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Energie & Klima

Standpunkte CO2-Entnahme aus der Atmosphäre: Die Stille Revolution im Klimaschutz

Jan Minx, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC)
Jan Minx, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) Foto: MCC/privat

Das neue Klimaschutzgesetz sieht vor, der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Dazu fehlt es Deutschland nicht an Innovationskraft, aber an mutiger Politik, schreiben Jan Minx und Arwen Colell vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change .

von Jan Minx

veröffentlicht am 18.06.2021

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Deutschland hat sich mit dem neuen Klimaschutzgesetz auf den Weg in die Treibhausgasneutralität begeben. Spätestens im Jahr 2045 muss der Atmosphäre für jede verbleibende Tonne Treibhausgasemissionen eine entsprechende Menge Kohlendioxid, CO2, entnommen werden. Danach soll die Treibhausgasbilanz sogar „netto-negativ“ werden, der Atmosphäre mehr CO2 entzogen werden, als ausgestoßen wird.

Das ist notwendig, weil die Welt spät dran ist im Klimaschutz. Um den Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, müssen wir einen Kredit bei der Atmosphäre aufnehmen. Wir überziehen zeitweilig das verbleibende Budget von mit dem Ziel noch vereinbaren CO2-Emissionen. Dieser Kredit muss aber mit CO2-Entnahmen zurückgezahlt werden.

Die konkreten CO2-Entnahmeziele, oder negativen Emissionen, sind die eigentliche Revolution im neuen Klimaschutzgesetz. Ihre Notwendigkeit zum Erreichen der Pariser Klimaziele ist in der Wissenschaft schon längt anerkannt, wie im Sonderbericht des Weltklimarats IPCC über 1,5 Grad Celsius globale Erwärmung dargelegt. Deutschland will einen Schritt in die richtige Richtung gehen und die Speicherung von CO2 in natürlichen Senken wie Wäldern, Mooren oder Böden auf 40 Millionen Tonnen im Jahr 2045 steigern.

Natürliche CO2-Senken reichen nicht aus

Das bedeutet, dass dann noch höchstens 40 Millionen Tonnen CO2 oder eine in der Wirkung gleiche Menge mit weiteren Treibhausgasen emittiert werden dürfen. Darunter fallen nicht nur die Restemissionen der Industrie, sondern auch schwer vermeidbare Methan- und Lachgasemissionen in der Landwirtschaft. Die Menge ist deutlich geringer als sich aus ersten Modellrechnungen ergibt. Dort sinken die Emissionen bis 2050 nur auf einen Wert zwischen 60 und 130 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.

Es ist richtig, den Ausbau der natürlichen Senken zu starten, es reicht aber nicht aus. Das liegt einerseits an den Folgen des Klimawandels: Viele der natürlichen Senken sind bereits bedroht und werden in Zukunft noch stärker belastet sein: Hitze und Dürre machen den Wäldern in Deutschland zu schaffen, Erosion bedroht die Böden, Moore trocknen aus. Zudem können natürliche Senken kurzlebig und die CO2-Bindung sehr leicht umkehrbar sein. Ein Waldbrand genügt. Es wäre schon ein Erfolg, die derzeitigen Kapazitäten zu erhalten.

Es gibt weitere CO2-Entnahmeoptionen, die im Klimaschutzgesetz aber keine Beachtung finden. Dazu gehören die Nutzung von CO2 in Baumaterialien wie Zement, die Einbringung in den Boden in Form von Biokohle, die Bindung von CO2 in zermahlenem Gestein oder neuartige chemische Verfahren, die CO2 aus der Luft filtern und geologisch einlagern. Diese Methoden haben großes Potential für langfristig stabile CO2-Entnahmen, über Jahrhunderte bis Jahrtausende.

Deutschland ist als Innovationsland gefragt

Viele dieser Technologien werden bereits in Märkte eingeführt. Dennoch besteht eine riesige Innovationslücke. Der Innovationsprozess wird oft als eine Abfolge von Stufen beschrieben: von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis hin zu Demonstrationsprojekten, von der Bedienung früher Nischenmärkte bis hin zur Skalierung auf einen größeren Markt, einschließlich einer gesellschaftlich gemeinsam getragenen Entscheidung auch zu  unvermeidlichen Nebenwirkungen bei einer breiten Einführung.

Fallstudien zeigen, dass dieser Prozess Jahrzehnte dauert. 60 Jahre sind beispielsweise seit der Markteinführung der Solarzelle in der amerikanischen Raumfahrt vergangen. Es gab selbst von den größten Optimisten nicht für möglich gehaltenes, schnelles und nachhaltiges Wachstum, aber die Marktsättigung ist noch weitere Dekaden entfernt.

Deutschland ist ein Innovationsland. Genau das ist nun gefragt. Gewaltige Märkte entstehen. 400 der 2000 größten Unternehmen weltweit haben sich Treibhausgasneutralität als Ziel gesetzt. Dazu suchen sie bereits nach leistungsfähigen Lösungen zur Abscheidung und Speicherung von Emissionen. Deutschland muss sich in diesen Prozess einbringen.

Großbritannien investiert bereits

Andere Regierungen und Finanzdienstleister haben das bereits erkannt. So investiert beispielsweise die britische Forschungsgemeinschaft 30 Millionen Pfund in fünf Demonstrationsprojekte für großskalige CO2-Entnahmen. Die britische Regierung investiert weitere 100 Millionen Pfund in konkrete CO2-Entnahmeprojekte. Der private Finanzdienstleister Stripe investiert in CO2-Entnahmetechnologien und gab kürzlich die Förderung von sechs Start-ups in seiner zweiten Förderrunde bekannt.

Es ist ein harter Wettlauf gegen die Zeit, die CO2-Entnahme-Optionen bis zum Jahr 2045 in ausreichender Menge auszubauen. Deutschland braucht mehr Mut zur Entfesselung der Innovationskraft und Ingenieurskunst bei der CO2-Entnahme. Neuen Unternehmen muss trotz zunächst hoher Entnahmekosten eine Nachfrage garantiert werden, bis die Kosten pro Tonne CO2 sinken. Perspektivisch könnte dies dann über Auktionen geschehen. Die gesetzliche Pflicht, unseren Kredit bei der Atmosphäre zurückzuzahlen, würde dann Teil des Strukturwandels zu einer tatsächlich zukunftsfähigen Wirtschaft werden. Nun bedarf es eines konkreten Plans zur Erreichung der CO2-Entnahmeziele im Klimaschutzgesetz. Das wäre der nächste wichtige Schritt in die richtige Richtung.

Arwen Colell (siehe Porträt) ist Politik-Analystin am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

Jan Minx leitet die Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am MCC. Er ist zudem Professor für Klimawandel und öffentliche Politik am Priestley International Centre for Climate an der Universität Leeds.

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