das gemeinnützige Superrr Lab versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Ob in Form von künstlerischen Projekten, Geschichten, Konzepten oder digitalen Werkzeugen. Das Fellowship versteht sich als Ausgangspunkt für Diskussionen und Experimente. Denn, in den Worten von Julia Kloiber, einer der Co-Gründerinnen des Superrr Lab: „Es fehlt an Visionen für die Digitalisierung. Nicht, weil es keine gibt, sondern weil es an gezieltem Austausch dazu mangelt – zum Beispiel zwischen Entscheidungsträger:innen, Akteuren aus der Zivilgesellschaft und der Kunst“. Uns geht es weder darum, schnelle, noch perfekte Lösungen zu finden. Der Prozess der Entwicklung von inklusiven digitalen Zukunftsvisionen ist genauso wichtig, wie das Ergebnis selbst.

Diverse Diskurse für eine gerechtere Welt

Der Digitalisierungs-Sektor ist momentan vor allem weiß und männlich, was dazu führt, dass die Ansichten und Bedürfnisse von großen Teilen der Bevölkerung nicht mitgedacht werden. Unser aktuelles Verständnis von Fortschritt basiert zudem auf historischen Narrativen der Unterdrückung. Aus diesem Grund sind insbesondere Bewerbungen von Personen willkommen, die aufgrund von Behinderungen, sozialem Hintergrund, wegen ihres Geschlechts oder anderen Faktoren im aktuellen Digitaldiskurs weniger repräsentiert sind.

Denn eines ist klar: Vielfalt fördert Innovation. Nur durch unterschiedliche Perspektiven schaffen wir wahrhaft Neues. Anders als es die Serie Black Mirror glauben lässt, ist eine bessere Zukunft möglich. Um herauszufinden, wie diese aussehen soll, brauchen wir diversere Ideen!

Carla Hustedt leitet das Projekt „Ethik der Algorithmen“ bei der Bertelsmann-Stiftung. Der Artikel basiert auf gemeinsamen Überlegungen mit Elisa Lindinger und Julia Kloiber, Gründerinnen vom Superrr Lab, sowie auf Gesprächen mit den Beiratsmitgliedern von „The New New“. Dazu zählen Fieke Jansen vom Data Justice Lab an der Universität Cardiff, Joana Varon von der Harvard Kennedy School, Joy Asongazoh Alemazung (#HeForShe Germany), Lorena Jaume-Palasi von der Ethical Tech Society, Nushin Yazdani (dgtl fmnsm), Olivia Vereha von Code for Romania, dem Aktivisten und Gründer von Sozialhelden  e.V., Raúl Krauthausen, sowie Stephen Cave (Executive Director des Leverhulme Centre for the Future of Intelligence an der Universität Cambridge). Ab heute bis zum 6. Januar 2021 können sich volljährige Personen aus ganz Europa hier für die sechsmonatige Förderung zur Entwicklung inklusiver digitaler Zukunftsvisionen bewerben.

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