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Energie & Klima

Standpunkte Deutschland und die Ukraine stehen bei der Energierevolution am Scheideweg

Svitlana Romanko (Razom We Stand), Luisa Neubauer (Fridays for Future)
Svitlana Romanko (Razom We Stand), Luisa Neubauer (Fridays for Future) Foto: Razom We Stand, Mario Heller

Der Druck des Klimawandels und der Krieg in der Ukraine in Kombination machen die Transformation der Energiesysteme umso dringlicher, argumentieren Luisa Neubauer (Fridays for Future) und Svitlana Romanko (Razom We Stand). Im Sinne der Energiesicherheit fordern die deutsche und die ukrainische Aktivistin massive Investitionen.

von Svitlana Romanko, Luisa Neubauer

veröffentlicht am 25.03.2024

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Die hochrangig besetzte Konferenz „Berlin Energy Transition Dialogue“, zu der in der vergangenen Woche zahlreiche Teilnehmer aus der Ukraine kamen, darunter Beamte, Vertreter von Industrie und Zivilgesellschaft, bot eine Gelegenheit, die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Deutschland zu stärken. Vor dem Hintergrund von Putins mörderischem, durch fossile Brennstoffe finanziertem Krieg in der Ukraine, globalen geopolitischen Verschiebungen und der anhaltenden, kostspieligen Klimakrise war es noch nie so wichtig wie heute, dass die Staaten ihren Abschied von schmutzigen, fossilen Brennstoffen beschleunigen. Sowohl Deutschland als auch die Ukraine stehen an einem Scheideweg. Sie müssen Entscheidungen treffen, die ihre Energiesysteme prägen werden.

Deutschland, das oft als Vorreiter bei erneuerbarer Energie gepriesen wird, hat seinen Ausstieg aus der Kohle eingeleitet und erklärt, dass es die Ukraine auch in diesem Bereich unterstützen will. Das Tempo dieses Übergangs muss jedoch beschleunigt werden. Auch der neue Bericht „Rebuilding the Ukrainian Power Sector“ von Razom We Stand unterstreicht, dass eine Abkehr von fossilen Brennstoffen und eine Hinwendung zu grüner Energie in der Ukraine dringender ist denn je. Alle Kohlekraftwerke in der Ukraine können und sollten bis 2030 durch zwölf Gigawatt erneuerbare Energien ersetzt werden, was Investitionen in Höhe von 15,5 Milliarden Euro erfordert.

Die Ukraine, die vor der doppelten Herausforderung steht, ihren Energiesektor inmitten der Zerstörungen des Krieges wieder aufzubauen und sich aus der historischen Abhängigkeit von russischer Energie zu lösen, beweist täglich ihre Widerstandsfähigkeit und Entschlossenheit  unter anderem während der jüngsten Angriffswelle Russlands gegen Energieinfrastrukturen. Die Attacken haben massive Schäden an Stromerzeugungsanlagen und Verteilnetzen verursacht. Der finanzielle Schaden, der inzwischen auf 10,7 bis 13 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, unterstreicht den dringenden Bedarf an internationaler Unterstützung.

Krise bietet Chance zum Umstieg

Das zentralisierte Energiesystem aus der Sowjetzeit in der Ukraine ist anfällig, zu 50 Prozent beschädigt und steckt in einer Krise. Diese Krise bietet jedoch eine Chance für den Übergang zu einem dezentralisierten, auf erneuerbaren Energien basierenden Modell, das auch Energiesicherheit bietet, um den Krieg zu gewinnen. Sobald der Wiederaufbau ernsthaft beginnt, muss die Ukraine rasch von veralteten fossilen Energiequellen wie Kohle, Öl und Gas auf dezentrale Alternativen wie Wind- und Solarenergie umsteigen. Ein erheblicher Teil der Infrastruktur der ukrainischen Kohleindustrie ist verschlissen und nicht mehr zu reparieren, sodass rasche Investitionen in moderne erneuerbare Energien erforderlich sind. Sie sind die kostengünstigste und zuverlässigste Lösung für den Wiederaufbau des ukrainischen Energiesektors.

Die EU hat Schritte in Richtung einer grüneren Zukunft unternommen, aber die Realität verlangt einen schnelleren Ausstieg aus Kohle und anderen fossilen Brennstoffen. Die Scheinwahlen in Russland sind vorbei, und wir lesen Schlagzeilen über Putins Machtdemonstration, als ob das alles im luftleeren Raum stattgefunden hätte. Bis heute finanziert Putin mit seinen milliardenschweren Öl-, Gas- und Kohlebudgets den Krieg gegen die Ukraine. Die EU steht bei den Zahlungen an Putin für fossile Brennstoffe immer noch an erster Stelle; Putin hat seit Beginn des Krieges Hunderte von Milliarden Euro aus Europa erhalten. Die europäischen Importe von russischem Flüssigerdgas haben seit dem Krieg sogar zugenommen. Fossile Brennstoffe finanzieren Putins Krieg und sind die Ursache für die Klimakrise. Diejenigen, die jetzt nicht voll auf erneuerbare Energie – die grünste, friedlichste und billigste aller Energien  setzen, scheinen die Augen nicht zu öffnen.

Derzeit stammen vier Prozent der deutschen Gasversorgung aus Russland. Das ist nicht gut genug für ein Land, das behauptet, sich mit der Ukraine zu verbünden und für eine Energiewende einzutreten. Deutschland, ein wirtschaftliches Kraftzentrum mit globaler Reichweite könnte der Welt als Beispiel dienen, indem es den Übergang zu sauberer Energie beschleunigt und sich endlich von russischem Öl und Gas löst, so wie es das bei der Atomkraft getan hat.

Grüne Energie-Supermacht der Zukunft

Mit ihrem Beitritt zur „Power Past Coal Alliance“ haben die Ukraine und Deutschland ihre Absicht bekundet, eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel zu spielen. Die Ukraine muss mit Partnern wie Deutschland und den USA zusammenarbeiten, um ihre Zukunft als eine grüne Energie-Supermacht zu sichern, die saubere Energie liefert und gemeinsam mit der EU saubere Energietechnologien entwickelt.

Die Zeit ist reif dafür, dass Deutschland sein Know-how bei erneuerbaren Energien in den Wiederaufbau des ukrainischen Stromsektors einbringt. Schließlich weiß es um die globale Verflechtung der energiewirtschaftlichen Transformation. Und es muss dringend aufhören, Geld in die Taschen von Petro-Diktatoren wie Putin zu stecken.

Trotz der zerstörten regionalen Energieinfrastruktur und der russischen Angriffe haben sich Gemeinden in der gesamten Ukraine im Sinne einer Energiewende verbündet. Die Inbetriebnahme des neuen Windparks des Energieversorgers DTEK in der Südukraine und die Installation eines Solarkraftwerks auf einem Krankenhaus in Boryslav sind Beispiele für das transformative Potenzial sauberer Energie in der Ukraine.

Potenzial von 400 Milliarden Dollar

Erneuerbare Energien bieten eine saubere Alternative. Sie stärken zudem die lokale Wirtschaft und die Umwelt. Sogar der ukrainische Präsident Selenskyj hat festgestellt, dass grüne Energie echte Energiestabilität garantiert, und die Ukraine könnte einer der Hauptlieferanten sauberen Stroms für Europa werden. Das Potenzial allein dieser Branche liegt bei 400 Milliarden Dollar. Wenn der Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg umweltfreundlich gestaltet wird, könnten mehr als 4,2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze in fünf Schlüsselsektoren geschaffen werden: Verkehr, Energie, Gesundheitswesen, Bildung und Wasser.

Der ökologische und wirtschaftliche Tribut, den die Kohle fordert, ist im ukrainischen Energiesektor deutlich zu sehen. Die Wärmekraftwerke verbrauchen 30 Prozent mehr Kohle pro Kilowattstunde als der europäische Durchschnitt, was zu Ineffizienz und höheren Kosten führt. Die Gesamtinvestitionen, die erforderlich sind, um die kohlebefeuerten Kraftwerke durch alternative Energiequellen zu ersetzen, belaufen sich auf 11,6 bis 17,2 Milliarden Dollar  eine notwendige Ausgabe für die Nachhaltigkeit.

Erneuerbare Energien erweisen sich als billiger, zuverlässiger und frei von den Folgen fossiler Brennstoffe, darunter die Finanzierung von Putins Kriegskasse, Umwelt- und Klimaschäden sowie die Ankurbelung der Inflation. Es ist an der Zeit, dass Deutschland und die Ukraine die wirtschaftlichen Vorteile der erneuerbaren Energiequellen ernst nehmen und die notwendigen Investitionen für eine nachhaltige Zukunft tätigen. Angesichts des jüngsten Rückgangs der Energiepreise und der kosteneffizienten Produktion erneuerbarer Energie auf Rekordniveau haben die Staats- und Regierungschefs Deutschlands und anderer EU-Staaten die Möglichkeit, die Energiesicherheit der Welt zu verbessern.

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