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Energie & Klima

Standpunkte Wir erleben unhaltbare Zustände auf den Baustellen

BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm
BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm

Seit knapp einem Jahr gerät auf immer mehr Windpark-Baustellen alles aus den Fugen. Schuld ist die bundeseigene Autobahn GmbH, erklärt Geschäftsführer Wolfram Axthelm vom Branchenverband BWE. Er spricht von grenzenlosem Versagen, Sabotage und unhaltbaren Zuständen, die der Verkehrsminister nicht länger aussitzen dürfe.

von Wolfram Axthelm

veröffentlicht am 07.08.2023

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Genehmigungen sind die Projekte der Zukunft. Denn nur mit der erteilten Genehmigung darf sich ein projektierendes Unternehmen an Ausschreibungen beteiligen. Erst mehr als zwei Jahre nach dem Zuschlag startet in der Regel die Einspeisung grüner Energie ins Netz. Der Bau einer modernen Windenergieanlage ist eine logistische Meisterleistung. Es gilt die Abläufe auf der Baustelle optimal zu strukturieren, die Komponenten und die unterschiedlichen Gewerke zum richtigen Zeitpunkt vor Ort zu haben und schließlich auch die Interessen der Anwohner entlang der Zufahrtsstrecken nicht zu vergessen.

Seit knapp einem Jahr gerät auf immer mehr Baustellen alles aus den Fugen. Ursache ist die bundeseigene Autobahn GmbH. Vieles erinnert an das „Haus was Verrückte macht“ bei Asterix und Obelix. Die Autobahn GmbH ist eine anonym bleibende Behörde, die vergessen hat, von wem sie bezahlt wird und für wen sie arbeitet. Sachbearbeiter werden offenbar per Los den Anträgen zugewiesen. Telefone gibt es nicht. E-Mails bleiben unbeantwortet. Die Behörde untersteht Bundesminister Volker Wissing, der interessanterweise seine Laufbahn als Leiter der Widerspruchsstelle der Sonderabfallmanagement Gesellschaft in Mainz begonnen hat.

Sie ist ein besonders auffälliges Beispiel dafür, wie eine gesichtslose und damit auch verantwortungsscheue Bürokratie das Vertrauen in die staatliche Handlungsfähigkeit und die Demokratie an sich untergräbt. Ihre Entscheidungen werden, weil zunehmend unbegründet, als willkürlich wahrgenommen. Die gesteuerte Kontaktverweigerung entwürdigt den Antragsteller, der als Staatsbürger die Behörde durch seine Steuern bezahlt. Die inzwischen flächendeckend tendenziell begründungslose Ablehnung von Transportgenehmigungen löst Verzweiflung aus. All dies stoppt die Realisierung von Projekten, die bereits einen Zuschlag haben und sorgt für Stillstand in der Logistikkette.

Dabei ist nicht nur der Ausbau der Erneuerbaren Energien betroffen, sondern der Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt. Die Industrieunternehmen aller Branchen sind auf einen funktionierenden Großraum- und Schwertransport angewiesen. Aus diesem Grund wurde eine gemeinsame Verbändeinitiative ins Leben gerufen. Die überraschend fröhlich vorgetragene Antwort aus dem Bundesverkehrsministerium lautet: Wasserstraßen sind toll.

Die Branche will dies nicht völlig in Abrede stellen, trotz fehlender Infrastruktur an vielen Binnenhäfen, den Problemen um Niedrigwasser und der Frage, wie sich die 80 Meter langen Rotorblätter durch Schleusenkammern bewegen lassen, welche im besten Fall maximal Fahrzeuge von 110 Meter Länge aufnehmen können. Für die nächsten Dekaden kann die Wasserstraße nach einem starken und proaktiven Investitionsprogramm eine tatsächliche Option sein. Heute ist sie keine reale Alternative, sondern allein Hoffnung. 

Die Beispiele eines grenzenlosen Versagens sind vielfältig: Brandenburg hält das Baustelleninformationssystem des Bundes für zu aufwendig und pflegt dieses nicht. Folge: Die Abfrage der Baustellensituation ist für die antragstellenden Transportunternehmen nicht mehr möglich. Damit ist eine geordnete Streckenerkundung obsolet. Die Niederlassung Ost arbeitet aktuell nicht. Die Niederlassung Nord produziert nur noch unbegründete Ablehnungen. Probleme lassen sich mangels der Möglichkeit zu direkten Gesprächen nicht klären. Damit führt eine um fünf Zentimeter zu geringe Fahrbahnbreite trotz je 30 Zentimeter befestigten Randstreifens auf beiden Seiten der Fahrbahn zur unbedingten Ablehnung. Sachbearbeiter, ohnehin nur sporadisch per Mail erreichbar, wechseln ständig.

Änderungen von Teilstrecken betreffen immer die gesamte Fahrstrecke und erfordern stets eine komplett neue Genehmigung. Ad hoc entstehende Autobahnbaustellen machen Neugenehmigungen erforderlich und verschieben Transporte schnell erneut um mehr als zwölf Wochen. Zusätzliche Sicherheitsabschläge, die die Autobahn GmbH neuerdings bei der Berechnung der Brückentraglasten anlegt, blockieren jetzt die Häfen Cuxhaven und Bremen – immerhin die Hauptanlandehäfen für im Ausland produzierte Rotorblätter. Immer neue Umplanungen führen dazu, dass die Teams der eigentlich eng getakteten Spezialkräne statt zu bauen nun die Landschaft betrachten können. Erste Zulieferer von Turmelementen stehen vor der Einführung von Kurzarbeit, weil die Lagerflächen des Betriebsgeländes aus allen Nähten platzen und somit nicht mehr weiter produziert werden kann. 

Alles in allem erleben wir unhaltbare Zustände, die der zuständige Bundesminister nicht länger aussitzen darf. Hier wird die beim Ausbau der Erneuerbaren sonst gute Performance der Koalition sabotiert. Was wäre zu tun? Drei konkrete Vorschläge, die Bundesminister Volker Wissing gern als seine eigenen vermarkten soll:

Politischen Willen dokumentieren: Das verantwortliche Bundesministerium muss an seine nachgeordnete Autobahn GmbH die Erwartung richten, dass dort ein Beitrag zur Erreichung der Energiewendeziele geleistet wird. Es braucht eine klar dokumentierte Zielvorgabe, trotz aller Herausforderungen am Gelingen der Energiewende mitzuwirken.  

Prozesse schaffen: Das Baustelleninformationssystem des Bundes und der Länder muss von allen Beteiligten gepflegt werden. Die Autobahn GmbH muss den Antragseingang und dessen Vollständigkeit bestätigen. Vor Entscheidung braucht es eine Antragsdiskussion mit dem Antragsteller. Ein Fahrzeugwechsel oder Gewichtsabweichungen von bis fünf Prozent dürfen nicht zum Verfall der Genehmigung führen. Ablehnungen müssen begründet sein.

Ansprechpartner sichtbar machen: Die Autobahn GmbH muss Transparenz herstellen, die Kontaktaufnahme zum Bearbeiter muss möglich sein. Bei Unklarheiten ist ein lösungsorientierter Austausch zwingend.  

Die Ambition ist hoch, die Notwendigkeit unbestritten: Der Zubau der Windenergie braucht Tempo und wird auf Basis von Genehmigungen ab Ende 2024 stark beschleunigt. Dann wird das Ziel des Bundeskanzlers, jeden Tag vier neue Windenergieanlagen ans Netz zu bringen, sicher übertroffen. Die Branche hatte diese Zubauraten vor 2017 bereits regelmäßig erreicht. Eine Voraussetzung für das Gelingen ist, dass die strukturellen Probleme beim Transport jetzt dauerhaft gelöst werden. Volker Wissing ist am Zug!

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