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Energie & Klima

Standpunkte Plattform Klimaneutrales Stromsystem – The show must go on

Nadine Bethge, Stellvertretende Leiterin Energie und Klimaschutz der Deutschen Umwelthilfe
Nadine Bethge, Stellvertretende Leiterin Energie und Klimaschutz der Deutschen Umwelthilfe Foto: DUH

Zum dritten Mal trifft sich heute das Plenum der Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS) im Wirtschaftsministerium. Alle MitstreiterInnen der PKNS sind geladen. Nadine Bethge, stellvertretende Leiterin Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe, hat die PKNS ein knappes Jahr durch nahezu jede Sitzung und jeden Workshop begleitet und kommentiert in ihrem Standpunkt die heutige Generalprobe.

von Nadine Bethge

veröffentlicht am 11.12.2023

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Lässt man das PKNS-Jahr von Februar bis Dezember 2023 Revue passieren, so stellen sich die Fragen: Wo fing es an? Wo stehen wir jetzt?

Der erste Akt

Ende März ist der PKNS-Arbeitsalltag mit einem gemeinsamen Auftakt aller vier Arbeitsgruppen (AG) gestartet. Die Systementwicklungsstrategie als strategisches Leitbild sowie zwölf allgemeine Bewertungskriterien wurden als Setting für die Weiterentwicklung des Strommarkts vorgegeben. Versprochen wurde, dass diese Kriterien gleichwertig als Grundlage der Diskussionen dienen und laut BMWK „immer wieder hervorgeholt werden, um Maßnahmen-Optionen zu vergleichen und die Diskussion um diese Optionen zu strukturieren“.

Diese Herangehensweise plus eine breite Aufbruchsstimmung bildeten einen gelungenen Auftakt – bloß wurden diese anfänglich gesetzten Akzente im späteren Verlauf nicht durch einen wirklichen Moment des Vergleichens oder Strukturierens aufgegriffen. Nie haben wir beispielsweise Klimaneutralität bewertet und gleichzeitig Teilhabe, Akzeptanz und wirtschaftliche Planungssicherheit gegeneinander abgewogen. Auf Nachfragen zur kriterienbasierten Gewichtung der diskutierten Maßnahmen und zur im Namen steckenden Klimaneutralität als oberstes Ziel, gab es lediglich nicht verwertbare Antworten.

Ebenso ist die Systementwicklungsstrategie als strategisches Leitbild über die Zeit in Vergessenheit geraten: Diese soll eigentlich ein sektorübergreifendes Leitbild darstellen, das die Koordination der verschiedenen energiepolitischen Strategien und Programme im Sinne eines preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten, umweltverträglichen und klimaneutralen Gesamtsystems gewährleistet. Die Debatten wären möglicherweise anders verlaufen, wäre eine energiepolitisch und gesellschaftlich abgestimmte Zielrichtung durchweg konkret und präsent gewesen. So hingegen haben sich die Gespräche manches Mal im teils unnötigem „Klein‑Klein“ verloren.

Ergänzend lässt sich sagen, dass die Sitzungen zu stark ins Detail gingen. Sei es das Thema „Sicherung der Finanzierung von Erneuerbaren Energien“ oder „Lokale Signale in den Strommärkten“. Wenn sich eine AG-Sitzung beispielsweise nahezu ausschließlich um Hedgingpflichten dreht, ist eine Beteiligung vieler Stakeholder schwierig. Eine ausgewogene Einbindung von Umwelt- und Sozialverbänden unter Berücksichtigung personeller Ressourcen ist jedoch Grundlage für eine Produktion, die ein breites Publikum nachvollziehen und begeistern soll.

Der zweite Akt

In meinem Standpunkt zum Start der PKNS im Februar schrieb ich: „Ein Markteingriff in der notwendigen Größenordnung gleicht einer Operation am offenen Herzen und kann zu unbeabsichtigten Nebenwirkungen führen: Diese Operation muss akribisch geplant und präzise durchgeführt werden sowie lebenserhaltende Maßnahmen sicherstellen.“ Haben wir die Operation wirklich begonnen oder nur die 112 gewählt?

In einem begleitenden Format haben wir insgesamt sieben Mal parallel zum laufenden PKNS-Prozess mit weiteren zivilgesellschaftliche Akteuren Themen vertieft betrachtet. Wir sind uns unsicher, ob die Operation überhaupt anberaumt ist: Denn ein wichtiger Akteur, die Bundesnetzagentur, mit ihren neuen Rechten und Pflichten infolge der Verankerung des EuGH-Urteils im Energiewirtschaftsgesetz, war bei den AG-Sitzungen nur wenig immer sichtbar.

Vor allem aber kommen die Inhalte nicht voran: Die Entscheidung über die deutsche Gebotszone wurde ins kommende Jahr verschoben. In Sachen Versorgungssicherheit wird immer noch in fossilen Kraftwerken statt systemisch und erneuerbar gedacht. Ganz konkrete Flexibilitäten wie netzdienlich allokierte GroßverbraucherInnen, Hemmnisse beim Lastmanagement und eine Speicherstrategie lassen weiter auf sich warten.

Nutzen statt Abregeln“ (NsA) wurde zwar ins EnWG aufgenommen: Hier zeigt das hörbare Grummeln des Publikums jedoch, dass die aktuelle Regelung nur ein erster Schritt ist, der dringend weiterentwickelt werden muss. Die Festlegung zur Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen und steuerbarer Netzanschlüsse nach Paragraf 14a EnWG wurde gestartet, aber noch nicht umgesetzt.  Positiv: Bei der gerechteren Verteilung der Netzentgelte sind wir dank des BNetzA-Vorschlags ein Stück weiter.

Die PKNS gibt somit für viele Handlungsstränge nur leichte Impulse oder lässt sie gänzlich liegen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass wir nur in die dringend nötige Umsetzung kommen, wenn das Risiko eingegangen wird, einen Schritt entschlossen vor den anderen zu setzen.

Allerdings scheint ein Sofortprogramm Strommarktdesign 2023 nicht mehr erreichbar. Auch die Hoffnung auf eine Entscheidung noch in dieser Legislaturperiode über ein zukunftsfähiges Strommarktdesign 2030ff., welches 215 Gigawatt (GW) Photovoltaik, 115 GW Wind an Land und 30 GW Wind auf See integriert, schwindet. Dabei ist dieses dringend erforderlich, um Effizienzen im Strommarkt zu heben, damit die Kosten für die Integration der Erneuerbaren Energien fair verteilt werden und ein geplanter Übergang in eine neue und dem Klimaschutz dienende Marktlogik gelingt.

Der dritte Akt

Daher heißt es jetzt abwarten, ob es ein Happy End gibt: Der Winterbericht steht auf dem Programm. Ob dieser zum Anfang des Winters oder erst zum Ende kommt, werden wir heute im Plenum erfahren. Welche Ergebnisse wir erwarten? Der Zwischenbericht im August war eine Sammlung der Protokolle aus zwölf AG-Sitzungen und hatte mehr Deskriptives als Lösungsorientiertes. Ob entstandene Irritationen durch vier weitere AG-Sitzungen sowie zwei digitale Workshops aufgelöst werden, werden wir heute Abend wissen. Fragen zur Weiterbearbeitung, zur Umsetzung und zum Eingang der einst festgelegten Bewertungskriterien bleiben aktuell noch offen.

Fest steht, „the show must go on“: Es braucht eine Fortsetzung, um erste Impulse aufzunehmen, offene Fragen zu beantworten und die Geschichte der PKNS zu einem runden Abschluss zu bringen. Dann hätte sie durchaus das Zeug zu einem europäischen Bestseller zu werden. Die DUH jedenfalls ist bereit, daran mitzuschreiben.

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