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Energie & Klima

Standpunkte Das unterschätzte Energiesparpotenzial der Industrieimmobilien

Manfred Simmet, Geschäftsführer der Caverion Deutschland GmbH
Manfred Simmet, Geschäftsführer der Caverion Deutschland GmbH Foto: Caverion

Für das Erreichen der Klimaziele bis 2045 spielt der Gebäudesektor die entscheidende Rolle. Doch bei allem Reformeifer übersieht die Politik noch weitgehend die Industrieimmobilien, die ein Drittel aller Gebäude hierzulande ausmachen. Zu stark steht der private Bereich im Vordergrund. Es ist Zeit umzudenken, meint Manfred Simmet von Caverion Deutschland in seinem Standpunkt.

von Manfred Simmet

veröffentlicht am 23.06.2023

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Politik, Unternehmen und Medien diskutieren derzeit intensiv über das Gebäudeenergiegesetz, die Gesetzgebung läuft. Dabei gehen die Eckpunkte in die richtige Richtung: Sowohl der verbindliche Anteil an erneuerbaren Energien (65 Prozent) für neu eingebaute Heizungen ab 2024 sowie der Ausschluss 2045 von fossilen Brennstoffen zeigt: Die klimaneutrale Gesellschaft rückt damit näher.

Auf dem Weg dorthin ist im Moment allerdings ein wichtiger Bereich beinahe aus dem Blick geraten: Die Industrieimmobilien. Vorweg: Die Energieproduktivitätssteigerungen der deutschen Wirtschaft waren zuletzt bescheiden. Die Industrie steht hierzulande im Europavergleich nur auf Platz elf. Hinter Rumänien oder Litauen beispielsweise. Gleichzeitig gibt es ungenutzte Potenziale für Energieeffizienzsteigerungen in vielen Unternehmen.

Die Industriebrachne hält annährend ein Drittel des deutschen Immobilienbestandes. Mehrheitlich basiert der Betrieb der Objekte durch die gewerblichen Eigentümerinnen und Eigentümer bis heute auf fossilen Energien. 

Solaranlagen, die das Brauchwasser erwärmen könnten oder Strom fürs Objekt liefern, finden sich selten auf den Dächern von Fabrikhallen, Werkstätten oder Garagen im Bestand. Die gewerblich genutzten Immobilien sind im aktuellen Zustand noch echte Effizienzverlierer, Wärme- und Stromfresser.

Die Politik hat das Problem in Teilen erkannt. Doch der jüngste im Deutschen Bundestag diskutierte Entwurf des Energieeffizienzgesetzes greift etwas zu kurz und ist für die Wirtschaft noch zu unverbindlich. Selbst einfache und kostengünstige Maßnahmen zur Effizienzsteigerung in Gebäuden, werden noch längst nicht in dem Ausmaß genutzt, wie es machbar und sinnvoll wäre.

Beispiele dafür sind die Verbesserungen bei Heizungsanlagen und der Warmwasserbereitung, einfache Dämmverfahren, Effizienzgewinne bei der Beleuchtung, bei Antrieben, Pumpen, Motoren oder Druckluft in der Industrie. Anpassungen der Regeltechnik und Implementierung eines Energiemonitorings sind sogar unabhängig der gesetzlichen Forderungen sinnvoll und schnell refinanzierbar.  

Parallel sollten Unternehmen ab einem Energieverbrauch von fünf Gigawattstunden Klimamanagementsysteme verpflichtend einführen und Anreize für Investitionen geschaffen werden. Auch Abwärme wird bisher nur unzureichend genutzt und verpufft mit klimaaufheizender Wirkung einfach aus der Fabrik.

Acht große Kraftwerke und vier LNG-Terminals wären verzichtbar

Acht große Kern- oder Kohlekraftwerke plus die Kapazität von vier der sechs neuen LNG-Terminals: Das ist das rechnerische Effizienzpotenzial der deutschen Industrie. Errechnet haben das die Wissenschaftler der Hochschule Niederrhein in Krefeld in einer im März vorgelegten Studie.

Deutschlands Industrieunternehmen könnten demnach 44 Prozent ihres Endenergiebedarfs des Jahres 2021 – 410 von 940 Terrawattstunden – mit standardmäßig verfügbaren Energieeffizienz-Technologien und bei hoher wirtschaftlicher Zusatzrendite erschließen – und das laut der Studie „ohne Produktionseinschränkungen“.

Gerade bei den Bestandsgebäuden gibt es mit Blick aufs Klima eine Menge zu holen. Es genügt nicht, nur auf den Neubau zu schielen. So sollen etwa auf Wunsch des Europäischen Parlaments korrekterweise bereits ab dem Jahr 2026 alle Neubauten, die im Behördenbesitz sind oder von diesen betreiben werden, emissionsfrei sein („EU-Gebäuderichtlinie“).

Auf einer Skala von „A“ bis „G“ – wobei die Energieeffizienzklasse „G“ den 15 Prozent der Gebäude mit den schlechtesten Werten im Gebäudebestand eines Mitgliedstaats entspricht – müssen Wohngebäude laut Parlamentsplan bis 2030 mindestens Klasse „E“ und bis 2033 Klasse „D“ erreichen. Nichtwohngebäude – also auch Industrieimmobilien – und öffentliche Gebäude müssen diese Energieeffizienzklassen bis 2027 beziehungsweise bis zum Jahr 2030 erlangen.

Bei gewerblichen Immobilien lauern die Tücken im Detail

Klingt nach viel Zeit für Eigentümerinnen und Eigentümer gewerblicher Immobilien. Verglichen mit einem Privathaus, dessen Umstellung auf Wärmepumpe und Grünstrom schon viele Hausbesitzer verzweifeln lässt, ist das Energieeffizienzprogramm für eine Industrieimmobilie aber komplexer.

Die Tücken lauern dabei im Detail. Anders als im Privatbereich – wie es zumindest mit der alles seligmachenden Wärmepumpe von der Politik versprochen wird – besteht der Weg zur Energieeffizienz bei komplexen gewerblichen Objekten eben nicht nur aus einer Maßnahme. Sondern in der Regel aus einer Vielzahl kleiner Schritte.

Das umfasst vor allem eine angepasste Regelungstechnik, Hydraulik verbessernde Maßnahmen sowie die Installation von Messtechnik. Außerdem empfehlen sich idealerweise moderne Gebäudeleittechnik und ein digitales Energiemonitoring. Spezialisten mit langjähriger Praxiserfahrung sind hier gefragt. Erst dann macht der vollständige Ausbau regenerativer Energieträger vollständig Sinn.

All diese Schritte müssen gegangen werden – und zwar jetzt. Und sie sind erst die Grundlage dafür, dass eine gewerbliche Immobilie auf erneuerbare Energien umstellen sollte. Denn der sauberste Wind- und Solarstrom nützt nichts, wenn er direkt wieder aus den undichten Fenstern, den ungedämmten Wänden verschwindet oder nachts die ganze Zeit das Licht in der Werkshalle brennt.

So wenig, wie die Politik die privaten Hausbesitzer im Regen stehen lassen darf, so wenig darf sie das mit den Eigentümerinnen und Eigentümern gewerblicher Immobilien tun. Dafür ist es notwendig, die energetische Gebäudesanierungsrate von derzeit etwa ein auf mindestens zwei Prozent zu verdoppeln. Bis dahin gilt: Je mehr Förderungen und Flexibilität von politischer Seite zugestanden werden, desto besser.

Manfred Simmet ist CEO für Deutschland und Österreich von Caverion, einem Anbieter für technische Gebäudeausrüstung und Energiedienstleistungen.

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