Um den geplanten Zubau der erneuerbaren Energien akzeptanztragend voranzutreiben, ist es erforderlich, Naturschutzkonflikte und Flächenkonkurrenz zwischen der Landwirtschaft und dem Ausbau von Freiflächen-Photovoltaik zu vermeiden. Deshalb möchte das Bundeswirtschaftsministerium in seiner kürzlich vorgestellten Solarstrategie auf die weniger intensive Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen durch auf Biodiversität ausgerichtete Bauweise von Solarkraftwerken setzen. Die Stichworte lauten: extensive Agri-PV oder Biodiversitäts-PV.
Tatsächlich bietet insbesondere die Errichtung von Solarkraftwerken auf Flächen in der Landwirtschaft eine bislang wenig genutzte Möglichkeit, diese Flächen in einem guten ökologischen Zustand zu erhalten und die landwirtschaftlichen Betriebe wirtschaftlich zu stärken.
Vier Prozent Fläche für mehr Biodiversität
Der Klimawandel sowie die Intensivierung und „Monotonisierung“ der Landwirtschaft führen zu einem Rückgang wertvoller Lebensräume für wildlebende Tiere und Pflanzen, sodass die EU Gefahr läuft, ihre im Rahmen der UN-Konvention über die biologische Vielfalt zugesagten Ziele zu verfehlen. Auch das im Jahr 2013 eingeführte „Greening“ im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit dem Ziel, die negativen Umweltwirkungen der Landwirtschaft zum Schutz der Biodiversität zu senken, hat diesen Trend nur bedingt aufhalten können. Vor diesem Hintergrund hat Brüssel reagiert und das System durch erweiterte Anforderungen – die sogenannten Konditionalitäten – ergänzt.
In der jüngsten Reform der GAP wird die Landwirtschaft in Europa ab 2023 ökologischer und nachhaltiger und erhält verlässliche und stabile Rahmenbedingungen für den Zeitraum bis 2027. Eine zentrale Vorgabe zum Schutz der Biodiversität ist die Verpflichtung für landwirtschaftliche Betriebe mit einer Größe von mehr als zehn Hektar Ackerland ab dem Jahr 2024, mindestens vier Prozent ihrer bewirtschafteten Fläche brach liegen zu lassen.
Dabei bieten landwirtschaftliche Flächen – die ohnehin aus der intensiven Bewirtschaftung genommen werden müssen – trotzdem die Möglichkeit zur Errichtung von Solarkraftwerken. Vor diesem Hintergrund plant die Bundesregierung die Errichtung von extensiver Agri-PV als eine anerkannte biodiversitätsfördernde Erfüllungsoption gemäß der GAP auf eben jenen Flächen zu prüfen.
Brachen bleiben sonst ungenutzt
Das wäre zielführend. Forschende des Thünen-Instituts und der Universität Göttingen haben über ein Jahrzehnt den Zusammenhang zwischen Brachen und Feldvögeln untersucht. Fazit: Brachflächen sind für den Schutz und die Aufwertung von Agrarvogelpopulationen unverzichtbar. Wiederum sind diese ein aussagekräftiger Indikator für wachsende Insekten- und Pflanzenpopulationen.
Geht Agri-PV auf Brachflächen? Prinzipiell ja. Die GAP der EU legt nur fest, dass die Brachflächen unmittelbar nach der Ernte der Hauptkultur der Selbstbegrünung zu überlassen oder aktiv zu begrünen sind. Danach dürfen sie nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden.
Kein negativer Einfluss auf Biodiversität
Die Errichtung von Biodiversitäts-PV auf solchen Flächen hat keinen negativen Einfluss auf die Biodiversität. Im Gegenteil: Inzwischen ist allgemein anerkannt, dass sich Photovoltaik bei entsprechender Ausgestaltung und Konfiguration der Anlagen für Schutzziele in Bezug auf den Boden, den Wasserhaushalt (Verminderung der Verdunstung) und die Biodiversität (Freihaltung von Biotopverbundstrukturen) optimieren lassen.
Gleichzeitig stehen diese Flächen gegenüber der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung für eine mehrjährige Aufwertung der Biodiversität zur Verfügung. In diesem Zuge haben Experten des Ingenieurbüros für Biologie und Landschaftsplanung F&P Netzwerk Umwelt im Auftrag von Wien Energie untersucht, wie sich die Artenvielfalt unter den Modulen eines Solarparks in Guntramsdorf entwickelt. In der Marktgemeinde vor den Toren der österreichischen Hauptstadt hat Wien Energie einen Solargenerator auf einer ehemaligen Ackerfläche gebaut. Diese wurde vorher intensiv landwirtschaftlich genutzt. Nach der Inbetriebnahme der Anlage beschränkt sich die Verwendung der Bodenfläche auf eine extensive Nutzung als Grünland.
Artenvielfalt hat sich prächtig entwickelt
Nach fünf Jahren hat sich die Artenvielfalt prächtig entwickelt. So konnten sich unter den Modulen und zwischen den Modulreihen eine reiche Vielfalt von verschiedenen Pflanzen ansiedeln. Der Vorteil: Durch die Photovoltaik können schattenliebende Pflanzen unter den Modulen gut gedeihen, während die Pflanzen, die sonnige Standorte bevorzugen, in den Randbereichen zwischen Solaranlage und Umzäunung gute Standorte finden.
Doch nicht nur die Flora entwickelt sich im Vergleich zu einer intensiv genutzten Landwirtschaftsfläche bestens. Auch die Fauna zieht ihre Vorteile aus der extensiven Grünlandnutzung. So haben die Forscher die Lebensräume der einzelnen Tierarten kartiert. Dabei kam heraus, dass vor allem die Heuschrecken von der Ruhe auf der Fläche und dem Schutz durch die Solarmodule profitieren konnten. Aber auch andere Insekten haben sich im Schatten der Photovoltaik bestens vermehrt.
Vögel nutzen Zäune als Jagdsitz
Das führt wiederum dazu, dass sich immer mehr Vogelarten angesiedelt haben. Das gilt nicht nur für die Vögel, die die Insekten als Nahrung brauchen, sondern für die gesamte Nahrungskette. So haben die Forscher eine vermehrte Population von Raubvögeln entdeckt, die wiederum davon profitiert, dass auf der Fläche auch Kleinsäuger einen Lebensraum gefunden haben.
Eine umfangreiche Studie zur Entwicklung der Biodiversität in Solarparks hat der Bundesverband Neue Energiewirtschaft vorgelegt. Hier wurden die Daten über die Entwicklung von Vegetation und Tierbestand in 75 Anlagen in neun deutschen Bundesländern untersucht. Vor allem Insekten, Reptilien und Brutvögel profitieren demnach von der Beruhigung der Flächennutzung mit der Photovoltaik im Vergleich zur landwirtschaftlichen Bearbeitung.
Wie groß der Effekt der Nutzung als Solarpark auf die Flächen ist, hängt unter anderem von der Größe der Anlage und der Breite der Räume zwischen den Modulreihen ab. Je größer der Solarpark ist, desto nachhaltiger wirkt diese Nutzung auf die Biodiversität. Denn hier können sich die Arten dauerhaft ansiedeln. Kleinere Solarparks wirken hingegen eher als sogenannte Trittsteinbiotope, also als Flächen, die größere Naturgebiete und Biotope miteinander verbinden.
Großes Potenzial für die Energiewende
Doch nicht nur die Artenvielfalt profitiert, sondern auch die Energiewende. Allein aus der „Vier-Prozent-Regel“ der EU ergibt sich in Deutschland ein theoretisches Brachflächenpotenzial von bis zu 600.000 Hektar. Rein rechnerisch könnte auf dieser Fläche eine Leistung von über 400 Gigawatt PV-Freiflächenanlagen installiert werden, die das Ausbauziel von rund 200 GW installierter PV-Leistung auf Freiflächen im Jahr 2040 übersteigt. Selbst wenn nur ein Teil dieser Fläche für Photovoltaik genutzt würde, wäre dies ein entscheidender Beitrag zur Energiewende.
Zudem bietet die Errichtung von Solaranlagen auf diesen Brachflächen eine zusätzliche Einkommensquelle für landwirtschaftliche Betriebe. Insbesondere vor dem Hintergrund der volatilen Ertragslage bieten die Einnahmen zum Beispiel aus der Flächenpacht für die Errichtung von Photovoltaikanlagen auf Brachflächen ein sicheres und planbares Einkommen über einen längeren Zeitraum. Die langfristigen Pachteinnahmen von Flächen für Solarkraftwerke liegen beispielsweise über den Pachteinnahmen aus der landwirtschaftlichen Nutzung und den Prämienzahlungen aus der GAP für ökologische Aufwertungsmaßnahmen.
In Summe ist deutlich: Die Weichen sollten schnellstmöglich in die richtige Richtung gestellt werden. Noch prüft die Bundesregierung, wie sie bei der Agri-PV vorgehen will, die Ressortabstimmung läuft. Ein klares Bekenntnis und die Unterstützung in den Förderbedingungen und den Beihilfe-Vorschriften wären doppelt wichtig: für die Artenvielfalt und den Naturschutz vor Ort, aber auch die Energiewende und den Klimaschutz.
Stefan
Degener ist Deutschlandchef der GreenGo Energy Group, einem großen internationalen
Projektentwickler für erneuerbare Energien.