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Energie & Klima

Standpunkte Comeback der Industriepolitik: So kann der Staat helfen, den grünen Wandel zu schaffen

Cornelia Woll, Professorin für internationale politische Ökonomie und Präsidentin der Hertie School in Berlin
Cornelia Woll, Professorin für internationale politische Ökonomie und Präsidentin der Hertie School in Berlin Foto: Hertie School

Klimakrise und Systemwettbewerb machen staatliche Hilfen für die Wirtschaft notwendig. Die USA machen es vor, Europa war bislang zu zögerlich. Doch die Zeit drängt, mahnt Cornelia Woll, Ökonomin an der Hertie School. Der Staat solle Wissenstransfer für Innovation stärker anreizen, empfiehlt sie.

von Cornelia Woll

veröffentlicht am 05.10.2023

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Industriepolitik war über Jahrzehnte verpönt. Allein das Wort legte Wettbewerbsfeindlichkeit, kostspielige Subventionen und Fehlentscheidungen nahe, wenn nicht gleich sozialistische Planwirtschaft.

Diese Zeit ist vorbei. Durch Klimakrise und Systemwettbewerb mit Großmächten wie China und den USA wurde klar, dass die Wirtschaft Hilfe braucht, um sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Das ist gut so. Denn wir müssen in Deutschland und Europa den Rahmen intelligenter Industriepolitik neu definieren.

Moderne Industriepolitik ist mit Wettbewerb vereinbar, korrigiert aber den freien Markt, um die Kosten für notwendige Strukturanpassungen zu erleichtern. Die Wirtschaft steht in allen Ländern vor der Doppelaufgabe Emissionen einzusparen und digitalisiert in die Zukunft zu gehen. Dies ist ein Wettlauf gegen die Zeit, nicht nur wegen der tickenden Uhr der Erderwärmung.

Bei allem Strukturwandel ist Aufschieben kostspielig: Je länger gewartet wird, desto teurer ist die Umstellung. Andere Länder ziehen in Entwicklungsphasen schnell vorbei und Wettbewerb mit ihnen wird zunehmend schwerer.

So war der US-amerikanische Inflation Reduction Act mit seinen massiven Steuererleichterungen für Investitionen in grüne Technologien ein schwerer Schock, der Europa im letzten Jahr wachrüttelte. Ebenso unterstützt China mit allen planwirtschaftlichen Instrumenten grüne Technologien.

Da Deutschland zögerlicher handelte, brach zum Beispiel die deutsche Solarindustrie vor rund zehn Jahren ein und konnte mit der chinesischen Konkurrenz seitdem nicht mehr mithalten. Fast 90 Prozent aller Solaranlagen werden heute aus China importiert, eine geopolitisch brisante Abhängigkeit.

Es reicht nicht, Kohlenstoffemissionen zu verteuern

Schnelle und gezielte staatliche Unterstützung ist notwendig, um den Wirtschaftswandel zu fördern und im internationalen Vergleich führend und unabhängig zu sein. Denn eins ist sicher: Der grüne Wandel ist kostspielig. Lediglich über Innovation kann sich die Wirtschaft nachhaltig verändern. Unternehmen werden in grüne Technologie aber nur investieren, wenn die Anreizstrukturen im Markt stimmen.

Es reicht nicht aus, Kohlenstoffemissionen zu verteuern, damit braune Industrien weniger profitabel sind. Die meisten Unternehmen haben viel in verschmutzende Technologien investiert. Das Wissen, die Qualifikation der Mitarbeiter und das Kapital sind so konzentriert, dass Innovation immer in den Feldern am leichtesten ist, in denen man auch in der Vergangenheit erfolgreich war – selbst, wenn dort Profite kleiner werden.

Es gibt also zwei Bereiche, auch Externalitäten genannt, die in einer neuen Anreizstruktur enthalten sein müssen: die Bepreisung der Verschmutzung und die Kosten des Wissenstransfers. Bei mehreren Externalitäten bedarf es eines Zusammenspiels an staatlichen Eingriffen, um Innovation zu fördern.

Industriepolitik bedeutet, dass der Staat Prioritäten setzt und diese gezielt fördert. Die USA machen es vor – mit ihrem überparteilichen Infrastrukturprogramm, mit dem Chips and Science Act als Investition in die Technologien der künstlichen Intelligenz, und mit dem Inflation and Reduction Act.

Gerade mit dieser eindeutigen Prioritätensetzung tut sich Europa schwer. Gemeinsam Entscheidungen zu fällen und diese unbürokratisch umzusetzen, war schon immer mühsam. Auch das gegenwärtig diskutierte Industriepaket EU-Net-Zero ist mehr ein Abbau von Hürden, als eine gemeinschaftliche Industriestrategie.

Mehr Forschungs- und Innovationsfinanzierung

Die Prioritätensetzung ist staatliche Aufgabe. Aber die Finanzierung des Wirtschaftswandels kann nur gelingen, wenn öffentliche und private Mittel zugänglich gemacht werden. Forschungs- und Innovationsfinanzierung in Europa muss dafür zunehmen, denn Europa hinkt nicht nur hinter Amerika her, sondern auch hinter China.

Um private Investition in Zukunftstechnologien zu unterstützen, arbeiten Zentralbanken und Standardsetzer an neuen Messmethoden für Klimarisiken. Damit würde zum Beispiel das Risiko von Naturkatastrophen zu höheren Preisen bei Investitionen in fossile Technologien führen.

Auch die Europäische Investitionsbank und die Europäische Zentralbank könnten eine entscheidende Rolle durch Kreditvergabe und Bankenregulierung einnehmen. So überlegte die Europäische Zentralbank vor kurzem, Liquidität gezielt für Banken bereitzustellen, die grüne Technologien unterstützen.

Ein gemeinschaftlicher Ansatz, der Wege zur Finanzierung des Wandels aufzeigt, ist notwendig. Das europäische Projekt begann 1951 als Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Auch 70 Jahre später muss eine gemeinsame Energie- und Industriestrategie ein zentraler Baustein für ein wettbewerbsfähiges Europas sein.

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