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Energie & Klima

Standpunkte Der Staat sollte Abnehmer von grünem Stahl werden

Thomas Bünger, CEO ArcelorMittal Bremen und Eisenhüttenstadt
Thomas Bünger, CEO ArcelorMittal Bremen und Eisenhüttenstadt Foto: ArcelorMittal

Ein Leitmarkt für CO2-neutralen Stahl ist ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll, findet Thomas Bünger, CEO von zwei deutschen ArcelorMittal-Werken. Besonders im Bausektor könne der Staat den Einsatz des grünen Grundstoffs vorantreiben und die Transformation stützen. Ohne diese und andere Maßnahmen drohe die Industrie sonst abzuwandern.

von Thomas Bünger

veröffentlicht am 19.06.2024

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Das im Mai vom Bundeswirtschaftsminister vorgestellte Konzept „Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe“ könnte ein Meilenstein sein. Denn wer die europäischen Klimaziele erreichen will, tut gut daran, bei der Grundstoffindustrie anzufangen. Fast ein Drittel der gesamten Industrieemissionen Deutschlands entsteht bei der Stahlproduktion. Der Hebel ist also groß.

Die Idee des Ansatzes: Es reicht nicht, grüne Produkte zu produzieren. Es muss auch Absatzmärkte für sie geben. Und die muss man fördern. Gut ist: Die Stahlindustrie ist bereits Teil der Lösung. Denn Verfahren wie die Stahlerzeugung mit Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen sind inzwischen anwendungsreif und können bis zu 100 Prozent erneuerbare Energien nutzen, vor allem Strom und grünen Wasserstoff. Vorausgesetzt, dass es von beidem genug gibt.

Die Industrie benötigt mehr grüne Energie

An dieser Stelle hinkt die Politik den Ausbauplänen hinterher: egal ob Wasserstofferzeugung, Wasserstoffinfrastruktur oder genügend Energie aus erneuerbarer Erzeugung zu international wettbewerbsfähigen Preisen. Die Folge: ArcelorMittal hat in Deutschland noch nicht entschieden, wann genau – trotz zugesagter Fördermittel – der definitive Startschuss für den geplanten milliardenschweren Umbau der Werke gegeben werden kann.

Das Risiko, ohne ausreichende erneuerbare Energie die Anlagen nicht betreiben zu können oder durch zu hohe Energiepreise selbst in Europa nach der Umstellung nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein, ist hoch – für die Unternehmen ebenso wie für die davon abhängigen zehntausenden Arbeitsplätze. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Wasserstoff darf, um mit dem derzeitigen Preis für fossile Energien im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, zwei Euro kosten. Im Moment liegen die Industriepreise bei sieben bis neun Euro. Solche Preisdifferenzen lassen sich nicht auf die nachgelagerte Industrie und auf die Verbraucher umlegen.

Doch selbst wenn Strom und Wasserstoff durch drastische Kapazitätserweiterungen bei Wind- und Solarenergie sowie bei Elektrolyseanlagen um 30 Prozent billiger werden, bleibt eine deutliche Kostendifferenz. Und wer kauft schon grünen Stahl, wenn der klassisch hergestellte ebenfalls verfügbar und viel billiger ist?

Was wir deshalb benötigen, sind Märkte, die den grünen Stahl auch einsetzen. Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck greift an dieser Stelle an. Er propagiert in seinem Vorschlag die Unterstützung grüner Produkte wie Stahl oder Zement.

Allerdings befindet sich die öffentliche Hand in einer Zwickmühle. Denn der Staat drängt die Stahlproduzenten und andere energieintensive Unternehmen mit teuren CO2-Zertifikaten dazu, Emissionen zu reduzieren. Dann sollte der Staat als ein wichtiger Abnehmer von Stahl in Deutschland auch vorangehen und als Vorbild dienen.

Stahl ist ein wichtiger Werkstoff im Bausektor

Jede dritte Tonne Stahl, die in Deutschland benötigt wird, landet im Bau. Damit ist der Bausektor der größte Abnehmer für Stahlprodukte in Deutschland. Es ist kein Wunder, dass der Bausektor so viel Stahl – insgesamt mehr als ein Drittel der gesamten deutschen Stahlproduktion – benötigt.

Denn mit 475 Milliarden Euro sind die Gesamtausgaben im Bau in Deutschland größer als die in der Automobilindustrie oder im Maschinenbau. Die Bauwirtschaft deckt damit gut 12 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts ab. Und sie ist eine der Schlüsselbranchen der deutschen Wirtschaft. Der Staat wiederum hat mit einem Anteil von mehr als 25 Prozent im Bauhauptgewerbe eine klare Vorbild- und Leitfunktion.

Wer grüne Produkte verlangt, sollte sie auch kaufen

Während der Staat den Unternehmen – mit Blick auf die Klimaentwicklung vollkommen zu Recht – immer mehr Druck macht, Emissionen zu reduzieren, bleibt er als Abnehmer in der Deckung. Das gilt übrigens auch für das aktuelle Papier aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Zwar formuliert das Kurzpapier des BMWK: „Ziel des Konzepts ist es, einen Impuls für die Schaffung von Leitmärkten für klimafreundliche Grundstoffe zu geben.“

Doch wenn es dann zum Rütlischwur kommt, bleibt man lieber nebulös: „So kann die öffentliche Beschaffung ein Hebel sein und klimafreundliche Produkte in dem Vergabeprozess bevorzugen, bis diese spätestens ab 2045 in Deutschland und ab 2050 in Europa der Standard sind.“

Das bedeutet: Bis heute gibt es keine deutschland- oder gar EU-weite Vorschrift, bei öffentlichen Bauvorhaben zwingend grünen Stahl einzusetzen. Und ein konkretes Engagement ist allem Anschein nach nicht vorgesehen. Doch genau mit einem solchen konkreten Schritt würde der angemahnte Leitmarkt für grünen Stahl entstehen, der die Wasserstoffindustrie beflügelt, der grünen Stahl schnell zu einem gefragten Produkt macht und der letztlich alle Stahlerzeuger zwingt, in kurzer Zeit die geforderten und weitere Produktionsmengen aufzubauen.

Absatzsicherheit schafft Wettbewerb

Gleichzeitig benötigen wir auf EU-Ebene dann eine Initiative zur klaren Zertifizierung von grünem Stahl. Der kürzlich auf der Hannovermesse verabschiedete LESS-Standard, der für Deutschland Maßstäbe setzt, ist ein guter – aber nicht ausreichender – erster Schritt in diese Richtung. Das Papier des BMWK würdigt diesen Schritt und fordert eine solche Kennzeichnung auf europäischer Ebene. Gut so – auch wenn dies bestenfalls eine mittelfristige Strategie sein kann.

Um so wichtiger ist der Gedanke des nationalen Leitmarktes, für den es mit LESS bereits einen Kennzeichnungsstandard für grünen Stahl gibt: Denn ein Leitmarkt im Baubereich mit einer Verpflichtung der öffentlichen Hand zum Einsatz von grünem Stahl bietet Absatzsicherheit. Das damit einhergehende garantierte Volumen und der Wettbewerb um die grünen Marktanteile ziehen mit Sicherheit schnell Preisanpassungen nach sich. Und das Thema grüner Stahl erhält mehr öffentliche Wahrnehmung. Und ein Dominoeffekt mit Blick auf Zement und andere Baustoffe ist hier natürlich wünschenswert.

Stahl, der CO2-reduziert hergestellt ist, muss für öffentliche Bauvorhaben zum Standard werden. Das allein wird aber noch nicht reichen – über den Bausektor hinaus müssen auch weitere Wirtschaftsbereiche umstellen, um einen erfolgreichen Wandel zu begleiten. Nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Das erst hilft den Klimazielen, sichert Arbeitsplätze und sorgt dafür, dass eine wichtige Industrie wie die Stahlindustrie nicht abwandert. Wer die europäischen Klimaziele erreichen will, tut deshalb gut daran, beim Stahl und vor der eigenen Haustür anzufangen, indem der Staat selbst seiner Rolle als wichtiger Marktteilnehmer und Vorbild nachkommt.

Thomas Bünger ist seit Februar 2024 der CEO der beiden größten deutschen Stahlwerke von ArcelorMittal in Bremen und Eisenhüttenstadt. Der Luxemburger Konzern ArcelorMittal ist das größte Stahl- und Bergbauunternehmen in Europa.

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