Die technologische Welt wird sich in den kommenden Jahren revolutionär verändern. Verantwortlich werden dafür nicht zuletzt Quantentechnologien (QT) sein. Die sich entwickelnden QT nehmen weltweit an Fahrt auf und bieten durch neuartige Anwendungen immenses wirtschaftliches Potenzial. Immer stärker steigen Unternehmen in diese Entwicklung ein und strategisch-internationale Aspekte spielen durch die möglichen Auswirkungen auf die technologische Souveränität eine immer größer werdende Rolle. Dies entfesselt ein weltweites Rennen um die beste Position bei der Nutzung dieser neuen Technologien.
Die Quantenwelt erscheint im Vergleich mit unserer Alltagswelt in mancher Hinsicht schwer fassbar bis bizarr –typische Quanteneffekte sind sogenannte Überlagerungszustände, eine „spukhafte Fernwirkung“ und die unabwendbaren Auswirkungen eines Beobachters auf ein Quantensystem im Messprozess. Gleichzeitig gibt es aktuell einen regelrechten Hype, der suggeriert, Quantentechnologie könne durch Ausnutzung dieser schwer greifbaren Quanteneffekte diverse große und akute Probleme schnell aus der Welt schaffen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu betonen, dass die Quantenphysik weder neu noch „esoterisch“ oder „mysteriös“ ist. In der Tat feiert die Quantenmechanik als eine der erfolgreichsten physikalischen Theorien mit den genauesten, durch zahlreiche Messungen bestätigten Vorhersagen, als wohl etabliertes Feld im nächsten Jahr 100-jährigen Geburtstag. Dieser Geburtstag wird von nationalen Netzwerken, so von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und der American Physical Society, als „Quantenjahr“ zelebriert, in dem die Potenziale der Technologie besondere Hervorhebung finden und schließlich in einer voraussichtlichen Resolution der UNESCO- und UN-Generalversammlungen gipfeln.
Die für diese neue Technologie ausgenutzten Quanteneffekte sind dabei in zahlreichen Forschungslaboren überall auf der Welt alltägliche Routine. Was also ist nun neu und löst die aktuelle Euphorie aus? Neu ist die technologische Beherrschung von Quantensystemen aus einzelnen Quantenobjekten, wie zum Beispiel einzelnen Atomen und Photonen. Ablesen lässt sich diese Entwicklung gut an den Nobelpreisen, die – mit entsprechender Verzögerung – Technologien befeuert haben: Erst in den vergangenen Jahrzehnten ist es möglich geworden, gezielt maßgeschneiderte Quanteneffekte zu erzeugen, zu manipulieren und technologisch auszunutzen. In Deutschland hat die Erforschung der QT dabei eine sehr starke Tradition und zeichnet sich aus durch Exzellenz in der Grundlagenforschung. Beim Transfer dieser wissenschaftlichen Ergebnisse in Anwendung und Markt gibt es allerdings noch Verbesserungsbedarf im Vergleich mit anderen Ländern.
Learnings aus dem Quanten Valley Niedersachsen
Die Region Hannover-Braunschweig ist geprägt durch ebensolche exzellente Forschung in der Quantenphysik und QT, sichtbar beispielsweise am Exzellenzcluster Quantum Frontiers und dem Projekt für einen Quantencomputer-Demonstrator ATIQ, basierend auf enger Zusammenarbeit von sich komplementär ergänzenden Instituten, nämlich der Leibniz-Universität Hannover, der Technischen Universität Braunschweig, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Aufbauend auf dieser wissenschaftlichen Exzellenz, wurde durch die Förderung des Landes Niedersachsen das Quantum Valley Lower Saxony (QVLS) aus der Taufe gehoben als eines der ersten „Quantum Valleys“ in Deutschland, um die wissenschaftliche Exzellenz in marktrelevante Anwendungen zu transferieren, wozu auch der Quantencomputer „made in Niedersachsen“ (QVLS-Q1) gehört.
Dies greift der BMBF-geförderte Zukunftscluster QVLS-iLabs auf und fokussiert auf die gezielte Kooperation zwischen Forschungsinstituten und Industriepartnern, einschließlich etablierter Unternehmen. Der Hightech-Inkubator (QVLS-HTI) zielt auf größere Marktreife entlang der Wertschöpfungskette durch die Förderung von jungen Unternehmen und Start-ups im Rahmen von direkter Unterstützung durch das Land Niedersachsen und in den eigens dafür eingerichteten Räumen in den ehemaligen Rolleiwerken in Braunschweig. Die drei Projekte QVLS-Q1, QVLS-HTI und QVLS-iLabs zeigen durch ihre komplementäre Ausrichtung den strategischen Ansatz und decken das ganze Spektrum der Wertschöpfungskette ab – hier greifen Bundes- und Landesförderung in idealer Weise eng ineinander. Ziel ist, dass der Hightech-Inkubator sich selbst trägt, ohne öffentliche Gelder.
An der Geschichte unseres Hightech-Inkubators zeigen sich einige wichtige Punkte für den Transfer der QT in die Anwendung: Zwischen Ausstellung des Förderbescheids und der Einweihungsfeier liegt einige Zeit. Woher kommt dieser Abstand? Durch die enge Anbindung an die Forschung und den hohen technologischen Aufwand geht es bei der QT um eine aufwendige und investitionsintensive Technologie. Entsprechend handelt es sich beim QVLS-HTI nicht um Büros und Co-Working-Spaces, sondern um echte Deep-Tech-Labore zur Entwicklung von QT-Prototypen – in diesem Lichte gelangen der Umbau und die Einrichtung in sehr schneller Zeit. In der Zukunft müssen die im Labor bewährten Konzepte nun sorgfältig in robuste alltagstaugliche Technologie entwickelt werden. Auch hierfür braucht es eine lange Hand sowie eine fortgesetzt enge Anbindung an die Wissenschaft. Dies sollte sich auch in unbürokratischen und angepassten Förderinstrumenten und den Erwartungen an die Quantentechnologie widerspiegeln.
Wie wir im Quantenrennen vorne bleiben
Wichtig sind in diesem Zusammenhang realistische Einschätzungen, um diese eng an die Wissenschaft angebundene Technologie langfristig aufzubauen und voranzubringen. Die Grundlage für solche realistischen Einschätzungen sind genaue und unabhängige Messungen, Charakterisierungen, Metrologie und Standardisierung – und das alles in enger internationaler Kollaboration. In Deutschland wird dieses Feld durch das im Jahr 2019 durch Förderung des BMWK an der PTB eingerichtete Quantentechnologiezentrum (QTZ) vorangetrieben. Wesentliche Aufgabe des QTZ: Die aufkommende QT-Industrie mit wissenschaftlichem und metrologischem Knowhow unterstützen. In diesem Jahr wird das QTZ in das neue Gebäude auf dem Campus der PTB einziehen – benannt nach Lummer und Pringsheim, zwei Wissenschaftlern der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR), die, vor wiederum mehr als 100 Jahren, mit ihren genauen, sorgfältigen und unabhängigen optischen Messungen zur Entstehung der Planckschen „Lichtquantenhypothese“ und damit der Quantenphysik überhaupt beigetragen haben.
Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches und konkurrenzfähiges Innovationsökosystem Quantentechnologie in Deutschland sind ausgezeichnet, wenn wir koordiniert und schnell vorgehen, im Schulterschluss von Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten und die großartigen Talente, die wir haben, angemessen und ohne zu viel bürokratischen Aufwand fördern.
Auch auf fundamentaler Ebene gibt es keinen Zweifel: Die Welt wird am Ende regiert durch die Quantenphysik, mit oder ohne Übereinstimmung mit menschlicher Alltagserfahrung. Eine weiter fortschreitende Technologie wird sich dieses Gedankengebäude zunutze machen müssen. Erwartungen und Förderinstrumente sollten den Anforderungen der QT als Deep Tech angepasst sein. Damit haben wir alles beisammen, um im internationalen Rennen zu bestehen und Quantentechnologie für Gesellschaft und Wirtschaft nutzbar zu machen.
Nicolas Spethmann leitet das Quantentechnologie-Kompetenzzentrum (QTZ) an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), das im Jahr 2019 als permanente Einrichtung durch das BMWK zur Unterstützung der aufkommenden Quantentechnologie-Industrie gegründet wurde.