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Energie & Klima

Standpunkte Unvermeidliche Debatte um CO2-Senken jetzt vorwärtsbringen

Oliver Geden, Experte für EU-Klimapolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik
Oliver Geden, Experte für EU-Klimapolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik Foto: SWP

Die Europäische Kommission treibt mit ihren Plänen zu Kohlenstoffkreisläufen die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre voran. Gerade das Ziel Klimaneutralität macht ein gezieltes Vorgehen unvermeidlich, argumentieren Felix Schenuit und Oliver Geden von der SWP in ihrem Standpunkt, auch wenn der Schwerpunkt auf der Emissionsvermeidung liegen müsse. Sie raten der Bundesregierung zu einer stärkeren Positionierung.

von Oliver Geden

veröffentlicht am 22.12.2021

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Mit der Veröffentlichung ihrer Pläne zu “Nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen” treibt die Europäische Kommission eine neue Facette der EU-Klimapolitik voran – die gezielte Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre. Nachdem sie schon 2018 in ihrer Klima-Langfriststrategie auf die Notwendigkeit eines Senken-Ausbaus hingewiesen hat, und dies auch im EU-Klimagesetz verankert wurde, bereitet die Kommission jetzt konkrete Initiativen vor. Die neue Bundesregierung wird schon bald Position beziehen müssen.

Besondere Aufmerksamkeit richtet die Kommission auf die Hochskalierung von „Carbon Farming“. Um Land- und Forstwirte zum Ausbau ökosystem-basierter Senken zu motivieren, will die Kommission finanzielle Anreize schaffen, nicht zuletzt durch eine Umstrukturierung von Mitteln im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik. Durch zusätzliche Kohlenstoffspeicherung in landwirtschaftlichen Böden, Mooren und Wäldern sollen 2030 insgesamt 42 Megatonnen CO2eq jährlich aus der Atmosphäre entnommen werden. Dies würde zum Ausbau der land- und forstwirtschaftlichen Senken auf 310 Mt beitragen, wie sie schon im Fit-for-55-Vorschlag zur LULUCF-Verordnung vorgesehen ist, also dem Regelwerk zu Landnutzung und Forstwirtschaft.

Auch die industrielle Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 soll vorangetrieben werden, inklusive der Abscheidung aus der Umgebungsluft durch Direct Air Capture (DAC) und der Kombination aus Bioenergie und CCS (BECCS). Bis 2030 sollen zunächst 5 Mt CO2 pro Jahr der Atmosphäre entzogen werden. Die bislang hauptsächlich in Nischen zu findenden Technologien sollen vor allem im Rahmen des ETS-Innovationsfonds gefördert werden, wie kürzlich bereits eine BECCS-basierte KWK-Anlage in Stockholm.

Um eine glaubwürdige und transparente Integration dieser Ansätze in die EU-Klimapolitik zu ermöglichen, forciert die Kommission zudem einen regulatorischen Rahmen für Zertifizierung und Bilanzierung von CO2-Entnahmen. Bis Ende 2022 soll hierfür ein Gesetzesvorschlag präsentiert werden, liegt doch in Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung von CO2-Entnahmen die größte Herausforderung, insbesondere bei der Speicherung in Böden und in der Vegetation.

Entnahme ist logische Folge des Ziels Klimaneutralität

Die Integration der CO2-Entnahme in die europäische Klimapolitik bereitet vielen Akteuren einiges Unwohlsein. Dabei ist sie die logische Folge des vor Jahren beschlossenen Netto-Null-Ziels. Wenn sich manche Emissionsquellen gar nicht oder nur zu sehr hohen Kosten eliminieren lassen – etwa in der Landwirtschaft oder in Teilen der Industrie – dann muss an anderer Stelle ein Ausgleich geschaffen werden. Szenarien der EU-Kommission gehen für das Netto-Null-Jahr 2050 von mindestens fünf Prozent der Treibhausgasemissionen von 1990 aus, etwa 500 Mt CO2eq. Mit Aufforstung alleine wird sich dies nicht bewerkstelligen lassen, zumal bei steigenden Temperaturen und häufigeren Wetterextremen.

Die Pläne der EU-Kommission gruppieren sich in drei Stränge. Weitgehend autonom kann sie bei bestehenden Fördermechanismen sowie Initiativen zur Vernetzung und zum Wissenstransfer vorgehen, etwa mit zusätzlichen Mitteln zur Forschungs- und Innovationsförderung oder mit einer Serie von Stakeholder-Konferenzen.

Nur zusammen mit Mitgliedstaaten und Parlament kann die Kommission die Architektur der EU-Klimaschutzpolitik anpassen.

Der Übergang zu Netto-Emissionszielen im EU-Klimagesetz war ein erster Schritt, mit einer gedeckelten Anrechenbarkeit von CO2-Entnahmen aus Landnutzung und Forstwirtschaft beim 55-Prozent-Ziel für 2030. Abhängig von den laufenden Verhandlungen über einen Emissionshandel für Wärme und Verkehr und damit zusammenhängend der Zukunft des „Effort Sharing“ schwebt der Kommission langfristig eine Klimaschutzregulierung vor, die nur noch auf zwei Säulen ruht: Auf der einen Seite ein System nationaler Ziele in der dann zusammengefassten Land- und Forstwirtschaft, auf der anderen Seite ein europaweit harmonisierter Emissionshandel. In solch einem System würden CO2-Entnahmen aus „Carbon Farming“ und solche auf Basis von technologischen Methoden jeweils der passenden Säule zugeordnet.

Erster Fokus auf solidem Regelwerk

Bis zu einer entsprechenden Grundsatzentscheidung liegt das Hauptaugenmerk der Kommission auf der Schaffung glaubwürdiger und praktikabler Regeln zur Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung von CO2-Entnahmen. So sehr die Schaffung eines regulatorischen Rahmens drängt, so wichtig ist die Sicherstellung seiner Effektivität und Glaubwürdigkeit noch bevor CO2-Entnahmen Eingang in bestehende Instrumente finden.

Die Kommission will hier schrittweise vorgehen. Sie setzt bei CO2-Entnahmen auch nicht primär auf Offsets im Rahmen des Artikel 6 des Pariser Abkommens. Sie will zunächst Regeln für die EU definieren und Erfahrungen bei der Hochskalierung von CO2-Entnahmen sammeln, und strebt international eine regulatorische Vorreiterrolle an.

Für die deutsche Klimapolitik bedeutet der strategische Aufschlag der Kommission nicht nur Aufforderung, sondern auch Rechtfertigung, sich verstärkt mit CO2-Entnahme zu beschäftigen. Kurzfristig dürfte der Schwerpunkt beim „Carbon Farming“ liegen. Beim Aufstellen des nationalen Strategieplans 2023-2027 im Rahmen der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik kann die Bundesregierung deutlich machen, dass der Green Deal hierzulande auch die Landwirtschaft miteinschließt. Verstärkte finanzielle Anreize zum Ausbau ökosystem-basierter Senken werden ohnehin notwendig sein, um die im deutschen Klimaschutzgesetz verankerten Ziele (25 Mt CO2eq in 2030) zu erreichen.

Mittelfristig ist auch das verstärkte Kommissions-Engagement bei der Förderung von CCS-basierten Entnahmemethoden relevant. Der Koalitionsvertrag enthält zwar ein Bekenntnis „zur Notwendigkeit auch von technischen Negativemissionen“, nennt aber die ausgereiftesten Methoden (BECCS und DACCS) nicht.

Aktives Verhalten der Bundesregierung schafft Möglichkeiten

Eine explizite Erwähnung von CCS wird im Koalitionsvertrag strikt vermieden, obwohl die Notwendigkeit des konventionellen CCS-Einsatzes in einigen Industriesektoren (etwa Zement) weitgehend unstrittig ist. Die Koalitionspartner wollen derzeit offenkundig noch keine CCS-Debatte, oder jedenfalls nicht als Treiber oder gar unkritische Befürworter gesehen werden. Auf Initiativen der Kommission reagieren zu können, minimiert die politischen Risiken beim Thema CCS deutlich.

Die auf europäischer Ebene zu erwartenden Debatten und Entscheidungen sollte die Bundesregierung dennoch aber nicht einfach abwartend auf sich zukommen lassen. Eine proaktive Rolle gäbe ihr vielmehr die Möglichkeit, nachvollziehbare Bedenken in den klimapolitischen Prozess auf EU-Ebene einzubringen. Eine konkrete Möglichkeit liegt in einer Europäisierung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Langfriststrategie im Umgang mit „unvermeidbaren Restemissionen“, aus dem sich auch die CO2-Entnahme-Mengen auf dem Weg zur Klimaneutralität ergeben.

Wenn es gelänge, einen ähnlichen Prozess auch in Brüssel zu lancieren, so böte dies nicht nur die Chance, relevante Sektoren und organisierte Zivilgesellschaft frühzeitig einzubinden. Es wäre auch möglich, die zukünftige Rolle von CO2-Entnahmen in der EU-Klimapolitik transparent zu machen und sicherzustellen, dass die Priorität weiterhin beim Vermeiden von Emissionen liegt.

Felix Schenuit und Oliver Geden sind Experten für EU-Klimapolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

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