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Energie & Klima

Standpunkte Entnahme von CO2 – sind die EU-Mitgliedsstaaten bereit?

Von Nils Meyer-Ohlendorf, Ecologic Institut
Von Nils Meyer-Ohlendorf, Ecologic Institut

CO2-Entnahmen werden ein zentrales Handlungsfeld der Klimapolitik. Trotzdem fehlen Basics in den Politikrahmen der Mitgliedsstaaten. Es gibt auch keine politische Diskussion über die CO2-Entnahme. Das ist ein Problem. Nils Meyer-Ohlendorf vom Ecologic Institut schlägt in seinem Standpunkt Lösungswege vor.

von Nils Meyer-Ohlendorf

veröffentlicht am 09.09.2022

aktualisiert am 13.02.2023

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Um die globale Erwärmung unter zwei Grad oder 1,5 Grad zu halten, muss CO2 der Atmosphäre entnommen werden – so die Aussage praktisch aller Klimaszenarien. Emissionsreduktionen sind unbestritten das Rückgrat des Klimaschutzes, aber CO2 Entnahmen spielen auch eine Rolle. Der Weltklimarat (IPCC) nennt CO2 Entnahme „unvermeidbar“.

Auch nach dem EU-Klimaschutzgesetz ist klar, dass CO2 Entnahme ein zentrales Handlungsfeld der Klimapolitik wird. Nach diesem Gesetz soll die EU ab 2050 mehr CO2 der Atmosphäre entziehen als sie emittiert. Das deutsche Klimaschutzgesetz enthält die gleiche Regel. Sind die Mitgliedsstaaten hierfür bereit?

Die Antwort lautet nein so ließe sich auch eine neue Ecologic-Studie zusammenfassen. In keinem Mitgliedsstaat gibt eine umfassende Diskussion zur CO2-Entnahme. Erst in den letzten Jahren gibt es zarte Anzeichen einer beginnenden Diskussion. Doch das Fehlen einer breiteren politischen Debatte hat negative Folgen.

Kein Bewusstsein über Qualität der Optionen

Mangels Diskussion gibt es kaum ein öffentliches Bewusstsein dafür, dass CO2-Entnahme im Vergleich zu Emissionsreduktionen die inhärent schwächere Art des Klimaschutzes ist. Keine Form der Entnahme speichert CO2 in gleicher verlässlicher und nachhaltiger Weise wie Öl, Kohle und Gas im Boden – das sind und bleiben die besten „Senken“ der Welt.

Ohne Diskussion bleiben die potenziell erheblichen Auswirkungen der unterschiedlichen CO2-Entnahmeformen auf Natur, Energieversorgung, Wirtschaft und öffentliche Haushalte der Öffentlichkeit verborgen. Es gibt kein vertieftes Verständnis der Vor- und Nachteile einzelner Entnahmeoptionen.

Dabei macht es einen großen Unterschied für Biodiversität, Bodenschutz und Klimaresilienz von Ökosystemen, ob CO2 etwa durch Aufforstungen in Monokulturen oder durch die Wiederherstellung beschädigter Ökosysteme entnommen wird. Für eine dauerhafte Speicherung von Kohlenstoff ist es erheblich, ob die Speicherung in Biomasse, Plastik oder geologischen Formationen erfolgt. Für den Stromverbrauch ist es von Bedeutung, ob Direct Air Capture eine wichtige Säule der CO2 Entnahme wird oder nicht. Je nach Entnahmeoption variieren volkswirtschaftliche Kosten erheblich.

Schweden hat Entnahme genau aufgeschlüsselt

Ohne politische Diskussion ist es nicht verwunderlich, dass kein Mitgliedstaat einen adäquaten regulatorischen Rahmen für die Entnahme von CO2 hat – weder für die kurze Frist noch für die Zeit bis 2050 oder darüber hinaus. Es fehlt selbst an den Basics eines guten Politikrahmens.

Kein Mitgliedsstaat hat eine Entnahmestrategie. Relevante Regeln für die CO2-Entnahme sind über verschiedene Gesetze und Politiken eher zufällig verstreut. Nationale Klimastrategien beschreiben oft nur Entnahmeoptionen und vermeiden normative Aussagen. Die verschiedenen Entnahmeoptionen werden nicht gegeneinander abgewogen. CO2 Entnahme ist oft nicht mehr als eine Nebenwirkung anderer Politiken. Bis auf Schweden hat kein Mitgliedsstaat formuliert, welche Entnahmeoption welche Mengen CO2 bis wann entnehmen muss. Selbst Schweden hat seine Entnahmeideen nur in einem unverbindlichen Bericht der Regierung und Stakeholder in vager Form quantifiziert.  Nur Deutschland hat konkrete Pläne, eine Entnahmestrategie zu formulieren.

Den meisten Mitgliedsstaaten fehlt ein weiteres Basic: Gesamtziele. Sie haben keine quantifizierten Ziele für Entnahme und damit keine Vorstellung, wie viel CO2 sie womit bis wann der Atmosphäre entnehmen wollen. Transparenz und damit Rechenschaftslegung sind damit schwach ausgestaltet. Nur Portugal hat ein rechtlich verbindliches und quantifiziertes Entnahmeziele. Das Klimaschutzgesetz Portugals bestimmt, dass bis 2050 Emissionen um 90 Prozent sinken und die verbleibenden zehn Prozent entnommen werden. Belgien, Ungarn, Frankreich, die Niederlande und Spanien haben auch quantifizierte Entnahmeziele, diese stehen aber in rechtlich unverbindlichen Klimastrategien. In Schweden enthält ein Parlamentsbeschluss das Entnahmeziel. Das deutsche Klimaschutzgesetz hat Ziele für natürliche Senken.

Zeitlicher Vorlauf drängt zum Handeln

Fehlende politische Diskussion und lückenhafte Regeln sind große klimapolitische Probleme. CO2-Entnahme fällt nicht vom Himmel. Sie braucht einen guten Rahmen – jetzt. Denn praktisch alle Entnahmeoptionen haben einen großen zeitlichen Vorlauf, um tatsächlich zu Klimaschutz beizutragen.

Eine Entnahmestrategie kann ein erster Schritt sein, um die notwendige öffentliche Diskussion anzuschieben, und um zu helfen, einen adäquaten Rahmen für CO2-Entnahme zu schaffen. Dabei werden die Details der jeweiligen Strategien in jedem Mitgliedsstaat unterschiedlich sein, aber es gibt Prinzipien, die in allen Strategien enthalten sein sollten.

Entnahmestrategien müssen einen Vorrang von Reduktionen vor Entnahme enthalten. Wie im EU Klimaschutzgesetz muss es eine Hierarchie geben, um Emissionsreduktionen nicht zu verzögern. Um den Vorrang von Emissionsreduktionen abzusichern, sollten alle Strategien niedrige und quantifizierte Entnahmeziele enthalten. Für hohe Glaubwürdigkeit sollte diese Ziele nicht nur langfristig gelten, sondern auch Zwischenziele für die nächsten zwei Jahrzehnte formulieren. Für ein hohes Maß an Verbindlichkeit sollten Mitgliedsstaaten ihre Entnahmeziele nicht nur in Strategien festschreiben, sondern auch in nationalem Recht verankern und damit rechtlich verbindlich machen.

Wiederherstellung geschädigter Systeme präferieren

Zudem sollten Entnahmestrategien der Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme vor anderen Entnahmeoptionen Vorrang einräumen. Diese Entnahmeoption bietet viele Vorteile für Natur, stärkt Klimaresilienz von Ökosystemen, ist sofort kostengünstig verfügbar und benötigt keine großen zusätzlichen Flächen. Sie hat das Potenzial, große Mengen CO2 zu entnehmen und zu speichern.

Zurecht wird CO2-Entnahme mit Argwohn betrachtet. Sie kann Vorwand sein, um notwenige Reduktionen zu verzögern, und sie kann Klimaschutz mit zweifelhaften Entnahmemaßnahmen schwächen.

Aber es besteht gleichermaßen die Gefahr, dass Mitgliedsstaaten die Entnahmeherausforderung strategielos angehen oder gar ausklammern. Eine Entnahmestrategie mit klar getrennten und quantifizierten Entnahmezielen kann helfen, beiden Gefahren zu begegnen. Sie kann das Verhältnis zwischen Reduktionen und Entnahmen klären und einen gesellschaftlichen Konsens zu CO2-Entnahme fördern. 

Nils Meyer-Ohlendorf ist Senior Fellow beim Ecologic Institute und leitet das International and European Governance Program.

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