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Energie & Klima

Standpunkte Plädoyer für ein Veto gegen den Verkauf von Wintershall Dea

Friedbert Pflüger, Clean Energy Forum
Friedbert Pflüger, Clean Energy Forum Foto: Strategic Minds Company

Deutschland und die EU verlieren mit dem Verkauf von Wintershall Dea die Schlüsseltechnologie CCS, befürchtet Friedbert Pflüger in seinem Standpunkt. Der Verlust sei angesichts des neuen Konsenses zur CO2-Abscheidung besonders gravierend. Er plädiert für ein Verbot des Vorgangs durch das BMWK.

von Friedbert Pflüger

veröffentlicht am 18.01.2024

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Zum Auftakt des neuen Jahres veröffentlichte eine bemerkenswerte Allianz von BDI, DGB, NABU und WWF einen ebenso bemerkenswerten Appell an die Politik: Die Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid, Carbon Capture Storage (CCS) und auch die Nutzung von CO2 als Rohstoff (CCU) seien wichtige Bausteine zur Erreichung der Klimaziele. Im Einklang mit dem UN-Weltklimarat (IPCC) und der EU müsse die Bundesregierung nun zügig ihre lange angekündigte Carbon Management Strategie vorlegen und den Einsatz von CCUS ermöglichen und anreizen. Die Technologie solle prioritär dort eingesetzt werden, wo CO2-Emissionen nach aktuellem Stand der Technik unvermeidbar seien. CCUS und Erneuerbare Energien bildeten keinen Gegensatz. Es gelte das Prinzip: Vermeidung vor Abscheidung. Das Papier hat viel Aufmerksamkeit und Beifall gefunden. Mit vollem Recht!

Man hätte sich allerdings von den vier Organisationen ein kritisches Wort zum kurz vor Weihnachten 2023 angekündigten Verkauf der Wintershall Dea durch BASF und Letter One an die britische Harbour Energy gewünscht. Denn es passt nicht zusammen: die Wichtigkeit von CCS für die Bekämpfung des globalen Klimawandels in einem Papier zu beschwören und gleichzeitig tatenlos zuzusehen, wie Deutschland einmal mehr zulässt, dass eine Spitzentechnologie ins (nicht EU)-Ausland abwandert.  

Es ist bereits angekündigt, dass die Standorte Hamburg und Kassel der Wintershall Dea geschlossen werden – wo ist der Proteststurm? Der Verkauf war lange avisiert und niemand hatte sich dagegen gewehrt, dass ein traditionsreiches und für die Energiesicherheit äußerst wichtiges Unternehmen mit seiner Technologieführerschaft bei CCS ins Schaufenster gestellt wurde. Es gab nämlich lange die berechtigte Hoffnung, dass das Unternehmen zwar verkauft, aber als selbstständige Tochter mit den Standorten und dem Know-how in Deutschland erhalten bleibt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass zum Beispiel ADNOC aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sich für den Erwerb interessierte. Für Belegschaft und Management war die Ankündigung der Standortschließungen und des Technologieausverkaufs ein Schock.

Klimapolitisch ein gravierendes Problem

Politisch und wirtschaftlich ist der Verkauf der Wintershall DEA ein Armutszeugnis für den Standort Deutschland. Seit dem Ukrainekrieg wird eine größere Energieunabhängigkeit gepredigt. Nun verliert Deutschland sein einziges Unternehmen, das Gas und Öl fördern kann. Was in Wietze in der Lüneburger Heide 1858 mit der ersten Erdölbohrung der Welt durch Konrad Hunäus begann, findet 2024 ein jähes Ende.

Dass die Bundesregierung eine Deinvestition im Öl- und Gasbereich nicht ablehnt, mag man aufgrund der Überlegungen zu energiepolitischer Autonomie bedauern. Verwundern aber kann das angesichts der bekannten  Grundsatzentscheidung gegen die fossilen Energien indes nicht.

Klimapolitisch problematisch ist es in jedem Fall, dass Deutschland und damit auch die EU mit dem geplanten Verkauf auch die Kompetenz im Bereich Carbon Capture Storage (CCS) verlieren. Wintershall Dea ist innerhalb der EU einsame Spitze bei Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2. Es beherrscht mit seinen Partnern wie Heidelberg Materials, Open Grid Europe und Fluxys die gesamte technologische Wertschöpfungskette und hat diese mit dem Projekt Greensand bereits erfolgreich umgesetzt.

Überall auf der Welt – in Australien, den USA, Kanada, in China und in Europa – sind im letzten Jahrzehnt CCS-Projekte entstanden. Deutschland, noch Anfang des Jahrtausends führend in dieser Technologie, hat 2011 durch seine Gesetzgebung CCS de facto untersagt. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte im Januar 2022 nach dem Besuch in Norwegen, wo Equinor seit zweieinhalb Jahrzehnten CCS sicher praktiziert, die Kehrtwende ausgerufen und eine Carbon Management Strategie angekündigt.

Obwohl an dieser auch zwei Jahre später noch gearbeitet wird, gibt es inzwischen einen verbreiteten Grundkonsens in der deutschen Politik, dass CCS und CCU benötigt werden. Wintershall Dea hat deshalb diese Technik vorangetrieben und Lagerstätten für Millionen Tonnen CO2 aus der der deutschen Industrie gesichert. Wenn das Unternehmen jetzt verkauft wird, wird Deutschland auch auf diesem Gebiet abhängig vom Ausland. Auch Harbour Energy plant mit CCS, denkt dabei aber naturgemäß zuerst daran, das britische Humber-Industriezentrum zu dekarbonisieren. Norwegen, Dänemark, Island, Belgien, Großbritannien – sie alle machen aus CCS einen business case. Deutschland dagegen lässt seine technologische CCS-Fähigkeit in ein Land außerhalb der EU ziehen und muss später darum bitten (und teuer bezahlen), wenn es CO2 in unterirdische Lagerstätten außerhalb des Landes verpressen möchte.

Da viele Länder auch in den nächsten Jahrzehnten nicht auf fossile Brennstoffe verzichten wollen, wird CCS  immer wichtiger. Das gilt übrigens auch für CCU, zum Beispiel bei der Produktion von synthetischen Kraftstoffen oder synthetischem Methan, wird CO2 als Rohstoff benötigt. Hier könnten Deutschland und die EU mit der Wintershall Dea wirklich ein globaler Vorreiter werden.

Kann man BASF einen Vorwurf machen? Nein und ja. Das Unternehmen kann einerseits darauf verweisen, dass Öl- und Gasförderung von der Politik in Deutschland nicht mehr gewollt sind. Und dass es bei CCS zwar diverse Absichtserklärungen, aber bis heute keinen Rechtsrahmen gibt. Andererseits aber hätte man sich gewünscht, dass man beim Verkauf auf den Erhalt der Standorte, der Arbeitsplätze und des technischen Know-hows gedrängt hätte. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass das ausreichend versucht wurde.

Kann man Harbour Energy einen Vorwurf machen? Sicher nicht. Die Briten haben einen technologischen Edelstein akquiriert. Kaum einer beherrscht die Ölförderung auch in schwierigem Terrain so wie Wintershall Dea. Seit den achtziger Jahren fördert man zum Beispiel störungsfrei Öl unter dem Wattenmeer in Schleswig-Holstein. Mehr noch: das Unternehmen ist auch im außereuropäischen Ausland ein Gewinn für die Briten – etwa in Ägypten und vor allem in Lateinamerika. Nicht zuletzt aber wird man die CCS-Fähigkeiten der Kasselaner nutzen, die in England bei der Dekarbonisierung der Industrie, aber auch bei der Energieproduktion in großem Stil Anwendung finden sollen.

Das BMWK könnte und sollte den Verkauf untersagen

Rein marktwirtschaftlich also ergibt der Verkauf Sinn für die Beteiligten. Aber Industrie, Gewerkschaften und auch die Klimaschutzverbände sollten die deutsche und europäische Politik drängen, ein übergeordnetes staatliches Interesse am Erhalt der CCS-Fähigkeit festzustellen – und zumindest diesen Teil der Wintershall Dea für die deutsche Industrie zu sichern. Das Instrument dafür könnte Paragraf 59, Absatz1 in Verbindung mit Paragraf 55 der Außenwirtschaftsverordnung sein. Danach kann das BMWK einen Verkauf eines inländischen Unternehmens an einen Unionsfremden untersagen, wenn die „öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ gefährdet erscheint.

Der Europäische Gerichtshof hat betont, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein dynamischer ist und innerhalb der Mitgliedstaaten unterschiedlich bewertet werden kann. Vor diesem Hintergrund hat das BMWK seine Prüfung keineswegs auf die Versorgung mit kritischen Ressourcen beschränkt, sondern weit ausgelegt. So hat das Ministerium etwa im November 2022 den Verkauf einer Chipfabrik an ein Tochterunternehmen einer chinesischen Firma untersagt. Seitdem ist offensichtlich, dass schon ein geringerer Gefährdungsgrad ausreicht und die Untersagungsschwelle des BMWK sinkt. Die Versorgungssicherheit wird umfassend als „relevant für die öffentliche Ordnung und Sicherheit angesehen im Hinblick auf Verfügbarkeit von Technologien, Endprodukten, Produktionskapazitäten und Dienstleistungen“ (Neue Juristische Online Zeitung 2023, 353).

Es ist unstrittig, dass das BMWK unter der Überschrift „Kritische Infrastruktur“ im Bereich der Stromversorgung eingreifen kann. Warum sollte die Infrastruktur für CCUS grundsätzlich anders betrachtet werden? Die Bundesregierung legt demnächst eine Carbon Management Strategie vor, die einen entsprechenden Gesetzesrahmen benötigt. Es wäre widersinnig, wenn sie jetzt zuließe, dass das einzige deutsche Unternehmen in diesem Bereich gleichzeitig verkauft wird.

In der gestrigen Sitzung des Klima- und Energieausschusses des Bundestags war der Verkauf der Wintershall erstmals nach der Verkaufsankündigung ein Thema. Dem Vernehmen nach gab es eine überparteiliche Koalition aus SPD, CDU/CSU, FDP und Linken, die die Bundesregierung drängte, den Verkauf der Wintershall kritisch zu prüfen und einen Einspruch zu erwägen. Die Bundesregierung hat inzwischen eine Prüfung zugesagt. Das ist gut und notwendig.

Dr. Friedbert Pflüger ist Geschäftsführer der Denkfabrik Clean Energy Forum (CEF), die im November eine Kurzstudie zu CCS und CCU vorgelegt hat. Er war von 1990 bis 2006 Bundestagsabgeordneter (CDU) und Parlamentarischer Staatssekretär in der ersten Regierung Merkel. Pflüger ist Aufsichtsratsvorsitzender von Zukunft Gas sowie Partner des Beratungsunternehmens Strategic Minds Company. Ein Beratungsmandat oder ein anderes Einzelinteresse bezüglich des Verkaufs von Wintershall Dea vertritt er nach eigenen Angaben nicht.

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