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Energie & Klima

Standpunkte Es braucht jetzt eine Neuausrichtung der Klimapolitik

Veronika Grimm, Professorin und Wirtschaftsweise, und Andreas Kuhlmann, Christ&Company
Veronika Grimm, Professorin und Wirtschaftsweise, und Andreas Kuhlmann, Christ&Company Foto: Tobias Schwarz / AFP (Grimm) SOWIE Christ&Company Tristan Unkelbach

Nicht nur das Verfassungsgerichtsurteil zum Klimafonds hat die anstehende Transformation des Landes mit einem großen Fragezeichen versehen. Aber die schwierige Situation bietet auch Chancen, schreiben die Wirtschaftsweise Veronika Grimm und der Berater Andreas Kuhlmann.

von Veronika Grimm und Andreas Kuhlmann

veröffentlicht am 27.11.2023

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Die Klimapolitik ist in einer verfahrenen Situation: Ärger um das Heizungsgesetz, mangelnde ökonomische Effizienz und sozialpolitische Zielgenauigkeit der bestehenden Förderinstrumente, sinkende Akzeptanz der Maßnahmen, und nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Haushaltsplanungen der Bundesregierung. Das alles schreit förmlich nach einer Neuausrichtung.

Was bei all den zurecht kritischen Debatten über die akuten Probleme aber übersehen wird: Die Ansätze für einen belastbaren Pfad sind schon da. Bisher fehlte nur die Bereitschaft, den auch zu beschreiten. Doch die Dringlichkeit des Klimaschutzes und die Aufgabe, unser Land zukunftsfähig auszurichten, sollten nun einen Wendepunkt bringen. Folgende Punkte sollten fortan im Fokus stehen:

Fokus Emissionshandel

Ein verlässlich steigender Preis für CO2-Emissionen sollte das Leitinstrument einer soliden Klimapolitik sein. Das schafft Orientierung: für Kunden, die heute nach langlebigen Gütern wie Heizungen, Autos und anderen Produkten schauen. Und in der Industrie, die die Produktion ihrer Güter auf die neue ökonomische Wirklichkeit ausrichten wird.

Weniger ein maximal hoher Preis gleich zu Beginn, sondern die berechtigte Erwartung eines ambitionierten Preispfades und die Durchsetzung der Reduktionsziele durch einen Emissionshandel vor Ende des Jahrzehnts sind entscheidend.

Werden Produkte mit hohem CO2-Fußabdruck teurer, und solche, die klimafreundlich produziert wurden, relativ günstiger, so werden die Kraft und die Kreativität der Marktwirtschaft die Transformation beschleunigen.

Letztlich generiert der Emissionshandel für den Staat auch Einnahmen. Diese Einnahmen sollten an die Menschen pro Kopf als Klimageld zurückgegeben werden.

Fokus Kapitalmärkte

Es wird häufig übersehen, dass fast 90 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Investitionen aus der Privatwirtschaft kommen. Der überwiegende Teil der Investitionen, die für die Transformation erforderlich sind, wird also von privaten Investoren (sprich Unternehmen und Haushalten) zu stemmen sein.

Der Eigenkapitalbedarf der vielen Akteure im Bereich Infrastruktur ist gewaltig. Das, was für die kommenden fünf Jahre erforderlich ist, übertrifft die Investitionen der vergangenen fünf Jahre um ein Vielfaches. Öffentliche Gelder können allenfalls helfen, diese privaten Investitionen zu aktivieren. Jedoch sind die Rahmenbedingungen, etwa durch hohe Zinssätze, heute deutlich herausfordernder als in den vergangenen Jahren.

Privates Kapital ist zwar durchaus vorhanden, aber es erscheint fraglich, ob das nötige Wachstum der Unternehmen über die Kapitalmärkte in Europa unter den aktuellen Rahmenbedingungen überhaupt zu stemmen ist.

Immer wieder gehen Unternehmen mit dynamischen Wachstumspfaden in den USA an die Börse oder verkaufen Wachstumssparten an ausländische Investoren. Europa muss dringend seine Kapitalmärkte stärken, durch die Vollendung von Kapitalmarkt- und Bankenunion sowie vielleicht auch einen Deutschlandfonds, der sich genau auf diese Investitionen stärkenden Ziele ausrichtet. Auch eine bessere Nutzung von Verbriefungen und kapitalgedeckter Altersvorsorge kann hier einen Beitrag leisten. Ohne ausreichend Eigenkapital wird es keine Transformation geben. Das sollte jedem klar sein.

Fokus Infrastruktur

Ohne Infrastrukturen, die grüne Energie zu den Abnehmern bringen, kann die Transformation nicht gelingen. Hier ist einiges bereits auf dem Weg. Ein Beispiel: der jüngst verabschiedete Rahmen für den Aufbau eines Wasserstoff-Kernnetzes.

Wir wissen heute viel besser als noch vor einigen Jahren, welche Infrastrukturen wir aufbauen müssen und wie viel Geld nötig sein wird. Aufbauend auf der Netzstudie III der Deutschen Energie-Agentur (Dena) arbeitet die Bundesregierung an einem dynamischen Plan für das gesamte Energiesystem, der darlegt, wie viel Netze für Strom, Gas, Wasserstoff und CO2 wir zukünftig brauchen. Das alles kann wichtige Planungssicherheit verschaffen und nationale und internationale Investoren anziehen.

Fokus Innovation

Deutschlands Industrielandschaft wird sich deutlich verändern müssen, wenn der Standort zukunftsfähig werden will. Innovationen spielen dabei eine zentrale Rolle. Sei es im Bereich der Wasserstoff-Wertschöpfungskette, bei alternativen Produktionsmethoden von Zement und anderen Grundstoffen oder vor allem auch bei Energieeffizienz und der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy).

Überall sieht man neue Unternehmen und neue Wertschöpfung. Viel zu oft aber fehlt es an ausreichend Wagniskapital und Wagemut für die Skalierung. Erste hilfreiche Instrumente gibt es: So hat etwa ein Dachfonds seine Arbeit aufgenommen, in dem vorrangig zu bedienende Anteile für institutionelle Anleger mit nachrangigen Anteilen der öffentlichen Hand kombiniert werden sollen.

Fokus Sozialpolitik

Die gegenwärtige Klimapolitik hat eine sozialpolitische Schlagseite. Die meisten Instrumente kosten viel Geld, helfen aber vor allem denen, die über ausreichend Einkommen und Eigentum verfügen, um die Förderinstrumente in Anspruch nehmen zu können. Viele empfinden das aus guten Gründen als ungerecht – daran ändert auch die gute Absicht nichts, neue Technologien erst mal überhaupt in den Markt zu bekommen. Zudem treiben viele Förderinstrumente die Preise hoch (siehe Wärmepumpen) oder verpuffen, weil Markt auch ohne sie funktioniert.

Das alles sollten wir uns nicht mehr leisten. Bei einer Neuausrichtung der Klimapolitik wie oben beschrieben sollte die Förderpolitik einen viel stärkeren Fokus auf die Einkommensgruppen bekommen, die Unterstützung brauchen.

Die jetzige, zugegeben verfahrene Situation kann eine Chance sein. Die Grundlagen für einen Kurswechsel sind vorhanden. Nun aber sollte die Bundesregierung diesen Ansätzen mehr Vertrauen schenken. Dann kann der Blick auf die Transformation Deutschlands bald wieder mehr Mut machen.

Veronika Grimm ist Professorin für Wirtschaftstheorie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Andreas Kuhlmann ist seit 1. Juli Geschäftsführer bei dem Beratungsunternehmen Christ&Company. Zuvor war der Diplom-Physiker acht Jahre Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (Dena).

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