Das Sondierungspapier von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP fordert zum Thema Digitalisierung: „Kompetenzen in der Bundesregierung werden neu geordnet und gebündelt.“ Ein viel diskutiertes eigenständiges Digitalministerium soll es nach letzten Meldungen aber nicht geben. Stattdessen stehen zwei Optionen im Raum: Die Stärkung der Koordination im Kanzleramt oder die Bündelung von Digitalthemen mit einem anderen (bestehenden) Ressort. Wie kann eine solche Bündelung nun konkret funktionieren? Dazu sind verschiedene, zum Teil scheinbar widersprüchliche Anforderungen zu integrieren. BCG hat dafür ein Modell entworfen, das Antworten auf drei zentrale Fragen gibt.
Welcher Aufgabenzuschnitt ist sinnvoll?
Damit eine schlagkräftige Einheit entsteht, sollten querschnittliche Digitalthemen gebündelt werden, also alle Fragen der digitalen Infrastruktur von der Konnektivität (Breitbandnetze, Mobilfunk, Satelliten) bis hin zu (souveränen) Cloud-Angeboten, sowie alle querschnittlichen Digitalstrategien, die einer Weiterentwicklung bedürfen (z.B. KI-Strategie, Datenstrategie, Open-Source-Strategie, Strategie zur Digitalen Souveränität). Zusätzlich sollte die Verantwortung für die Verwaltungsdigitalisierung sowie die IT-Konsolidierung des Bundes mit zugeordnet werden. Alle anderen Themen in der Digitalisierung sollten als Fachthemen gesehen und damit auch in der Zuständigkeit der jeweiligen Ressorts bleiben, zum Beispiel für Gesundheit, Verteidigung, Energie oder Umwelt. Ein Gesundheitsministerium wäre also weiter für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständig. Um die Fachressorts in ihrer Verantwortung zu stärken, sollten die vorhandenen CIOs zu Chief Digital Officers (CDOs) weiterentwickelt werden.
Wie schafft man es, schnell startfähig zu sein?
Die Bündelung der Digitalthemen sollte an einem existierenden Haus, idealerweise mit bereits vorhandenen Digitalaufgaben erfolgen (z.B. BMVI, BMWi oder BMI, ggf. auch BMBF oder Kanzleramt). An dieses würden gemäß dem Aufgabenzuschnitt Abteilungen aus anderen Häusern angegliedert. So könnte das BMWi zum „Bundesministerium für Wirtschaft und Digitalisierung“ werden. Das würde besonders dann Sinn ergeben, wenn die Energieabteilungen des BMWi in ein Klimaministerium verlagert würden. Zu einem solchen Ressort sollten die Abteilungen für die Themen Verwaltungsdigitalisierung, Cybersichert, IT-Konsolidierung (heute BMI und BMF) sowie die digitale Infrastruktur (heute BMVI) hinzukommen. Eine Abteilung mit den Schwerpunkten in Netzregulierung, Digitaler Agenda und Künstliche Intelligenz gibt es im BMWi bereits. Ein solcher Aufbau aus einem existierenden Haus heraus ermöglicht eine schnelle Umsetzung. Dafür ist es auch nicht notwendig, dass alle Abteilungen in einem Gebäude zusammen untergebracht werden, das ist auch heute in vielen Ministerien nicht der Fall.
Was braucht man noch, damit ein Ministerium neuen Typs entsteht?
Eine reine Bündelung von Aufgaben stärkt die Bedeutung des Themas, schafft mehr Verantwortlichkeit und reduziert Schnittstellen, sorgt aber noch nicht allein für mehr Dynamik. Daher braucht es darüber hinaus erstens eine Erhöhung der Strategiefähigkeit, zweitens die Fachaufsicht für relevante Behörden sowie drittens eine Stärkung der Umsetzungsfähigkeit für fachliche und für Digitalprogramme.
Die Strategiefähigkeit kann durch einen Thinktank im Leitungsbereich des gebündelten Digitalressorts gestärkt werden. Dieser agiert als Denkfabrik, die agil arbeitet und die querschnittlichen Digitalstrategien für die Bundesregierung erarbeitet und koordiniert, zum Beispiel die KI-Strategie oder die Datenstrategie. In einem solchen Thinktank können auch verbindliche Digital-Checks für Gesetze erfolgen, also die Prüfung neuer Gesetzesentwürfe auf ihre digitale Kompatibilität.
Das neu strukturierte Ministerium benötigt Fachaufsicht für relevante Behörden(-teile), insbesondere bezüglich Telekommunikations- und Digitalregulierung. Dazu gehören unter anderem die Bundesnetzagentur (BNetzA, Abteilungen 1,2,4), das BSI oder die BDBOS.
Zum Ankurbeln wichtiger Programme sollte außerdem eine Delivery Unit eingesetzt werden, die als querschnittliche „Umsetzungseinheit“ agiert. Sie stellt den Erfolg herausragender Projekte durch ein professionelles Programmmanagement sicher. In dieser Struktur könnten Großprogramme wie beispielsweise das Onlinezugangsgesetz oder die Registermodernisierung effektiver gesteuert werden.
Schließlich sollte im nachgeordneten Bereich eine Digitalagentur entstehen, die für konkrete technische Umsetzung sorgt, also vor allem Software und Apps realisiert. Der DigitalService4Germany kann hier als Nukleus dienen, müsste aber stark ausgebaut werden, um auch zentrale Projekte wie eine Corona-Warn-App realisieren zu können.
Wo kann nun eine solche Bündelung und Aufwertung am besten stattfinden? Ein neues Kanzleramt wird sich eine deutlich gestärkte Koordinationsrolle in der Digitalisierung nicht nehmen lassen. Will man ein „Ministerium neuen Typs“ schaffen, ist es schwer vorstellbar, all dies in einem Kanzleramt unterzubringen. Grundsätzlich wäre dann auch eine Kombination beider Optionen denkbar: die querschnittliche Aufsicht und Betrachtung aller Digitalthemen der Bundesregierung unter einer/-m Chief Digital Officer des Bundes im Kanzleramt (ausgestattet mit mindestens einer vollen Abteilung, ggf. ergänzt um den beschriebenen Think Tank), plus die Bündelung der Kernthemen in einem der Fachresorts.
Thilo Zelt ist Partner und Managing Director bei der Boston Consulting Group für den öffentlichen Sektor.