Bereits der Wahlkampf offenbarte unterschiedliche Ansätze der Ampel-Parteien zur Neuaufstellung der Digitalpolitik. Einigkeit besteht zwar in der Frage, ob Kompetenzen im wichtigen Feld der Digitalpolitik gebündelt werden sollen. Darauf hatten sich die Ampel-Koalitionäre bereits im Sondierungspapier festgelegt – unklar blieb jedoch die Ausgestaltung. Nun scheint sich die Mutlosigkeit durchzusetzen und eine verwässerte Lösung anstelle eines eigenständigen Digitalministeriums im Trend der Verhandlungen zu liegen.
Dies gefährdet die vielleicht letzte Chance, noch rechtzeitig ein echtes Digitalministerium mit Richtlinienkompetenz aufzusetzen. Die wirkungslose Digitalpolitik der letzten Jahre führte dazu, dass Deutschland international als digitaler Absteiger durchgereicht wurde. In einer aktuellen Studie des European Center for Digital Competitiveness (ECDC) zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit liegt Deutschland in Europa inzwischen auf dem vorletzten Platz, vor Albanien. Nach aktueller Einschätzung verbleiben den Ampel-Parteien drei Ansätze zur strukturellen Neuausrichtung der Digitalpolitik in einer zukünftigen Bundesregierung.
Warum das Kanzleramt kein Digitalministerium ersetzt
Eine Partei mit Anspruch auf das Kanzleramt würde die Bündelung der Digitalpolitik vermutlich weiterhin im Kanzleramt verorten. Das Kanzleramt aber ist strukturell als Kontroll- und Koordinationsapparat nicht imstande, die notwendige, inhaltlich fundierte Bearbeitung von Digitalthemen durchzuführen, wie sie ein Fachministerium leisten könnte. Wir brauchen fachliche Kompetenz zur Bewältigung unzähliger Aufgaben – vom Definieren einer Digitalstrategie bis zur Durchdringung der digitalen Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain oder Quantencomputing.
Auch die einvernehmlich notwendige Zusammenarbeit in der Digitalpolitik als Querschnittsthema mit allen Fachministerien aus dem Kanzleramt ist strukturell kaum realisierbar. Es gibt im Kanzleramt nicht die Strukturen auf fachlicher Ebene wie in den Fachministerien. Somit ist auch die übliche Abstimmung im politischen Tagesgeschäft auf den jeweiligen Ebenen nicht wirkungsvoll durchsetzbar. Die Koordinierung der Digitalpolitik im Kanzleramt würde weiterhin ins Leere laufen. Für unseren Wohlstand und die digitale Zukunft ist ein „Weiter so“ im Kanzleramt, auch mit einer Aufwertung, die mit Abstand schlechteste und unwirksamste Lösung.
Das kleinere Übel: Ein angedocktes Digitalministerium
Ein klassischer Kompromiss kann das Andocken eines Digitalministeriums an ein bestehendes Fachministerium sein. Sofern diese Lösung richtig ausgestaltet wird, stellt sie noch die beste Alternative zu einem eigenständigem Digitalministerium dar. Zur mittelfristigen Wahrung unseres Wohlstandes ist eine chancenorientierte Sicht auf den Nutzen der Digitalisierung vonnöten, und damit das Wirtschaftsministerium für diese Aufgabe am ehesten geeignet. Es sollte die Möglichkeit geben, anstelle eines Staatssekretärs einen Digitalminister als Minister für besondere Aufgaben mit Kabinettsrang zu bestellen.
In einer zentralen Verantwortung für Digitales sollten eigene Budgets und Zuständigkeiten für die Themen Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung, digitale Infrastrukturen und digitale Schlüsseltechnologien gebündelt werden. Eine Verschiebung von Grundsatzreferaten und weiteren Bereichen mit Digitalverantwortung aus anderen Fachministerien sollte geprüft werden, darunter die Digitalisierung von Arbeitswelten des Arbeitsministeriums, Digitalisierung von Familienleistungen des Familienministeriums, technologieorientierte Innovationsförderung des Forschungsministeriums und weitere.
Ein souveränes Digitalministerium bleibt die beste Option
Die Orientierung an den Spitzenreitern in der digitalen Transformation gewährleistet indes nur ein eigenständiges Digitalressort, das die Federführung bei allen Vorhaben mit digitalem Schwerpunkt besitzt, projektbezogen mit den jeweiligen Fachministerien zusammenarbeitet und den alleinigen Fokus auf die Umsetzung einer digitalen Gesamtstrategie legt. Kritik an der Einrichtung eines eigenen Hauses gibt es dennoch reichlich: Der Aufbau sei zu langwierig, kompetentes Personal nicht leicht zu bekommen, das benötigte Gebäude ohnehin nicht verfügbar. Und so war unlängst in den Medien zu lesen, dass die Einigung der Koalitionspartner auf ein eigenständiges Digitalministerium immer unwahrscheinlicher wird.
Leider verfallen wir dadurch in ein altes Muster: Anstatt zu ermöglichen, konzentriert sich die Debatte wieder darauf, was alles nicht geht. Helfen würde stattdessen eine Beschäftigung mit den diversen vorliegenden Konzepten, wie auch ein eigenständiges Digitalministerium schnell handlungsfähig werden könnte. Es bleibt dabei: Nur mit Mut und ohne Angst lässt sich die Zukunft gestalten.
Oliver Grün ist Präsident und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands IT-Mittelstand e.V. (BITMi).