Weniger Baugenehmigungen, dramatischer Umsatzeinbruch oder unbezahlbare Neubauten. Derzeit tritt fast wöchentlich eine neue Hiobsbotschaft aus der Bauwirtschaft zutage. Letztere fordert schon lange mehr staatliche Förderung und Bürokratieabbau. Man könnte den Eindruck gewinnen, ohne eine ungehemmte Neubau-Offensive sei die aktuelle Wohnungskrise nicht zu bewältigen.
Bereits im letzten September, zum sogenannten Baugipfel der Bundesregierung, zeigte sich, wie erfolgreich die Bauwirtschaft mit dieser Erzählung ist: So ließ die Ampel unter anderem den EH40-Neubaustandard platzen, der unverzichtbar für einen klimaneutralen Gebäudebestand ist. Zusätzlich wurde ein neuer Bau-Turbo-Paragraf angekündigt, um die aus der Zeit gefallene Vision 20 neuer Stadtteile auf der grünen Wiese des Bundeskanzlers zu verwirklichen, Flächenfraß und Naturzerstörung inklusive.
Wie ausgerechnet die Wohnungskrise mit diesem Schritt zurück in die Vergangenheit nachhaltig und sozial bewältigt werden soll, ist höchst fragwürdig. Denn die Ampel steckt beim Mieterschutz weiterhin den Kopf in den Sand und hört brav auf die Bauwirtschaft, statt über den Bau energiesparender Gebäude dauerhaft bezahlbaren Wohnraum sicherzustellen. Dabei fing alles so vielversprechend an: Noch zu Beginn der Legislatur verkündete Bauministerin Geywitz: „Wer billig baut, baut zweimal“, und bekannte sich damit zu klimafreundlichen Baustandards, die die Nebenkosten klein halten.
Gasheizungen, niedrige Sanierungsrate und weitere Verfehlungen
Von der Klimafreundlichkeit der Ampel ist indessen nicht mehr viel übriggeblieben, diesen Eindruck unterstreicht auch das Sondergutachten des Expertenrats für Klimafragen aus der vergangenen Woche. Auch nach dem neuen, gestutzten Klimaschutzgesetz attestiert der Expertenrat der Bundesregierung eine Zielverfehlung, insbesondere die Emissionsminderungen im Verkehrs- und Gebäudesektor fallen zu gering aus. Die Bundesregierung soll sofort mit konkreten Maßnahmen nachsteuern.
All das dürfte bei den aktuellen Fehlentwicklungen im Gebäudesektor niemanden überrascht haben. Dass im letzten Jahr so viele Gasheizungen wie noch nie eingebaut wurden, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Die Bundesregierung schafft es immer wieder aufs Neue, den im letzten Jahr durch das Heizungsgesetz entstandenen Attentismus zu befeuern, etwa durch die verschleppte Auszahlung der Heizungsförderung ab September oder durch Vizekanzler Habecks ungeschickte Aussage zum angeblichen Testcharakter jenes Heizungsgesetzes.
Nicht zuletzt ist die Quittung dafür eine haarsträubende Sanierungsrate von 0,7 Prozent. Wenn dadurch Wohnungen aus Angst vor Nebenkosten kalt bleiben, ist klar, dass ohne eine Sanierungsoffensive eine ernstzunehmende Antwort auf die Wohnungsfrage nicht formuliert werden kann.
Deutschland hinkt EU-Gebäuderichtlinie hinterher
Was fehlt, ist eine klare Zielvision und ein politischer Rahmen noch in dieser Legislatur. Deutschland ist ohnehin durch die EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) innerhalb der nächsten zwei Jahre dazu verpflichtet, diesen Rahmen herzustellen. Dabei hat Bauministerin Geywitz den Kampf gegen gebäudescharfe Mindesteffizienzstandards zwar vorerst gewonnen, dennoch müssen 16 Prozent des Primärenergiebedarfs im Wohngebäudesektor bis 2030 gegenüber 2020 eingespart werden, über die Hälfte davon durch die Sanierung der energetisch schlechtesten Gebäude. Derzeit würde Deutschland auch dieses Ziel deutlich verfehlen.
Um, wie in der EPBD vorgesehen, Menschen vor Energiearmut zu schützen und gesundes, langfristig bezahlbares Wohnen zu ermöglichen, braucht es zusätzlich attraktive Fördersätze, die insbesondere vulnerable Haushalte adressieren. Statt die begrenzten Gelder an dieser Stelle sinnvoll und zielgerichtet einzusetzen, entscheidet sich die Bundesregierung allerdings gerade für den Holzweg.
Klimaschutz im Neubau wird entkernt
Um den Traum des Bundeskanzlers von 70er-Jahre-Großsiedlungen finanziell zu unterfüttern, verhandelt der Bundestag aktuell die Gebäudeförderung KNN (Klimafreundlicher Neubau im Niedrigpreissegment) und schafft damit nicht nur einen milliardenschweren Freifahrtschein für die Immobilienwirtschaft, sondern eine gefährliche Blaupause, die den Klimaschutz im Neubau völlig entkernen wird.
Seit dem KfW-Förderstopp im Januar 2022 ist die Neubauförderung des EH55-Standards eingestellt. Inzwischen wird abgesehen vom Sozialwohnungsbau nur noch der EH40-Standard gefördert – ein Dorn im Auge der Immobilienwirtschaft. Um jetzt die Schleusen für die Förderung von konventionellen EH55-Bauten wieder öffnen und sich trotzdem „klimafreundlich“ labeln zu können, zweckentfremdet die Ampel kurzerhand zwei Nachhaltigkeitskriterien, die zwar in der Fachwelt als Buzzwords für Nachhaltiges Bauen bekannt sind, aber durch die bedenkliche Ausführung der Bundesregierung zum zahnlosen Tiger werden:
Da wäre zum einen die Wohnraumsuffizienz. So irritiert es, warum ausgerechnet Menschen mit niedrigen Einkommen künftig auf begrenztem Wohnraum leben sollen, während dieser Gedanke bei der Förderung von Einfamilienhäusern beispielsweise überhaupt keine Rolle spielt. Wenn die Bundesregierung ernsthaft daran interessiert ist, die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf zu reduzieren, sind vor allem Lösungen im Bestand, wie etwa Wohnungstausch, gefragt.
Weitergehend kann mit der Lebenszyklusbetrachtung, wie sie die Ampel vorsieht, so unökologisch weitergebaut werden wie bisher. Die Förderung soll nämlich so ausgestaltet werden, dass allein durch eine PV-Anlage auf dem Dach sämtliche Treibhausgas-Grenzwerte für den Neubau schöngerechnet werden können. In der Konsequenz spielt der Einsatz nachhaltiger Baumaterialien keine Rolle mehr, und der positive Effekt dieser Herangehensweise verpufft. Im Austausch wird auf den EH40-Standard verzichtet und Klimaschutz ad absurdum geführt.
Kein bezahlbarer Wohnraum ohne ökologische Lösungen
Im Fazit verfehlt die Bundesregierung mit ihrer derzeitigen Förderpolitik das Ziel, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, kilometerweit. Die Mär, mit Neubau könne man in einer Zeit multipler Krisen die Wohnungskrise langfristig bewältigen, ist auserzählt. Statt sich weiterhin daran zu klammern, sollte Justizminister Buschmann ein Ende der Mietrechtsblockade einläuten und die Ampel verbraucherfreundliche Effizienzstandards im Neubau sowie im Bestand ernstnehmen.
Barbara Metz ist Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe.