Erweiterte Suche

Energie & Klima

Standpunkte Wie ein konstruktiver Umgang mit CCS gelingen kann

Georg Kobiela, Referent für Industrietransformation bei Germanwatch
Georg Kobiela, Referent für Industrietransformation bei Germanwatch Foto: Germanwatch

Heute startet in Berlin der Stakeholder-Dialog der Bundesregierung für eine Carbon-Management-Strategie (CMS). Der Prozess und die dabei gefundenen Ergebnisse werden großen Einfluss auf die Akzeptanz für das Abscheiden und geologische Lagern von CO2 (CCS) in Deutschland haben, schreiben Georg Kobiela und Simon Wolf von Germanwatch.

von Georg Kobiela

veröffentlicht am 24.03.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Wer in den vergangenen Monaten aufmerksam die zunehmende Anzahl von Veranstaltungen zum Thema CCS verfolgt hat, konnte feststellen, dass sich in Deutschland eine Art CCS-Grundkonsens herauszukristallisieren scheint.

Ein wichtiger Grund dafür sind die verschärften Ziele im Klimaschutzgesetz: Sowohl für die Klimaneutralität der Industrie, als auch für die nach 2050 angestrebten Negativemissionen kann CCS eine wichtige, aber begrenzte Rolle spielen. Ein weiterer: der Kohleausstieg bis 2030 ist politisch klar gewollt und sein Abschluss mit den neuen Emissionshandelsregeln für ganz Deutschland greifbar. Damit ist ein Haupt-Streitthema, an dem ein erster Anlauf für die Nutzung von CCS in Deutschland vor etwas mehr als zehn Jahren gescheitert ist, vom Tisch.

Erkennbar wird der sich entwickelnde CCS-Grundkonsens etwa im von der Bundesregierung kurz vor Weihnachten beschlossenen Evaluierungsbericht zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz. Dieser verweist auf die einschlägigen Szenarien für die Klimaneutralität in Deutschland, in denen CCS zur Emissionsreduktion nur für schwer vermeidbare Industrie-Emissionen und in der Müllverbrennung vorgesehen ist. Damit ergibt sich eine überschaubare Liste von Anwendungsbereichen für CCS. Diese wird noch ein Stück kürzer mit Blick auf bisher bekannte Pläne der Stahlhersteller in Deutschland, die ihre Stahlproduktion weitgehend durch die Nutzung von Wasserstoff dekarbonisieren wollen.

So wenig CCS wie möglich, so viel CCS wie nötig

Ausgehend von diesem Grundverständnis haben Germanwatch und drei weitere Umweltverbände gerade ihre Sicht auf CCS und ihre Erwartungen an eine Carbon-Management-Strategie skizziert. Ja, CCS kann einen Beitrag zur Klimaneutralität und zum Fortbestand einer wettbewerbsfähigen Industrie in Deutschland leisten. Die Technologie ist aber alles andere als eine Patentlösung: Mit CCS lassen sich Emissionen nicht vollständig vermeiden, die Technologie ist selbst sehr energieintensiv und insbesondere die Deponierung des CO2 kann negative Umweltauswirkungen und Nutzungskonflikte nach sich ziehen. Konflikte drohen dort, wo Infrastruktur für den CO2-Transport und möglicherweise auch CO2-Speicherstätten gebaut werden. Das Ziel sollte daher lauten: „So wenig CCS wie möglich, so viel CCS wie nötig.“

Diese sich langsam entwickelnde Zustimmung zur notwendigen Menge an CCS, die auch an anderen Stellen sichtbar wird, könnte aber schnell wieder zunichtegemacht werden. Stimmen, wie sie jüngst beispielsweise aus der FDP zu hören waren, CCS auch an Gas- und Kohlekraftwerken zum Einsatz zu bringen und damit die Lebensdauer des fossilen Energiesystems zu verlängern, haben hohe Sprengkraft für die Akzeptanz von CCS in Deutschland – auch über die Umweltverbände hinaus.

Industrien, die für Ihre Transformation zur Klimaneutralität auf CCS zurückgreifen möchten, können mithelfen, die Akzeptanz für CCS in Deutschland zu stärken. Sie können erklären, im besten Fall gemeinsam mit Umweltverbänden, dass CCS in einigen Bereichen für die Klimaneutralität gebraucht wird – und genauso deutlich machen, dass der Versuch, mittels CCS die Lebensdauer fossiler Geschäftsmodelle zu verlängern, den Transformationspfad zur Klimaneutralität und damit die Geschäftsgrundlage wichtiger Industrien in Deutschland infrage stellen würde.

Den Grundkonsens für CCS institutionalisieren

Auch die Carbon-Management-Strategie (CMS) kann die Akzeptanz für CCS stärken, indem sie den beschriebenen Grundkonsens absichert und institutionalisiert. Dazu muss sie mit einem klaren Bekenntnis zum Ausstieg aus fossilen Rohstoffen (Kohle, Öl und Gas) der Industrie verbunden sein und in eine Industriestrategie für die Klimaneutralität eingebettet werden. Diese muss sicherstellen, dass prioritär alle transformativen Hebel für die Emissionsreduktion in der Industrie voll ausgeschöpft werden. Nur in diesem Rahmen lassen sich Rolle und Umfang von CCS sinnvoll beschreiben.

Zum Zünglein an der Waage für die Akzeptanz von CCS könnte die Nutzung von blauem Wasserstoff werden. Dieser soll unter anderem für die Emissionsreduktion in der Industrie als Brücke dienen, bis ausreichend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht. Blauer Wasserstoff ist aber alles andere als ein gleichwertiges Substitut, da bei der Herstellung nicht unerhebliche Mengen an CO2 emittiert werden. Zudem ist offensichtlich, dass viele Akteure damit unterm Strich ihre fossilen Geschäftsmodelle verlängern wollen. Equinor beispielsweise treibt gemeinsam mit Konzernen wie RWE und Wintershall Dea die Nutzung von blauem Wasserstoff aus Norwegen voran – von einer Übergangslösung ist dabei nicht die Rede. Beim kommenden Klimagipfel wollen die arabischen Ölstaaten die Nutzung von CCS massiv auf die Agenda setzen.

Anschubfinanzierung nur unter engen Bedingungen

Entsprechend groß ist bei vielen Umweltverbänden die Skepsis gegenüber dem Einsatz und insbesondere der Förderung von blauem Wasserstoff. Als Mindestvoraussetzung, um Akzeptanz für blauen Wasserstoff zu erhöhen, müssten neben dessen vollständiger Bilanzierung mindestens zwei Dinge sichergestellt werden: Erstens muss die Brücke so kurz wie möglich gestaltet und der Ausstieg aus der Nutzung des blauen Wasserstoffs von vornherein mitgedacht und verbindlich abgesichert werden – dafür ist unter anderem eine Priorisierung des verfügbaren grünen Wasserstoffs unabdingbar. Zweitens, um Anreize für die Förderung und Verarbeitung von Erdgas so gering wie möglich zu halten, kommen für den Import von blauem Wasserstoff nur Länder und Unternehmen in Frage, die eine klare Transformationsstrategie weg von fossilen Energieträgern vorweisen können.

Ein zentraler Steuerungsmechanismus für die Industrie-Transformation wird die Bereitstellung öffentlicher Finanzierung sein. Im Fall von CCS kann eine Anschubfinanzierung nur dann gerechtfertigt sein, wenn damit schnell große Emissionsreduktionen ermöglicht werden, die anders nicht erreichbar wären. Eine darüberhinausgehende Subventionierung von CCS hingegen würde nicht nur gegen das Verursacherprinzip verstoßen, sondern vor allem der Nutzung vieler anderer – transformativerer – Hebel zur Emissionsreduktion zuwiderlaufen.

Eine stärker kreislaufförmige und effiziente Nutzung von Materialien sowie wie weniger klimaschädliche Substitute werden dann attraktiver, wenn die CCS-Kosten entlang der Wertschöpfungskette konsequent weitergegeben werden. Erfreulich ist daher, dass nach unserer Wahrnehmung viele Akteure davon ausgehen, dass eine CCS-Infrastruktur wesentlich aus privaten Mitteln finanziert werden muss – und dass ein ausreichend hoher CO2-Preis dafür die Grundlage darstellen kann.

Die Carbon Management Strategie muss ein Prozess sein

Die Ausgestaltung der CMS wird großen Einfluss auf die Akzeptanz für CCS in Deutschland haben. Um erfolgreich zu sein, muss sie über eine Reihe von Stakeholder-Dialogen in Berlin und die Erarbeitung eines Strategiepapiers hinausgehen. Zum einen sollte sie als längerfristiger Prozess angelegt sein. Die Bundesregierung sollte ihre Strategie für die Industrietransformation und die Nutzung von CCS regelmäßig in einem transparenten Prozess auf den Prüfstand stellen und dabei unter anderem evaluieren, ob alle Hebel der Transformation wie geplant umgesetzt werden.

Zum anderen muss die CMS das Thema CCS auch in die Fläche bringen. Gesprächsbedarf wird es vor allem dort geben, wo neue Infrastrukturen für den Transport (und möglicherweise die Deponierung) von CO2 gebaut werden sollen. Die Bundesregierung sollte in diesen Regionen so früh wie möglich den Dialog mit der Bevölkerung suchen und dabei aus den bisherigen Beteiligungsprozessen unter anderem in den Niederlanden, Dänemark und Norwegen lernen. Industrie und an der CCS-Diskussion interessierte Umweltverbände könnten hier gemeinsam eine wichtige Vermittler-Rolle spielen – auf Grundlage eines ambitionierten CCS-Konsenses, der von der CMS abgesichert wird.

Georg Kobiela ist Referent für Industrietransformation bei Germanwatch. Simon Wolf ist Leiter des Teams deutsche und europäische Klimapolitik, ebenfalls bei Germanwatch.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen