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Energie & Klima

Standpunkte Bioenergie als Ersatz für russisches Gas

Uwe Welteke-Fabricius, Unternehmer und Sprecher Netzwerk Flexperten
Uwe Welteke-Fabricius, Unternehmer und Sprecher Netzwerk Flexperten Foto: Flexperten

Alte Vorbehalte statt neuen Denkens: Die Ampel-Koalition vernachlässigt die Möglichkeiten der Bioenergie-Nutzung sträflich, meint Uwe Welteke-Fabricius vom Netzwerk Flexperten in seinem Standpunkt. Sogar die Wasserstoff-Expansion könne man sich sparen, wenn unter anderem durch Reststoffe die Potenziale nachhaltiger Bioenergie gehoben würden.

von Uwe Welteke-Fabricius

veröffentlicht am 08.06.2022

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Hat die Politik nicht verstanden, was die Bioenergie an Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit zu bieten hat? Es klingt nach Verzweiflung, was derzeit zusammengefasst an Stimmen aus der Bioenergiebranche zu hören ist. Wenn das große Potenzial dieser Technologie weiter ohne Beachtung bleibe, droht ein weiterer Schwund bei Kapazitäten und Akteuren – mit teuren Folgen. Deshalb sollte die Bundesregierung im Osterpaket ein motivierendes Zeichen setzen. Das Gegenteil ist bisher der Fall.

Denn es ist in der Tat absurd: Ausgerechnet eine neue grüne Regierung glaubt sich gezwungen, einen Kotau vor neuen, keineswegs besonders demokratischen Gaslieferanten zu machen. Mit drei Milliarden Euro an Subventionen und in Rekordzeit genehmigt, werden in an der Nordsee neue Import-Terminals für das klimaschädliche Fracking-Flüssigerdgas gebaut. Liefer- und Nutzungsverträge auf mindestens zehn Jahre verlängern das fossile Zeitalter gegen jede klimapolitische Vernunft.

Währenddessen ist der Zubau von Biogasanlagen so niedrig wie seit zehn Jahren; nicht einmal die Flexibilisierung geht noch voran – weil die Bundesregierung immer noch voll auf der Bremse steht. Derzeit arbeitet das federführende Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz am EEG 2023 und gibt sich keine erkennbare Mühe, das wirklich grüne Gaspotenzial im eigenen Land zu erschließen. Immer noch ist in den Entwürfen ein Schrumpfungspfad für Biogas vorgesehen, der durch die geplanten neuen hochflexiblen Biomethankraftwerke („Peaker“) nicht annähernd kompensiert wird.

Bauchgefühl statt Interesse am neuen Biogas

Auch die im Osterpaket vorgesehene Wiedereinführung der Südquote, die BImSch-Pflicht und die nochmalige Minderung der Nutzungsdauer für Biomethan-„Peaker“ sind allenfalls ein Feigenblatt. Aber sie sind keine Chance für seriöse Geschäftsmodelle – allenfalls wenig effiziente Gasturbinen auf alten Standorten können sich damit mehr als gut refinanzieren.

Was ist die Ursache für diese Widersprüchlichkeiten?

Für einen Teil der Antwort genügt eine Straßenumfrage: „Biogas? Bitte nein – Gülletourismus, Vermaisung, ineffizienter Flächenverbrauch!“. Kaum anders wäre die Reaktion auf den Fluren des Bundestages.

Die neue Zeit im Biogas ist in der Wahrnehmung offenbar noch nicht angekommen – und tatsächlich auch noch längst nicht vollständig umgesetzt. Doch um ein Bild zu verwenden: Hätte man die Eisenbahn immer nach den ersten Dampfloks beurteilt, wären ICEs nicht als sinnvolles Verkehrsmittel durchsetzbar gewesen.

Vielleicht aber kann die Energiewende-Politik auch gar nicht glauben, was ihr da angeboten wird. In manchen Punkten klingt es eigentlich zu schön, um wahr zu sein: Landwirtschaftliche Reststoffe enthalten große ungenutzte Biogaspotenziale. Allein schon der Getreideanbau für Trog oder Brot bringt massenhaft Stroh hervor, das bisher nur zum kleinsten Teil energetisch genutzt wird.

Es geht um Stoffströme, die ohnehin schon vorhanden sind, aber deren Verwertung bisher noch ein bis zwei Cent pro Kilowattsunde teurer gewesen wäre, als der bequeme Anbau von Mais.  Zur Zersetzung verurteilte Materialströme aus der Landwirtschaft, wie Stroh und Rübenblätter; wirtschaftlich nutzlose Biomasse, die auf Brachen, Naturschutzflächen und an Straßenrändern gemäht werden muss; Aufwuchs von Bienenweiden und bunten Blühflächen, Gülle und Mist aus den verbleibenden Ställen.

In einer Zukunft ohne Klimakrise werden wir deutlich weniger Tiere halten. Für einen Teil von 60 Prozent der Ackerfläche, die bisher der Futtererzeugung dienen, werden Landwirte neue Einkommensquellen suchen.  Ein Teil dient der Extensivierung und dem Bioanbau. Das bringt zwar höhere Erzeugerpreise, aber nur etwa die halbe Erntemenge pro Fläche.

Das Potenzial liegt doppelt so hoch wie der Status Quo

Einen weiteren Teil der Flächen will die grüne Regierung der Artenvielfalt und dem Naturschutz widmen. Aber auch da wachsen Pflanzen, die man ab und an zurückschneiden muss. Dieser Aufwuchs kann auf der Fläche verbleiben, würde natürlicher Zersetzung aber Treibhausgase freisetzen. Man kann diese Biomasse an einen Fermenter „ausleihen“, energetisch zur kontrollierten Methangewinnung nutzen. Mit dem verbleibenden, organischen „Biogas-Dünger“ kommen die wertvollen Nährstoffe und Fasern wieder auf die Flächen zurück.

Das Ergebnis ist eine nachhaltigere, Klima, Wasser und Boden schonende Landwirtschaft, die ihren Strukturwandel und die Naturschutzaufgaben zum Teil aus der energetischen Nutzung ihrer Reststoffe finanzieren kann.

Die Technik bietet mehrere Optionen: Biogas kann fossiles Erdgas durch Einspeisung ins Gasnetz verdrängen. Oft ist es wirtschaftlicher, Biogas direkt in Speicherkraftwerken zu Spitzenstrom und Wärme für örtliche Nahwärmenetze umzuwandeln (Kraft-Wärme-Kopplung). Derselbe Effekt: Es wird weniger Erdgas benötigt. Durch die Verstromung vor Ort wird die ländliche Wertschöpfung gesteigert; der Netzausbaubedarf verringert.

Das Potenzial für nachhaltige Biogaserzeugung liegt bei 180 bis 230 Terawattstunden pro Jahr, von denen bisher gerade einmal 100 TWh/a erschlossen sind. Das ist knapp ein Viertel der in Deutschland insgesamt benötigten Erdgasmenge –  das unerschlossene Biogas könnte ein weiteres Viertel abdecken und zudem die Hälfte des derzeit noch aus Russland importierten Erdgas ersetzen.

Investitionssicherheit braucht es – mehr nicht

Unglaublich, aber wahr: Bei derzeitigen Gaspreisen kostet das den Klima- und Energiewendetopf nahezu nichts. Das Einzige, was am Durchbruch fehlt, ist eine mittelfristige Sicherheit für Investitionen in die Technologie, so wie sie das EEG für Wind- und Solarenergie bietet. Diese Sicherheit benötigen die Banken für die vielen, aber schwach kapitalisierten Landwirte, KMU und Stadtwerke-Töchter als wesentliche Akteure der Branche.

Nur relativ kleine Veränderungen im EEG würden genügen, um hier eine lebhafte, dezentrale und durchaus nachhaltige Investitionsdynamik in Gang zu bringen: Idealerweise ein neuer Festtarif für kleine, bürgernahe Anlagen wie bei PV und Wind, für große Anlagen eine gemeinsame Ausschreibung für Biogas- und Biomethan, klare Auslegung auf hochflexible Betriebsweise und hohe Energieeffizienz, ökologische Leitplanken für die Rohstofferfassung.

Warum in aller Welt muss dann noch eine fossile, wahrscheinlich teurere und keineswegs nachhaltige Brücke ins Wasserstoffzeitalter gebaut werden?

Uwe Welteke-Fabricius ist Sprecher des Netzwerkes Flexperten, das sich insbesondere der Flexibilisierung von Biogasanlagen und der Kraft-Wärme-Kopplung widmet.

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