In den kommenden Wochen und Monaten wird in Deutschland ein altbekanntes und doch neues Thema in den klimapolitischen Fokus rücken: Carbon Management. Nicht nur die Veröffentlichung der Carbon Management Strategie des BMWK steht kurz bevor, auch eine Reihe weiterer politischer Initiativen auf internationaler, EU-, und Landesebene sind angekündigt. Carbon Management dient in diesen Prozessen als Sammelbegriff für die Abscheidung von CO2 mit anschließender unterirdischer Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS), die Nutzung von CO2 als Ressource (Carbon Capture and Utilization, CCU) sowie Methoden zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, die auf CCS oder CCU basieren (Carbon Dioxide Removal, CDR). Die Unterscheidung dieser Ansätze ist von zentraler Bedeutung, da sie jeweils eine unterschiedliche strategische Rolle in der Klimapolitik spielen.
Die politische Gemengelage
Insbesondere die Themen CCS und CCU, die dazu beitragen sollen, schwer vermeidbare Emissionen in der Industrie zu reduzieren oder zu verzögern, haben vor dem Hintergrund einer befürchteten Deindustrialisierung in Deutschland eine hohe Aufmerksamkeit seitens der Industrie und des Wirtschaftsministeriums erfahren. Diese rasche Renaissance von CCS wird von einigen Umweltverbänden heftig kritisiert. Andere hingegen arbeiten an Bedingungen, unter denen der Einsatz für sie denkbar wäre – eine Position, die mittlerweile auch in der Grünen Partei diskutiert wird. Doch auch in der Industrie sind die Positionen nicht einheitlich. Hier wird zwar einhellig eine aktive Carbon Management Politik gefordert, die Vorstellungen über den Umfang der Anwendungsfelder von CCS und CCU, deren Priorisierung sowie die Ausgestaltung der politischen Rahmenbedingungen gehen jedoch zum Teil weit auseinander.
Klima- und Industriepolitik strategisch zusammenführen
In dieser Gemengelage bieten die anstehenden Initiativen die Chance, klima- und industriepolitische Ziele strategisch zusammenzuführen. Zum einen ist Carbon Management ein wichtiger Baustein einer proaktiven Standortpolitik für eine langfristig treibhausgasneutrale Industrie. Die Schaffung wirksamer Förderinstrumente in Industrie-Clustern sowie die Anbindung an CO2-Infrastrukturen sind wichtige Schritte in diese Richtung. Zum anderen bietet sich die Chance, klare Kriterien und eine Priorisierung der Technologien zu etablieren. Dabei sollte unterschieden werden zwischen Carbon-Management-Ansätzen, die den Umbau zu einer treibhausgasneutralen Industrie überhaupt erst ermöglichen, indem sie z.B. schwer vermeidbare Prozessemissionen abscheiden, und CCS- und CCU-Anwendungen, die ambitionierte Emissionsreduktion eher behindern, indem sie zum Beispiel die Reduktion vermeidbarer Emissionen in der Industrie bremsen.
Carbon Management europäisch denken
Das Ziel sollte dabei eine europäische Carbon Management Politik sein. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Klimapolitik ist ohnehin stark in der europäischen Gesetzgebung verankert und im Rahmen des Green Deal gewinnt die industriepolitische Dimension rasch an Bedeutung. Auch für Kooperationen mit Drittstaaten ist eine europäische Position erstrebenswert. Dies gilt sowohl für neue Kooperationen zur Nutzung von Synergien als auch für die Etablierung von Qualitätsstandards für Carbon Management und dessen Rolle im Klimaschutz. Beispielsweise wird in internationalen Verhandlungen unter dem Stichwort „unabated fossil fuels“ der Einsatz von CCS und CCU als Mittel zur Aufrechterhaltung fossiler Geschäftsmodelle diskutiert. Eine EU-weite Carbon Management Politik würde es ermöglichen, in diesen Diskussionen eine einflussreichere Rolle einzunehmen, als es Deutschland alleine möglich wäre.
Netto-Null kompatible Carbon Management Politik
Auf europäischer Ebene zeichnen sich drei Interventionspunkte ab, an denen Carbon Management maßgeblich gestaltet werden kann:
Die Kommission schlägt im Net-Zero Industry Act (NZIA) vor, CO2-Abscheidung und -Speicherung als strategisch wichtige Technologie einzustufen. Neben verkürzten Genehmigungsverfahren schlägt sie auch ein Ziel von 50 Megatonnen CO2 Injektionskapazität pro Jahr ab 2030 vor. Derzeit liegt das Dossier beim Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten. Sie haben die Möglichkeit, die Bedingungen für die Einstufung als strategische Technologie klarer zu definieren. Beispielsweise könnten sie die Bedingung ergänzen, dass das injizierte CO2 aus schwer vermeidbaren Emissionen stammen muss. Dieser Präzisierungsbedarf gilt auch für die von der Kommission vorgeschlagene Strategic Technologies for Europe Platform (STEP), die CO2-Abscheidung ebenfalls als prioritäre Technologie einstuft.
Ein zweiter Prozess ist die Carbon Management Mitteilung der Europäischen Union, ein Strategiepapier, das im November und damit vor den internationalen Klimaverhandlungen veröffentlicht werden soll. Angekündigt als eine Strategie, die sich mit der Abscheidung, dem Transport und der Speicherung von fossilem, biogenem und atmosphärischem CO2 befasst, stellt sie wichtige Weichen für die anstehenden Reformen der klimapolitischen Governance-Architektur. Sie bietet eine Plattform, um Kooperations- und Konfliktpotenziale frühzeitig zu identifizieren, Risiken klar zu benennen, Netto-Null-kompatible Carbon Management Ansätze zu priorisieren und Anreizstrukturen zu entwickeln.
Schließlich bietet die Debatte um das 2040-Ziel die Chance, Carbon Management Politik zu gestalten. Neben dem generellen Ambitionsniveau wird nach einem ersten Vorschlag der Kommission im ersten Quartal 2024 auch die konkrete Ausgestaltung des Ziels Gegenstand der Debatte sein. Im Mittelpunkt wird die Frage stehen, in welchem Umfang CO2-Entnahmen zur Zielerreichung beitragen dürfen. Ob und in welcher Form eine Begrenzung der CO2-Entnahme zur Zielerreichung weiterverfolgt wird, ist eine offene Frage – die sich aber insbesondere mit Blick auf CCS-basierte CO2-Entnahmetechniken wie Biomasse + CCS (BECCS) oder Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) umso drängender stellt.
Ein europäischer Binnenmarkt für CO2
Damit Carbon Management in diesen Prozessen nicht als klimapolitische Verzögerungstaktik etabliert wird, sondern mit ambitionierten Klimazielen vereinbar ist, sollten die folgenden drei Grundsätze handlungsleitend sein. Erstens sollten Maßnahmen zur Emissionsminderung, die ohne Carbon Management Ansätze auskommen, politisch priorisiert werden. Zweitens sollten Standards für die Speicherung und den Transport von CO2 sowie die transparente Dokumentation von Emissionen entlang der gesamten Prozesskette weiterentwickelt werden. Drittens sollte die Entwicklung einer Taxonomie vorangetrieben werden, die unterschiedliche Anwendungsbereiche kategorisiert und priorisiert, um Planungssicherheit in den Sektoren und transparente Governance-Strukturen zu schaffen.
Für ein Carbon Management innerhalb dieser Leitplanken sollte das langfristige Ziel eines EU-weiten CO2-Binnenmarktes verfolgt werden. Dieser kann Synergien zwischen den Mitgliedsstaaten schaffen, einen diskriminierungsfreien Zugang zu CO2-Transport- und Speicherinfrastrukturen etablieren und gleichzeitig transparente Kriterien für Qualitäts- und Sicherheitsstandards festlegen. Mit diesem Zielbild könnte eine Schnittstelle von Klima- und Industriepolitik in der EU gestaltet werden, die nach innen integrativen Charakter hat – also nicht weitere Konflikte an der ohnehin politisierten Schnittstelle schürt – und damit eine Vorreiterrolle in der internationalen Debatte um Carbon Management ermöglicht.