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Energie & Klima

Standpunkte SNG-Förderung über Klimaschutzverträge wäre fatal

Georg Kobiela, Leiter Politik bei Bellona Deutschland
Georg Kobiela, Leiter Politik bei Bellona Deutschland

Anbieter von synthetisiertem Methan aus Wasserstoff und Kohlenstoff sind auf Subventionsjagd. Eine Förderung im Rahmen der Klimaschutzverträge sollte aber ausgeschlossen sein, fordern die Umwelt-NGOs. Warum sie entschieden dagegen sind, erläutert Georg Kobiela von Bellona Deutschland.

von Georg Kobiela

veröffentlicht am 27.06.2024

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Synthetisches Gas (SNG) bezeichnet auf der Basis von grünem Wasserstoff und Kohlenstoff synthetisiertes Methan, das chemisch nahezu identisch mit fossilem Erdgas ist. SNG-Produzenten preisen ihr Produkt als „Drop-In-Fuel“ an, das deutschen Unternehmen ganz ohne Anlagen- und Infrastrukturumstellungen eine klimaneutrale Produktion ermöglichen soll.

Für die abnahmeseitige Finanzierung des teuren Energieträgers pocht man auf Berücksichtigung in den Klimaschutzverträgen (KSV). Als das BMWK deutlich machte, entsprechenden Förderanträgen nicht stattgeben zu wollen, wurde seitens der SNG-Lobby, unterstützt von Teilen der Regierungskoalition, medienwirksam der Ideologievorwurf erhoben und nach der selbst längst ideologisch genutzten Technologieoffenheit gerufen. Bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel sollte Offenheit aber nur für tatsächlich system- und transformationsdienliche Technologien herrschen. Wir fordern vorerst den Ausschluss von SNG als förderfähige Klimaschutzlösung.

SNG sollte als einfacher Erdgasersatz keine Option sein

SNG klingt zunächst verlockend: In Regionen mit hohen Erneuerbaren-Potenzialen soll mittels Elektrolyse grüner Wasserstoff erzeugt werden, der dann mit „nachhaltig“ gewonnenem CO2 zu SNG synthetisiert und nach Deutschland verschifft wird. Hier gelangt das SNG über das bestehende Erdgasnetz zu industriellen Abnehmern, die es in ihren bestehenden Anlagen wie Erdgas verbrennen.

Ein Blick auf die physikalische und energieökonomische Realität zeigt jedoch ein weit unattraktiveres Bild. Die Weiternutzung des Erdgasnetzes, Einsparungen durch fehlende Umrüstungen in Industrieanlagen und fehlende Anreize zum Aufbau des Wasserstoffnetzes lassen SNG günstiger erscheinen als es tatsächlich ist. Es besteht die Gefahr, dass über die KSV Unternehmen, die ihre Energie mithilfe von SNG dekarbonisieren wollen, aufgrund von Kosteneinsparungen durch plötzlich „unnötige” Prozessumstellungen den Zuschlag erhalten und Projekte mit echtem Transformations- und Innovationscharakter leer ausgehen. Damit behindert hochsubventioniertes SNG die angestrebte Elektrifizierung und Etablierung einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft.

Sollte der politische Wille für SNG letztlich nachlassen, erlaubt eine solche strukturkonservative Option eine schnelle Rückkehr zu fossilem Gas – eine Hintertür, die die Transformation zusätzlich gefährdet. Ohne Subventionen dürfte SNG CO2-Preise von 500-1000 Euro pro Tonne CO2 benötigen, um wettbewerbsfähig zu sein. Tatsächlich transformative Klimaschutzoptionen sind langfristig deutlich günstiger. Einzige Ausnahme kann die direkte stoffliche Nutzung sein.

SNG-Produzenten sind auf Subventionsjagd

SNG-Unternehmen sagen deutlich, dass sie auf Subventionsjagd sind. Sie wollen jeden Schritt der Wertschöpfungskette subventioniert sehen, von der Stromerzeugung, der H2-Produktion und der CO2-Abscheidung und -Nutzung in den USA (IRA-Förderung) bis zur Kaufkraft der Industriekunden in Deutschland (KSV). Das ist logisch, denn ohne Subventionen und Steuererleichterungen dürfte das Geschäftsmodell kaum aufgehen. Die Kosten für jedes Methan-Molekül summieren sich aufgrund der schlechten Energieeffizienz und der vielfach nötigen Investitionen entlang der langen Umwandlungskette. Wir appellieren an die Bundesregierung, sich nicht auf ein solches „Double Dipping“ einzulassen.

Ironischerweise wollen entsprechende Geschäftsmodelle unter anderem durch niedrige Beschaffungskosten der Kohlenstoffkomponente überzeugen. Die Ansprüche an langfristig nachhaltigen und zugleich niedrigpreisigen Kohlenstoff schließen sich jedoch gegenseitig aus. Damit SNG seinem Versprechen als „günstige Alternative“ gerecht wird, kann das CO2 nicht aus der Atmosphäre, durch Direct Air Capture (DAC) entnommen, oder in der nötigen Größenordnung aus nachhaltiger Biomasse stammen. Stattdessen ist zu befürchten, dass das CO2 dauerhaft auch aus günstigeren fossilen Punktquellen entnommen wird.

Klimaschutzwirkung von SNG ist höchst fraglich

Der Herstellungsprozess, die Verflüssigung und der Transport von SNG sind von schlechter Energieeffizienz durch Umwandlungsverluste gekennzeichnet. An deutschen Häfen dürften noch lediglich 38 bis 52 Prozent des für H2 ursprünglich eingesetzten erneuerbaren Stroms in molekularer Form ankommen – noch ohne eine Rückumwandlung zu betrachten.

Hinzu kommen Energiebedarfe zur CO2-Gewinnung. Je nach Kohlenstoffquelle läuft dies über eine Carbon Capture-Anlage an einer Punktquelle (fossilen oder biogenen Ursprungs) oder DAC (atmosphärischen Ursprungs). Nur biogenes oder atmosphärisches CO2 kann prinzipiell eine „nachhaltige“ Kohlenstoffquelle bieten. DAC ist noch nicht kommerziell verfügbar und bedarf zusätzlichen erneuerbaren Stroms. Nachhaltige Biomasse ist weltweit sehr knapp, weshalb diese in der Industrie nur gezielt dort eingesetzt werden sollte, wo stofflicher Kohlenstoff unabdingbar ist. Mit stringentem Klimaschutz wird die Nachfrage nach nachhaltigem Kohlenstoff schnell wachsen. Eine Förderung von SNG in prinzipiell elektrifizierbaren oder auf Wasserstoff umrüstbaren industriellen Anwendungen erhöht die Knappheit um diesen wertvollen Rohstoff und erschwert gleichzeitig die Transformation in anderen Sektoren.

Sollte die Nutzung von SNG als „Drop-in-Fuel“ angereizt werden, bestünde die Gefahr, doch auf fossilen Kohlenstoff zurückgreifen zu müssen. Schlägt man einen solchen Weg ein und verschleppt damit die eigentlich notwendige Transformation, würde die Mär vom nachhaltigen Kohlenstoffkreislauf spätestens bei der SNG-Verbrennung in deutschen Industrieanlagen enden. Jedes CO2-Molekül fossilen Ursprungs, das in die Atmosphäre emittiert wird, trägt per Definition zur Erderwärmung bei. Will man das (fossile) CO2 nicht in die Atmosphäre entweichen lassen, müssten die entstehenden Emissionen zur weiteren Nutzung oder permanenten tiefengeologischen Speicherung möglichst vollumfänglich abgeschieden werden. Beide Fälle stellen Anwendungen dar, welche die (grundsätzlich sinnvoll ausgerichtete) entstehende Carbon Management-Strategie potenziell untergraben würden.

Staatliche Fördergelder und konkret die KSV dienen der Umsetzung transformativer Klimaschutzprojekte, die langfristig wirtschaftlich sind und einen klaren Klimanutzen haben. Eine großangelegte Wette auf SNG in der Industrie bedeutet eine verpasste Transformationschance und das Risiko eines fossilen Lock-ins, der exorbitante Energiemengen benötigt und viel Steuergeld kosten wird. Auch ein mittel- bis langfristiger Business-Case ist nicht absehbar, da Ressourcenkosten und Ineffizienzen SNG – ähnlich wie Biokraftstoffe im Straßenverkehr – wirtschaftlich nicht nachhaltig machen. Direktelektrifizierung, Netz- und Speicherausbau und die Direktnutzung von Wasserstoff sind die physikalisch und ökonomisch effektiveren Alternativen.

Georg Kobiela ist promovierter Physikochemiker und studierter Politologe und Ökonom. Anfang 2024 hat er die politische Leitung von Bellona Deutschland übernommen. Zur Industrietransformation und zum Energiesystem arbeitete er schon davor, im NGO-Kontext bei Germanwatch und in der Transformationsforschung im Wuppertal Institut. Außerdem unterrichtet er regelmäßig an Universitäten und Hochschulen zur Klimakrise, planetaren Grenzen und Herausforderungen der Transformation.

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