Im Februar 2017 mahnte Bill Gates die Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz eindringlich: „Wir ignorieren den Zusammenhang zwischen Gesundheit und internationaler Sicherheit auf eigene Gefahr.“ Nur wenige Jahre später hat sich seine Warnung bewahrheitet. Seit Beginn der Pandemie sind mehr als eine Million Menschen an Covid-19 gestorben. Dem Virus sind damit etwa dreizehn Mal so viele Menschen zum Opfer gefallen, wie 2018 weltweit in bewaffneten Konflikten umgekommen sind.
Die Europäische Union gehört zu den Regionen, die zu Beginn der Pandemie am schlimmsten betroffen waren. Jahrzehntelang waren wir dem Irrglauben erlegen, dass uns globale Krisen und Konflikte auf unserer „Insel der Glückseligen“ nichts anhaben könnten. Anstatt Vorkehrungen zu treffen, die Leben hätten retten können, haben wir augenscheinliche Gefahren ignoriert. Wir sind gut beraten, diesen Fehler bei einer weiteren globalen Herausforderung nicht zu wiederholen: beim Klimawandel. Die EU braucht eine echte Klimaaußenpolitik. Deutschland sollte hierbei eine Vorreiterrolle einnehmen.
Nach uns die Sintflut?
Die nahezu apokalyptischen Waldbrände in Kalifornien und die verheerenden Überschwemmungen in Bangladesch, die wir in diesem Jahr beobachten mussten, sind nur ein Vorbote dessen, was uns erwartet, wenn wir nicht aktiv werden. Und sie zeigen, dass für viele der Klimawandel bereits jetzt eine massive Sicherheitsbedrohung darstellt: 24,9 Millionen Menschen wurden 2019 aufgrund von wetterbedingten Katastrophen zu Binnenvertriebenen. Ohne drastische Maßnahmen werden solche Ereignisse in Zukunft häufiger und noch zerstörerischer wüten.
Darüber hinaus können der Klimawandel und seine Folgen auch friedensgefährdend wirken, insbesondere in fragilen Staaten. Bislang sind die Auswirkungen auf innerstaatliche Konflikte noch begrenzt; dies dürfte sich mit steigenden globalen Temperaturen jedoch ändern. Gleiches gilt für zwischenstaatliche Konflikte, denn der Klimawandel verschärft einerseits Ressourcenknappheit, zum Beispiel von Wasser, und macht andererseits neue umkämpfte Ressourcen zugänglich, etwa in der Arktis.
Die Covid-19-Krise zeigt einmal mehr, dass unser Verständnis von Sicherheit im 21. Jahrhundert breiter gefasst werden muss. Dieser Sinneswandel ist im Gange, aber er ist zu langsam: Noch vor acht Jahren, als wir begannen, die Auswirkungen des Klimawandels in München in regelmäßigen Abständen zu debattieren, zeigten sich viele Teilnehmende skeptisch, ob es ein relevantes Thema für eine Konferenz zu internationaler Sicherheit sei. Auch wenn wir heute weiter sind, hat die Politik ihren proklamierten Absichten bislang kaum Taten folgen lassen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich ansieht, wie schwer wir uns beim Umsetzen der Beschlüsse der UN-Klimakonferenzen tun: Statt die Erderwärmung, wie 2015 in Paris beschlossen, auf 1,5 Grad zu beschränken, steuert die Welt bis 2100 auf eine Erwärmung von 3,2 Grad zu.
Kein Land kann globale Herausforderungen, wie eine Pandemie oder den Klimawandel, alleine stemmen. Dennoch werden internationale Bemühungen untergraben, weil multilaterale Ansätze an Rückhalt verlieren und nationalistische Bewegungen an Einfluss gewinnen. Der Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen und möglicherweise auch aus der Weltgesundheitsorganisation veranschaulicht diesen Trend auf eindrückliche Weise. In einer Zeit, in der sich Regierungen verständlicherweise darauf konzentrieren, den Gesundheitsnotstand und wirtschaftlichen Abschwung einzudämmen, hat die Covid-19-Krise leider dazu beigetragen, dass sich viele Länder primär nach innen orientieren.
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, müssen wir die Kapazitäten internationaler und regionaler Organisationen stärken und Koalitionen der Willigen gründen, die bereit sind, den Rückschritt bei multilateralen Ansätzen zu überwinden. Angesichts ihres wirtschaftlichen und politischen Gewichts fällt der EU – und ihren Mitgliedstaaten – hierbei eine maßgebende Rolle zu.
Die EU und multilaterale Klimaschutzmaßnahmen
Man muss der EU zugutehalten, dass sie versucht, trotz der Covid-19-Pandemie den Klimaschutz voranzubringen. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hat unterstrichen, dass es „gegen den Klimawandel […] keine Impfung“ gibt. Sie hat den sogenannten Green Deal als Kernpunkt eines EU-Konjunkturprogramms etabliert. Leider gehen aber weder die ursprünglichen Vorschläge der Kommission, noch der im Anschluss von den europäischen Staats- und Regierungschefs vereinbarte Deal, auf die außenpolitische Dimension der EU-Maßnahmen zu Covid-19 und zum Klimawandel ein.
Die Forderung, beim Wiederaufbau nach der Katastrophe bessere Strukturen zu etablieren („Build Back Better“), darf sich nicht nur auf unseren Kontinent beschränken. Die EU sollte nach neuen Wegen suchen, um internationalen Klimainstitutionen und -mechanismen Schützenhilfe zu leisten. Der Welt bleibt nur sehr wenig Zeit, den Klimawandel einzudämmen, bevor dessen Auswirkungen irreversibel werden. Wir können uns weitere Verzögerungen schlicht nicht leisten.
Eine echte Klimaaußenpolitik muss jedoch mehr abdecken als die Reduktion von Emissionen. Klimasicherheit muss strategisch und operativ in die EU-Außenpolitik eingebunden werden und Bereiche wie Entwicklungszusammenarbeit, globale Gesundheitssicherheit, Konfliktprävention, Klimadiplomatie und globale Wirtschafts- und Handelspolitik einbeziehen.
Viele Staaten in der südlichen europäischen Nachbarschaft und die Länder der Sahel-Zone sind besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels. Unsere Nachbarn zu unterstützen ist ein humanitärer Imperativ, aber auch strategische Notwendigkeit, denn eine weitere Destabilisierung dieser Regionen wird sich direkt auf die Sicherheit Europas auswirken.
Strategien, die durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Gefährdungen in diesen Gebieten angehen, sollten im Einklang mit dem Do-no-Harm-Ansatz auch darauf angelegt sein, die Bedrohung des Klimawandels abzuschwächen. So sollten EU-geführte Investitionsprogramme klimafreundliche Branchen bevorzugt behandeln. Besondere Aufmerksamkeit sollte darüber hinaus auch auf guter Regierungsführung und dem Respekt der Menschenrechte liegen.
Klima-Außenpolitik ist mehr als ein Anhängsel
Obwohl der Klimawandel seit 2008 auf der Sicherheitsagenda der EU steht, wird er in der Politik oft stiefmütterlich behandelt. Die Covid-19-Pandemie ist sowohl Mahnung als auch Chance, dies zu ändern. Daher sollte Berlin die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um eine bessere und umfassendere Klima-Außenpolitik auf den Weg zu bringen.
Wolfgang Ischinger ist seit 2008 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Davor war er Staatssekretär des Auswärtigen Amtes (1998-2001) sowie als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Washington D. C. (2001–2006) und in London (2006–2008) tätig.
Der Artikel ist einem Beitrag zu „21st Century Diplomacy: Foreign Policy
Is Climate Policy“ entlehnt, einem vom Forschungs- und Beratungsinstitut
Adelphi und dem Wilson Center geleiteten Projekt.