„Für digitale Lehrmittel sind wir nicht zuständig – da müssen Sie sich an eine andere Behörde wenden.“ So oder so ähnlich antworten Schulträger vielerorts noch immer, wenn Schulen sie nach der Auswahl der richtigen Unterrichtshilfen fragen.
Was stimmt: Schulträger – als Vermittler zwischen Kultusministerium und Schule – sind nach derzeitigem Stand nicht dafür zuständig, Lehrmittel zu prüfen. Sie kümmern sich aber darum, diese zu beschaffen. Auch und gerade dann, wenn die Bundesländer eine Lernmittelbefreiung beschlossen haben.
Warum also weisen Schulträger die Verantwortung gerade bei digitalen Materialien von sich? Wer, wenn nicht sie, ist für die (digitale) Ausstattung der Schulen zuständig? Wie können sie Schulen effizient dabei unterstützen, Materialien anzuschaffen?
Analoge Beschaffung
In Deutschland gibt es mehr als 5.500 öffentliche Schulträger wie Landkreis, Stadt oder Gemeinde. Hinzu kommen noch private Träger. Dabei kann sich stark unterscheiden, wie viele Schulen ein einzelner Schulträger betreut: An manchen Orten ist der Schulträger für ein bis zwei kleine Schulen zuständig, an anderen für mehrere hundert. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Ressourcen.
Aktuell ist es wesentlich einfacher, analoge statt digitale Schulmaterialien anzuschaffen. Wer etwa Schulbücher beschaffen will, tritt zunächst mit einem Vorschlag an den zuständigen Schulträger heran. In Ländern mit Schulbuchzulassung haben es Schulen noch einfacher. In einer Liste des zuständigen Kultusministeriums finden sie mögliche Anbieter, die Kosten und Angebote sind gut vergleichbar. Die didaktische Auswahl haben Kultusministerium und nachgelagerte Behörden dann schon zuvor getroffen.
Neue Angebote brauchen neue Prozesse
Komplexer wird es bei digitalen Lehr- und Lernmaterialien. Denn viele Angebote haben nicht nur Inhalte für ein Fach oder eine Klassenstufe, sondern sind fächer- und klassenübergreifend. Der Fachbereich einer Schule muss nun auf eigene Verantwortung viele Angeboten prüfen und ohne weitere Richtlinien des Schulträgers und des Ministeriums das beste digitale Angebot auswählen. Damit die Schule das gewünschte Programm nutzen kann, muss sie zusätzlich noch Vergleichsangebote einholen und schließlich den gesamten Prozess selbst abwickeln.
Hier könnte der Schulträger sinnvoll unterstützen: Er könnte Angebote einholen, vergleichen und gebündelt mit den Schulen teilen. Aktuell dürfen Schulträger jedoch nicht selbst aktiv werden. Aus internen Kreisen heißt es, nur ein Drittel aller Schulträger wolle überhaupt didaktisch mitbestimmen. Aber Schulleitungen und Fachkonferenzen sind nicht die richtigen Anlaufstellen, um Angebote einzuholen und auszuwerten sowie komplizierte Entscheidungsprozesse für die Lizenzierung von digitalen Lehrmitteln aufzustellen. Sie sollten sich in erster Linie um den Schulbetrieb kümmern.
Schulträger befinden sich daher oft in der Zwickmühle: Gehen sie in die didaktische Prüfung, auch wenn sie keine Kompetenzen haben? Viele entscheiden sich dafür, die Aufgabe der Schulleitung zu überlassen und entziehen sich so der Verantwortung. Oder, und das ist noch dramatischer, sie verfügen erst gar nicht über klare Budgets, die sie für digitalen Unterricht nutzen können – selbst, wenn sie wollten.
Ein analoges Schulbuch lässt sich einmalig anschaffen und ist dann für viele Jahre an der Schule ausleihbar. Digitale Produkte werden auf Lizenz-Basis vertrieben und müssen jährlich verlängert werden. Diese Lizenzen zu beschaffen und zu erneuern bedeutet Arbeit. Für diese gibt es in Deutschland selten Prozesse und noch seltener verstetigte Budgets. Es handelt sich um Arbeit, die bei Schulträgern und Schulen oft aufgrund knapper Ressourcen oder mangelnder Kenntnisse derzeit nicht umsetzbar ist.
Der Einsatz digitaler Lehr- und Lernmittel an Schulen ist also an das Wissen, die Kapazitäten und die Budgets der Schulträger gebunden. Nicht selten fehlt es an einem der drei elementaren Punkte. So wird Verantwortung hin und her geschoben: Von der Schule zum Schulträger, zum Ministerium, welches doch lieber auf Landesebene über den Einsatz entscheiden soll und zurück zur Schule oder sogar zu den Eltern, die letztlich selbstständig über Spendensammlungen, Fördervereine und Ähnliches digitale Lizenzen finanzieren. So kann es nicht weitergehen, wenn wir in den nächsten Jahren digitales Lehren und Lernen an unseren Schulen in den Alltag integrieren wollen.
CTOs bei Schulträgern
Schulträger sollten sich nicht länger als reiner „Beschaffer“ verstehen. Sie müssen Wissen aufbauen. Sie müssen in den Austausch mit Schulen, Ministerien und anderen Schulträgern gehen und ein Ausstattungskonzept für digitale Lernmittel für die Schulen in ihrer Trägerschaft aufbauen.
Dazu braucht es neben Budgets vor allem ein beim Schulträger angesiedeltes Team aus Didaktiker:innen, Einkäufer:innen und IT-Expert:innen, das die Träger berät. Dieses Team muss kontinuierlich die Bedarfe an den Schulen abfragen, diese bündeln und anschließend in die Verhandlungen gehen und Lizenzierungen erwerben. Die Tools sollten dann im engen Austausch mit Schulen und Schulträgern evaluiert werden. Hier ist es gerade für kleinere Schulträger essenziell, sich untereinander auszutauschen. Sie sind auf die Erfahrungen von größeren Behörden angewiesen, die solche Teams überhaupt personell stemmen könnten.
Ähnliche Konzepte gibt es unter anderem in den USA, die in den Schulbezirken die Rolle der Chief Technology Officers (CTO) eingeführt haben. Die CTOs arbeiten mit Expert:innen-Teams an den Schulen zusammen, prüfen die Tools gemeinsam auf Herz und Nieren und teilen das erlangte Wissen anschließend mit dem Schulbezirk. So lassen sich Synergien erzeugen und es können alle Schulen vom Wissen einzelner profitieren.
Auch in Deutschland gibt es bereits viele engagierte Schulträger, aktuell ist dies unserer Erfahrung nach noch nicht die Mehrheit. Aber wir erleben, wie sich Gemeinden und Schulen eng austauschen, gemeinsam Materialien beschaffen und gegenseitig Feedback geben. Diese Beispiele müssen im wahrsten Sinne des Wortes Schule machen – um so die Digitalisierung effizient voranzutreiben und Schulen zu entlasten.
Stephan Bayer (38) ist studierter Soziologe und Politologe, Experte für digitale Bildung und Gründer sowie CEO des Berliner EdTechs Sofatutor.