Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) hat vor einigen Wochen seinen Vorschlag eines Brückenstrompreises für die Industrie auf den Tisch gelegt. Während aus Industrie und von Gewerkschaften starke Unterstützung kommt, gibt es auch laute Gegenstimmen. Im Rat der Wirtschaftsweisen beispielsweise steht ein deutliches 4:1-Votum gegen einen Industriestrompreis. Einzelne Mitglieder warnen davor, dass der subventionierte Strompreis den dringend notwendigen Strukturwandel bremse und dazu führe, „dass die Wirtschaft bei Produktionsweisen hängen bleibt, in denen wir einen strategischen Nachteil haben“.
Richtig an diesen Einwänden ist, dass sich die Sinnhaftigkeit eines Industrie- bzw. Brückenstrompreises gerade auch daran messen lassen muss, inwiefern er die Transformation zu einer klimaneutralen Industrie unterstützt. Falsch ist aber der Rückschluss, dass ein subventionierter Strompreis generell zu einem Festhalten an veralteten Produktionsweisen führe und der Transformation im Weg stehe – genauso falsch übrigens wie die umgekehrte Vorstellung, dass ein „Transformationsstrompreis“, so nennt ihn die SPD, per se Treiber der Transformation wäre.
Es kommt sehr auf die Ausgestaltung des Instruments an. Ganz grundsätzlich wäre es sinnvoll, ein solches Instrument, wenn schon nicht in der EU, so doch zumindest gemeinsam mit Frankreich auf den Weg zu bringen.
Strompreise im Rahmen der Industrietransformation adressieren
Statt einer sehr breit angelegten Strompreis-Subventionierung, wie es das BMWK-Konzept vorschlägt, sollten tragfähige Strompreise für die Industrie stärker mit Anreizen für die Transformation zur Klimaneutralität zusammengebracht werden. Auch die Gutachter der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH), die im Auftrag der IGBCE-Stiftung Arbeit und Umwelt die Vereinbarkeit eines Industriestrompreises mit dem EU-Beihilferecht geprüft haben, kommen zu dem Schluss: „Die Transformation muss im Mittelpunkt stehen, einfach nur Prinzip Gießkanne geht nicht.“
Im Idealfall sollte die Abfederung des Strompreises eingebettet sein in ein Transformations-Instrument und damit auf entsprechende Vorhaben beschränkt werden. Im Rahmen der Klimaschutzverträge ist das möglich: Wenn die Stromnutzung ein wesentlicher Preistreiber der Emissionsminderung ist, können die Mehrkosten hierfür übernommen werden (gleiches gilt indirekt für grünen Wasserstoff). Über die in den Klimaschutzverträgen vorgesehene dynamische Preiskomponente ist es auch möglich, die Risiken durch die Strompreisentwicklung abzufedern – in beide Richtungen. Dabei sollte eher ein Preiskorridor als ein fixer Preis der Bezugspunkt sein.
Eine direkte Strompreisunterstützung kann bei den sehr stromintensiven Produktionsprozessen Sinn machen, die traditionell strombasiert oder im Zuge von Klimaschutzanstrengungen elektrifiziert worden sind. Allerdings sollte der Empfängerkreis dafür deutlich enger umrissen sein, als im Konzept des BMWK vorgesehen – dafür bieten sich die Auswahlkriterien für die Strompreiskompensation an. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die entsprechenden Produktionsprozesse so emissionsarm und energieeffizient wie möglich sind. Diese Konditionalisierung ist im Vorschlag des BMWK angelegt, muss aber zielführend ausgestaltet werden: durch strenge Energieeffizienz-Vorgaben und die Verpflichtung, das Potenzial zur Reduktion von nicht-strombasierten Emissionen auszuschöpfen.
Wichtig ist, dass in diesem sehr stromintensiven Teil der Industrie auch einige der größten Flexibilisierungs-Potentiale liegen. Die Anreize, diese auch zur Verfügung zu stellen, würden durch eine Deckelung des Strompreises erheblich reduziert. Deshalb müssen die Überlegungen zu einem Brückenstrompreis für besonders stromintensive Industrien unbedingt damit einhergehen, an anderer Stelle starke Flexibilitäts-Anreize zu setzen.
Darüber hinaus gibt es weitere Bereiche, in denen zwar ein niedriger Strompreis die Klimatransformation befördern würde – eine Strompreissubvention aber dennoch der falsche Weg wäre. Der Umstieg von fossiler auf elektrische Wärmeproduktion ist dafür ein Kandidat. Dafür gibt es aber wesentlich effizientere und zielgenauere Anreize, etwa über die Netzentgelte.
Für die Zeit nach der finanziellen Unterstützung planen
Die Diskussion um einen Brückenstrompreis sollte auch Anlass sein, die Zeit danach klarer in den Blick zu nehmen. Ein Brückenstrompreis kann überhaupt nur Sinn machen, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass auf der anderen Seite der Brücke ein sicheres und stabiles Ufer auf die Industrie wartet – was derzeit längst nicht in allen Fällen mit ausreichender Gewissheit zu sagen ist.
Zum einen ist trotz der deutlichen Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien auch für die Zeit nach 2030 nicht ausgemacht, dass ohne öffentliche Unterstützung Strompreise und (erneuerbare) Strommengen möglich sind, wie sie Teile der Industrie für den Fortbestand der Produktion in Deutschland voraussetzen. Erste Studien, wie vom Dezernat Zukunft bei Frontier Economics und IW Consult in Auftrag gegeben, sprechen eher für das Gegenteil. Keine Frage: der forcierte Ausbau der Erneuerbaren Energien und Stromnetze ist unabdingbar und der Ansatz des Wirtschaftsministeriums genau richtig, im Rahmen seines Industriestrompreis-Konzeptes weitere Anreize dafür zu schaffen.
Wichtig ist aber auch, mit der nötigen Differenziertheit die Diskussion zu führen, welche alten (und neuen) Wertschöpfungsanteile dauerhaft realistisch und sinnvollerweise in Deutschland und der EU gehalten werden können. Energiekosten sind nur einer von vielen Standortfaktoren, und neben dem Erhalt von Arbeitsplätzen sind Resilienz und der Schutz integrierter Wertschöpfungsketten wichtige Argumente für den Erhalt oder Aufbau von Industrieproduktion in Europa. Gesellschaft und Unternehmen müssen die Frage beantworten, welchen Preis sie für die damit verbundenen Vorteile zu zahlen bereit sind.
Riesiges Potenzial der öffentlichen Beschaffung
Grüne Märkte sind ein wichtiger Teil dieses Preises. Sowohl Klimaschutzverträge als auch Brückenstrompreis sind richtigerweise nur auf Zeit angelegt. Im Anschluss daran braucht es Abnehmer, die bereit sind, die Mehrkosten grüner Materialen und Produkte zu bezahlen. Mittelfristig müssen grüne Märkte über entsprechende Regelungen zum Standard werden – hier braucht es deutlich mehr politischen Willen.
Auf dem Weg dahin hat die öffentliche Beschaffung
riesiges Potenzial, schon kurzfristig Märkte für grüne Materialien und Produkte
zu schaffen – indem beispielsweise bei Ausschreibungen für Windkraft die
gesamten Lebenszyklus-Emissionen der Anlagen zum Auswahlkriterium gemacht werden.
Und nicht zuletzt können Unternehmen selbst ein wichtiger Treiber grüner
Märkte werden, beispielsweise indem sie freiwillig grünen Stahl für die
Produktion von Autos nutzen. Die Mehrkosten von wenigen hundert Euro
sind – im Vergleich zum Aufpreis für die Ausstattungsmerkmale insbesondere
größerer Modelle – überschaubar.