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Energie & Klima

Standpunkte CO2-Entnahme im EU-Emissionshandel: Eine Aufgabe für eine neue CO2-Zentralbank

Wilfried Rickels, Christian-Albrechts-Universität, Kiel
Wilfried Rickels, Christian-Albrechts-Universität, Kiel Foto: Ifw / Rickels

Die Dekarbonisierung schreitet voran in der EU, schon Ende des kommenden Jahrzehnts wird vermutlich das letzte CO2-Zertifikat ausgegeben. Umso wichtiger ist es aus Sicht der Forscher und Experten Wilfried Rickels, Roland Rothenstein und Felix Schenuit, die CO2-Entnahme Schritt für Schritt in den EU-Emissionshandel zu integrieren. Sie schlagen in ihrem Standpunkt vor, dass eine CO2-Zentralbank diese Aufgabe übernehmen könnte.

von Wilfried Rickels

veröffentlicht am 17.02.2023

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Die umfangreichen Reformen in der EU-Klimapolitik im Rahmen des Fit-for-55-Pakets zeichnen bereits den Pfad zu netto-null und dann sogar netto-negativen CO2-Emissionen nach 2030 vor. Dies wird insbesondere beim bereits existierenden EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) für den Energie- und Stromsektor deutlich. In diesem System sinkt die jährliche Menge an neuen Emissionszertifikaten (Allowances) linear ab und im Zuge der jetzt beschlossenen Reformen wird das letzte Zertifikat voraussichtlich bereits im Jahr 2039 ausgeben und nicht wie bisher vorgesehen zwischen 2057 und 2060.

Entsprechend schnell müssen die Emissionen im Energie- und Industriesektor sinken, eine CO2-Abscheidungs- und CO2­-Speicherungsinfrastruktur aufgebaut und schrittweise die atmosphärische CO2-Entnahme in das EU-ETS integriert werden. Letztere muss nach 2039 verbleibende Rest- beziehungsweise Bruttoemissionen übersteigen, so dass dann netto-negative Emissionen erreicht werden.

Was ist dafür regulatorisch notwendig? Wir schlagen vor, dass CO2-Entnahme bereits deutlich vor 2039 angekauft, in CO2-Entnahme-Zertifikate umgewandelt und in einer entsprechenden Reserve verbucht werden kann, um die entstehenden Zertifikate dann möglicherweise zu versteigern. So werden die CO2-Preise auf dem Pfad zu netto-null steuerbar. Dies könnte eine CO2-Zentralbank übernehmen.

Die Rolle einer CO2-Zentralbank

Eine CO2-Zentralbank würde mehr Sicherheit für alle Akteure bedeuten. Auch wenn vorgegeben ist, wie viele Emissionen noch maximal im EU-ETS emittiert werden dürfen, ist unklar, wie sich die CO2-Preise entwickeln werden. Während der Umbau des Energiesektors umsetzbar erscheint, gibt es für den Industriesektor noch zahlreiche Fragen und Innovationslücken.

Zusätzlicher Druck entsteht durch die vorgezogene Absenkung der freien Vergabe von Emissionszertifikaten im Zuge der Einführung des CO2-Grenzausgleichs. Dieser sieht vor, dass zukünftig für Importe in die EU ein CO2-Preis zu entrichten ist. Dadurch soll der Wettbewerbsnachteil der europäischen Industrie bei der Belieferung des europäischen Marktes ausgeglichen werden und im Gegenzug die freie Vergabe bereits bis 2034 und damit vor dem Ende der Zertifikatausgabe abgeschafft werden.

Vor diesem Hintergrund besteht die Sorge, dass exzessive CO2-Preissprünge und -volatilität auf dem Weg zu netto-null Emissionen die politische Akzeptanz und Unterstützung des EU-ETS gefährden. Bereits in der Vergangenheit gab es immer wieder Forderungen einzelner Länder in der EU, bei hohen CO2-Preisen im EU-ETS diese durch die Ausgabe zusätzlicher Zertifikate zu begrenzen.

Kombination von Preis- und Mengensteuerung

Die ökonomische Literatur ist sich vergleichsweise einig, dass in einer Situation hoher Unsicherheit über die Vermeidungskosten Mengen- und Preissteuerung kombiniert werden sollten. Zwar beinhaltet das EU-ETS als Mengeninstrument bereits eine Regelung, mit der exzessive Preissprünge durch die Freigabe zusätzlicher Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve begegnet werden sollen – aber dieser Mechanismus kann nur funktionieren, solange Zertifikate verfügbar sind.

Entsprechend liegt es nahe, CO2-Entnahme Zertifikate für die Kompensation von Emissionen bereits vor 2039 einsetzen zu können. Anders als bei herkömmlichen Zertifikaten ändern sich durch die Versteigerung von CO2-Entnahme Zertifikaten die Nettoemissionen nicht. Wenn dadurch weniger Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve freigegeben werden müssen, sinken die Nettoemissionen sogar.

Nun ist es aber nicht so, dass CO2-Entnahme-Technologien bereits im industriellen Maßstab existieren. Im Gegenteil, bei Technologien wie zum Beispiel der direkten CO2-Entnahme mit anschließender Speicherung (Direct Air Capture with Carbon Storage, DACCS), bedarf es noch erheblicher Lern- und Skaleneffekte, wenn diese Technologien ihren Beitrag in der Klimapolitik leisten sollen.

Eine zu frühe, subventionierte Integration solcher CO2-Entnahme-Zertifikate könnte die Anreize für die notwendigen Investitionen in CO2-Vermeidung reduzieren. Entsprechend schlagen wir vor, den CO2-Entnahme-Sektor parallel zur Emissionsvermeidung im EU-ETS zu entwickeln und ihn nur schrittweise zu integrieren, damit sowohl bei der Entnahme als auch der Vermeidung Anreize für die Technologieentwicklung existieren.

Aufbau einer CO2-Entnahme-Zertifikate-Reserve

Dabei macht sich unser Vorschlag die Entnahme durch eine CO2-Zentralbank zu steuern zunutze, dass es sich bei CO2-Emissionen um eine Bestandsgröße handelt. Der Ankauf von CO2-Entnahme und die Versteigerung der damit verbundenen Zertifikate können zeitlich auseinanderfallen – und das müssen sie auch, denn eine glaubwürdige Intervention, um den CO2-Preis zu stützen, setzt voraus, dass eine hinreichend große Reserve vorab aufgebaut wird.

Finanziert werden könnte ein solches Ankaufprogrammdurch durch die zusätzlichen Erlöse aus der reduzierten freien Vergabe der Zertifikate im Zuge der Einführung des CO2-Grenzausgleichs. Diese Erlöse sollten in den Innovationsfond fließen und auch dafür vorgesehen werden, Technologien im Bereich der Entnahme zu fördern. Technologiespezifische Auktionen erlauben dann innerhalb des Ankaufs den unterschiedlichen, technologischen Reifegrad der CO2-Entnahmemethoden zu berücksichtigen.

Ein solches Ankaufprogramm würde auf die Menge der CO2-Entnahme ausgerichtet. Erst nach Ankauf würde die Umrechnung in CO2-Entnahme-Zertifikate erfolgen. Damit könnte man möglichen Zertifizierungs- und Permanenzproblemen bei verschiedenen Entnahmemethoden begegnen. Auch wenn für die langfristige Integration in das EU-ETS vor allem DACCS und Bioenergie mit CO2-Speicherung (bioenergie with carbon capture and storage, BECCS) als Technologien diskutiert werden, bietet es sich an, technologieoffen auch andere Entnahmemethoden zu fördern. Das Ankaufprogramm beziehungsweise die damit betraute Institution, würde somit auch als eine Art Clearingstelle funktionieren, die, analog zu den jetzigen Zertifikaten im EU-ETS, homogene CO2-Entnahme Zertifikate generiert. Sie sind für einen liquiden Markt notwendig.

Auch eine aktive Preissteuerung durch die Zentralbank?

Bislang ist das EU-ETS sehr stark regelbasiert organisiert, und kann, wie jetzt in den kürzlich beschlossenen Reformen, angepasst werden. Allerdings haben sich die Reformen über mehrere Jahre hingezogen. Ob eine regelbasierte Ausgestaltung flexibel genug ist, um den zahlreichen Anforderungen beim Übergang von einem Emissionshandelssystem mit positiven Emissionen zu einem System mit netto-negativen Emissionen gerecht zu werden, ist eine offene Frage.

Diskutiert werden jedenfalls Möglichkeiten, in Zukunft stärker direkt steuernd einzugreifen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass zwar exzessive CO2-Preisschwankungen zu begrenzen sind, die Unsicherheit über zukünftige Preise gleichzeitig aber nicht vollkommen eliminiert werden sollten. Denn: Ein ex ante festgelegter CO2-Höchstpreis setzt nur Anreize in Vermeidungstechnologien zu investieren, die Vermeidungskosten unterhalb dieses Höchstpreises versprechen. Auch kann sich ein aktiverer Ansatz sowohl am CO2-Preis wie auch am Gesamtenergiepreis orientieren und so flexibel auch auf Schwankungen an Energiemärkten reagieren.

Nach wie vor bedarf es erheblicher Innovationen um CO2-Emissionen zu vermeiden und Unternehmen, die sich bei dieser Herausforderung mit neuen Ansätzen und Ideen hervortun, sollten für Risiken belohnt werden und weniger innovative Firmen verdrängen. Ein Mandat für ein aktives CO2-Preismanagement wäre eine Möglichkeit, den Übergang zu Netto-Null zu organisieren und in Kombination mit den verschiedenen Aufgaben zu bündeln: Ankauf der CO2-Entnahme, Umwandlung in CO2-Entnahme-Zertifikate – diese Aufgaben könnte und sollte aus unserer Sicht eine neue CO2-Zentralbank übernehmen. Die bevorstehende Debatte um das EU-2040-Klimaziel und entsprechende Reformen des EU-ETS bieten jedenfalls genug Anlass und Notwendigkeit, diese Fragen zu diskutieren.

Prof. Dr. Wilfried Rickels ist Professor für „Economics of Negative Emissions Technologies” an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Forschungsdirektor am Institut für Weltwirtschaft.

Dr. Roland Rothenstein ist Senior Quantitative Modeler bei der NORD/LB und Dozent bei der Fachhochschule für Wirtschaft Hannover.

Felix Schenuit ist Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik und forscht in dem vom BMBF geförderten Projekt CDRSynTra zur Governance und politischen Realisierbarkeit von Carbon Management und CO2-Entnahme.

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